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Obwohl sie niemals wirkliche Macht besaßen, waren im Laufe der Zeiten zahllose Kulte entstanden; so phantastisch ihr Glaube auch sein mochte, es gelang ihnen stets, einige Anhänger zu finden. Sie gediehen besonders in Zeiten der Unordnung und Verwirrung; es konnte daher nicht überraschen, daß gerade die Jahrhunderte des Übergangs eine große Epidemie der Unvernunft erlebten. Wenn die Wirklichkeit bedrückend schien, versuchten sich die Menschen mit Mythen zu trösten.

Der Meister verließ seine Welt nicht ohne Hilfsmittel. Die Sieben Sonnen waren das Zentrum galaktischer Macht und Wissenschaft gewesen, und er mußte einflußreiche Freunde besessen haben. Er unternahm seine Flucht in einem kleinen Schiff, das zu den schnellsten Raumfahrzeugen gehörte, die jemals gebaut wurden. In sein Exil nahm er ein anderes Endprodukt mit — den Roboter, der Alvin und Hilvar jetzt anstarrte.

Niemand hatte je die vollen Talente und Funktionen dieser Maschine ausgeschöpft. Bis zu einem gewissen Grade war sie praktisch zum anderen Ich des Meisters geworden; ohne sie wäre die Religion der Großen wahrscheinlich nach dem Tode des Meisters zusammengebrochen.

Gemeinsam durchstreiften sie die Sternwolken auf einem Zickzackkurs, der schließlich, gewiß nicht zufällig, zu jener Welt zurückführte, von der die Vorfahren des Meisters gekommen waren.

Über dieses Epos waren ganze Bibliotheken geschrieben worden, von denen jedes Werk wieder zahlreiche Kommentare verlangte, bis die ursprünglichen Bände in einer Art Kettenreaktion unter Bergen von Anmerkungen und Erklärungen verschwanden. Der Meister hatte viele Welten besucht und bei vielen Rassen Anhänger geworben. Seine Persönlichkeit mußte ungeheuer beeindruckend gewesen sein, um sowohl Menschen als auch Nichtmenschen begeistern zu können, und es bestand kein Zweifel daran, daß eine Religion von so umfassendem Anreiz vieles Gute und Edle enthielt.

Worin die Lehre bestand, konnten weder Alvin noch Hilvar mit irgendwelcher Genauigkeit herausfinden. Der große Polyp bemühte sich nach Kräften, sie ihnen zu verdeutlichen, aber viele seiner Worte waren bedeutungslos, und er hatte die Gewohnheit, Sätze und ganze Reden mit einer mechanischen Schnelligkeit zu wiederholen, die sie sehr schwer verständlich machte. Nach einer Weile lenkte Hilvar das Gespräch von diesem sinnlosen Gerede ab, um sich auf feststellbare Tatsachen konzentrieren zu können.

Der Meister und eine Gruppe seiner treuesten Anhänger waren in jenen Tagen vor dem Untergang der Städte auf der Erde angekommen, zu einer Zeit also, in der Diaspars Hafen noch den Sternen offenstand. Sie mußten in sehr verschiedenen Raumschiffen angekommen sein; die Polypen zum Beispiel erschienen in einem mit Wasser aus ihren Heimatmeeren angefüllten Raumfahrzeug. Ob die Bewegung auf der Erde begrüßt wurde, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen; aber jedenfalls stieß sie nicht auf heftige Gegenwehr, und nach längerem Umherziehen errichteten sie ihre letzte Zuflucht in den Bergen und Wäldern von Lys.

Am Ende seines langen Lebens hatten sich die Gedanken des Meisters wieder seiner Heimat zugewandt, und er bat seine Freunde, ihn ins Freie zu tragen, damit er die Sterne sehen konnte. Mit sinkender Kraft hatte er die Kulmination der Sieben Sonnen erwartet und gegen das Ende zu viele unverständliche Dinge gemurmelt. Immer wieder erwähnte er die Großen, die dieses Universum aus Raum und Materie verlassen hätten, aber gewiß eines Tages zurückkehren würden, und er beauftragte seine Anhänger, hierzubleiben und sie zu begrüßen. Das waren seine letzten vernünftigen Worte. Danach erkannte er seine Umgebung nicht mehr, aber kurz vor seinem Ende sprach er noch einen Satz, der die Zeiten überdauerte und jeden verfolgte, der ihn hörte: „Es ist herrlich, die farbigen Schatten auf den Planeten des ewigen Lichts zu betrachten.“ Dann starb er.

Nach dem Tode des Meisters zogen viele seiner Anhänger davon, aber andere blieben seiner Lehre treu und bewahrten sie über die Zeiten hinweg. Zuerst glaubten sie, daß die Großen, wer sie auch immer sein mochten, bald zurückkehren würden, aber mit den dahinziehenden Jahrhunderten schwand diese Hoffnung. Die Geschichte wurde hier sehr verwirrt, und es schien, als seien Wahrheit und Legende untrennbar verwoben. Alvin gewann nur ein undeutliches Bild zahlreicher Generationen von Fanatikern, die auf ein großes Ereignis warteten, das sie nicht verstanden und das zu einem unbekannten Zeitpunkt in der Zukunft stattfinden sollte.

Die Großen kehrten niemals zurück. Langsam nahm die Kraft der Bewegung ab, als Tod und Enttäuschung sie ihrer Anhänger beraubten. Die kurzlebigen Menschen verschwanden als erste, und es lag höchste Ironie in der Tatsache, daß der letzte Anhänger eines menschlichen Propheten ein sehr menschenunähnliches Wesen war.

Der große Polyp wurde aus einem ganz einfachen Grunde zum letzten Schüler des Meisters. Er war unsterblich. Die Milliarden individueller Zellen, aus denen sich sein Körper zusammensetzte, starben dahin, aber ehe es soweit kam, pflanzten sie sich fort. In langen Zwischenräumen zerfiel das Wesen in seine Myriaden einzelner Zellen, die ihren eigenen Weg gingen und sich durch Teilung vermehrten, wenn ihre Umwelt das zuließ. Während dieses Stadiums existierte der Polyp nicht als bewußtes, intelligentes Einzelwesen — und hier wurde Alvin unwiderstehlich an die Art erinnert, in der die Bewohner Diaspars viele Jahrtausende in den Gedächtnisanlagen der Stadt zubrachten.

Zu gegebener Zeit vereinigte eine geheimnisvolle biologische Kraft wieder die verstreuten Bestandteile, und der Polyp begann einen neuen Kreislauf der Existenz. Er kehrte ins Bewußtsein zurück und erinnerte sich seiner vergangenen Lebensperioden, obgleich manchmal nur lükkenhaft, da durch Zufall gelegentlich Zellen beschädigt wurden.

Vielleicht hätte keine andere Lebensform einem Glauben so lange treu bleiben können, der im übrigen seit tausend Millionen Jahren vergessen war. In gewisser Hinsicht schien der große Polyp ein hilfloses Opfer seiner biologischen Natur. Seiner Unsterblichkeit wegen konnte er sich nicht verändern; er war gezwungen, in Ewigkeit immer wieder den gleichen Kreislauf zu wiederholen.

Die Religion der Großen wurde in ihrem späten Stadium mit einer Verehrung der Sieben Sonnen gleichgestellt. Als sich die Großen hartnäckig weigerten zu erscheinen, versuchte man, ihre ferne Heimat mit Signalen zu erreichen. Schon vor langer Zeit sank dieses Signalisieren zu einem bedeutungslosen Ritual herab, jetzt durchgeführt von einem Tier, das vergessen hatte, wie man lernte, und einem Roboter, der nie gewußt hatte, wie man vergaß.

Als die unermeßlich alte Stimme schließlich schwieg, wurde Alvin von einer Aufwallung des Mitleids übermannt. Die falsch angebrachte Hingabe, die Treue, die das Wesen nutzlos bewahrt hatte, während Sonnen und Planeten vergingen — nie hätte er eine solche Geschichte geglaubt, wenn er nicht den Beweis vor Augen gehabt hätte. Mehr denn je betrübte ihn das Ausmaß seiner Unwissenheit. Für einen kleinen Augenblick war ein winziger Bruchteil der Vergangenheit aufgehellt, aber jetzt hatte sich schon wieder das Dunkel darüber gebreitet.

Die Geschichte des Universums mußte ein Gewirr aus solchen voneinander getrennten Fäden sein, und niemand konnte entscheiden, welche wichtig und welche unbedeutend waren. Diese phantastische Geschichte vom Meister und den Großen schien eine weitere jener Legenden, die irgendwie die Zivilisation der Frühzeit überlebt hatten. Aber die Existenz des riesigen Polypen und des stumm beobachtenden Roboters hinderten Alvin daran, die ganze Geschichte als Fabel abzutun.

Irgendwie sah er den Roboter als das wichtigere der beiden Wesen an.

Er war der Vertraute des Meisters gewesen und mußte alle seine Geheimnisse kennen.