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„Kommen Sie oft hierher?“ fragte Alvin ein wenig eifersüchtig. Er betrachtete den Turm von Loranne als sein persönliches Eigentum und ärgerte sich darüber, daß er auch anderen bekannt war. Aber hatte Khedron auf die Wüste hinausgeblickt oder die Sterne im Westen versinken sehen?

„Nein“, sagte Khedron, als beantworte er Alvins unausgesprochene Fragen. „Ich bin noch nie hiergewesen. Aber ich habe das Vergnügen, über alle ungewöhnlichen Vorkommnisse in der Stadt unterrichtet zu sein, und es ist sehr, sehr lange her, seit jemand den Turm von Loranne aufsuchte.“

Alvin fragte sich flüchtig, wie Khedron von seinen früheren Besuchen wissen konnte. Diaspar war voll von Augen und Ohren und anderen scharfsinnigen Sinnesorganen, die alle Vorgänge registrierten. Eine Person, die sich entsprechend dafür interessierte, konnte zweifellos eine Möglichkeit finden, diese Kanäle anzuzapfen.

„Selbst wenn es ungewöhnlich sein sollte, daß jemand hierherkommt“, sagte Alvin, „warum interessieren Sie sich dafür?“

„Weil das Ungewöhnlichste in Diaspar meine Domäne ist“, erwiderte Khedron. „Ich habe dich seit langer Zeit vorgemerkt; ich wußte, daß wir eines Tages zusammentreffen würden. In meiner Art bin ich auch einzigartig. O nein, nicht so, wie du: Das ist nicht mein erstes Leben. Ich bin tausendmal aus der Halle der Schöpfung getreten. Aber irgendwann am Anfang wurde ich als Spaßmacher bestimmt, und in Diaspar gibt es jeweils immer nur einen Spaßmacher. Die meisten Leute sind der Auffassung, das sei schon einer zuviel.“

Khedron sprach mit einer Ironie, die Alvin verwirrte. Es galt nicht als hervorragendes Benehmen, direkte persönliche Fragen zu stellen, aber schließlich hatte Khedron mit diesem Thema angefangen.

„Ich bitte, meine Unwissenheit zu entschuldigen“, sagte Alvin. „Aber was ist ein Spaßmacher und was macht er?“

„Du fragst, was er ist und was er macht“, erwiderte Khedron. „Ich werde damit beginnen, dir das Warum zu erklären. Es ist eine lange Geschichte, aber ich glaube, sie wird dich interessieren.“

„Ich bin an allem interessiert“, sagte Alvin.

„Nun gut. Die Menschen — wenn es Menschen waren, was ich manchmal bezweifle —, die Diaspar entwarfen, standen vor einem unglaublich komplizierten Problem. Diaspar ist nicht nur eine Maschine, verstehst du — es ist ein lebender Organismus, und zwar ein unsterblicher. Wir haben uns so sehr an unsere Gesellschaftsart gewöhnt, daß wir uns nicht mehr vorstellen können, wie seltsam sie unseren Vorfahren erschienen wäre.

Wir haben hier eine winzige, abgeschlossene Welt, die sich, abgesehen von unbedeutenden Einzelheiten, niemals verändert, die aber trotzdem, Zeitalter um Zeitalter, stabil bleibt. Sie hat wahrscheinlich längere Zeit überdauert als die übrige menschliche Geschichte — und doch gab es in dieser Geschichte, so sagt man, unzählige Tausende verschiedener Zivilisationen, die sich eine Weile hielten und dann untergingen. Wie erreichte Diaspar diese außergewöhnliche Beständigkeit?“

Alvin war überrascht, daß jemand eine so einfache Frage stellte. Seine Hoffnungen, etwas Neues zu lernen, trübten sich.

„Durch die Gedächtnisanlagen, natürlich“, erwiderte er. „Diaspar besteht immer aus den gleichen Menschen, obwohl die tatsächliche Gruppierung jeweils verschieden ist.“

Khedron schüttelte den Kopf.

„Das ist nur ein sehr kleiner Teil der Antwort. Mit genau denselben Leuten könnte man sehr verschiedene Gesellschaftssysteme bilden. Das kann ich nicht beweisen, aber ich halte es für richtig. Die Planer dieser Stadt legten nicht nur ihre Bevölkerung fest, sie bestimmten auch die Gesetze, die ihr Verhalten regelten. Wir haben kaum eine Ahnung von der Existenz dieser Gesetze, aber wir gehorchten ihnen. Diaspar ist eine erstarrte Kultur, die sich außerhalb engster Grenzen nicht verändern kann. Die Gedächtnisanlagen speichern außer den Strukturen unserer Körper und Persönlichkeiten noch sehr viele andere Dinge. Sie speichern das Bild der Stadt selbst und bewahren jedes Atom davon gegen alle Veränderungen der Zeit. Sieh dir dieses Pflaster an — es wurde vor Millionen Jahren gelegt, und zahllose Füße sind darübergeschritten.

Siehst du das geringste Zeichen der Abnützung? Ungeschützte Materie, gleichgültig, wie diamanthart sie sein mag, wäre schon vor langer Zeit zu Staub zermahlen worden. Aber solange Energie zur Betreibung der Gedächtnisanlagen vorhanden ist und solange die Modelle, die sie beherbergen, die Stadt kontrollieren, wird sich die physikalische Struktur Diaspars niemals ändern.“

„Aber es hat doch Veränderungen gegeben“, wandte Alvin ein. „Seit der Gründung der Stadt wurden viele Gebäude niedergerissen und neue Häuser errichtet.“

„Natürlich — aber nur durch Löschung der in den Gedächtnisanlagen enthaltenen Muster und anschließender Speicherung neuer Strukturen.

Jedenfalls habe ich darauf nur als auf ein Beispiel hingewiesen, wie sich die Stadt physisch erhält. Worauf ich aber hinauswill, ist die Tatsache, daß es ebensolche Maschinen in Diaspar gibt, die unsere gesellschaftliche Struktur bewahren. Sie beobachten alle Veränderungen und korrigieren sie, ehe sie zu mächtig werden. Wie machen sie das? Ich weiß es nicht — vielleicht durch die gesteuerte Auswahl derjenigen, die aus der Halle der Schöpfung treten. Vielleicht auch, indem sie unsere Persönlichkeitsstrukturen verändern; wir mögen glauben, daß wir freien Willen besitzen, aber können wir dessen sicher sein?

Auf jeden Fall wurde das Problem gelöst. Diaspar hat überlebt und alle Jahrtausende durchzogen, wie ein großes Schiff, das als Fracht das trägt, was von der Menschheit übrigblieb. Das ist eine gewaltige Tat der Sozialtechnik; ob es sich gelohnt hat, ist eine andere Frage.

Beständigkeit allein genügt jedoch noch nicht. Sie führt zu leicht zum Stillstand und von da zum Verfall. Die Planer dieser Stadt sahen ausgeklügelte Maßnahmen vor, um das zu verhindern, obgleich diese verlassenen Gebäude darauf schließen lassen, daß es ihnen nicht uneingeschränkt gelungen ist. Ich, Khedron der Spaßmacher, bin ebenfalls ein Teil dieses Plans. Ein sehr kleiner Teil vielleicht. Ich bin gern anderer Ansicht, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen.“

„Und worin besteht nun dieser Teil?“ fragte Alvin, immer noch im dunkeln tappend und des ganzen Gespräches etwas überdrüssig.

„Wir wollen sagen, daß ich kalkulierte Unordnung in die Stadt bringe. Eine Erklärung meiner Tätigkeit würde ihre Wirksamkeit zerstören. Beurteile mich nach meinen wenigen Taten, statt nach meinen vielen Worten.“

Alvin hatte noch nie einen solchen Menschen getroffen. Der Spaßmacher war eine wirkliche Persönlichkeit — ein Charakter, der weit über das allgemeine, für Diaspar typische Niveau der Gleichmäßigkeit hinausragte. Obwohl er kaum herausfinden würde, worin seine Pflichten nun eigentlich bestanden und wie er sie ausführte, schien das nicht von großer Wichtigkeit. Es kam nur darauf an, daß er jemanden gefunden hatte, zu dem er sprechen konnte — wenn sich in dem langen Monolog eine Lücke erspähen ließ — und der ihm Antworten auf die vielen Fragen zu geben vermochte, die ihn beschäftigten.

Sie gingen miteinander durch die Korridore des Turms von Loranne zurück und traten unmittelbar neben der fließenden Straße ins Freie. Erst als sie wieder durch die Stadt schritten, fiel Alvin ein, daß ihn Khedron überhaupt nicht danach gefragt hatte, was er hier auf der Grenze zum Unbekannten suchte. Er argwöhnte, daß Khedron Bescheid wußte und interessiert, aber nicht überrascht war. Irgend etwas verriet ihm, daß es sehr schwer sein würde, Khedron zu überraschen.

Sie tauschten ihre Registernummern aus, so daß sie sich gegenseitig rufen konnten, wenn sie dazu Lust hatten. Alvin wollte unbedingt mehr von dem Spaßmacher erfahren, obwohl er sich vorstellen konnte, daß seine Gesellschaft auf die Dauer sehr anstrengend sein würde. Ehe sie sich jedoch wieder trafen, wollte er herausfinden, was seine Freunde über Khedron wußten.