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Die Wachen des Rates erwarteten ihn, in die förmlichen schwarzen Roben gekleidet, die sie seit Jahrhunderten nicht mehr getragen hatten. Alvin spürte keine Überraschung und kaum Unruhe, als er dieses Empfangskomitee sah. Seit der Abfahrt aus Diaspar hatte er viel gelernt, und mit diesem Wissen eine an Arroganz grenzende Zuversicht erworben.

Überdies besaß er jetzt einen mächtigen, wenn auch launenhaften Verbündeten. Die klügsten Gehirne von Lys waren nicht imstande gewesen, seine Pläne zu durchkreuzen; irgendwie glaubte er, daß es Diaspar ebensowenig gelingen würde.

Für diese Meinung gab es vernünftige Gründe, aber zum Teil beruhten sie auf einer Tatsache, die über die Vernunft hinausging — auf einem Glauben an seine Bestimmung, der sich langsam in Alvin entwickelt hatte. Das Geheimnis seiner Herkunft, die Art, in der sich ihm neue Ausblikke eröffnet hatten, sein Erfolg bei einem Tun, das noch nie jemand gewagt hatte — das alles trug zu seiner Selbstsicherheit bei.

„Alvin“, sagte der Anführer der Stadtwachen, „wir haben den Auftrag, dich überallhin zu begleiten, bis der Rat deinen Fall verhandelt und ein Urteil beschlossen hat.“

„Welchen Vergehens klagt man mich an?“ fragte Alvin. Er war noch von der Aufregung seiner Flucht aus Lys hochgestimmt und versuchte diese neue Entwicklung noch nicht ernst zu nehmen. Wahrscheinlich hatte Khedron ausgepackt; er ärgerte sich über den Spaßmacher, weil er das Geheimnis preisgegeben hatte.

„Eine Anklage ist noch nicht erhoben worden“, kam die Antwort. „Falls nötig, wird man sie nach deiner Einvernahme formulieren.“

„Und wann ist damit zu rechnen?“

„Sehr bald, nehme ich an.“ Der Mann fühlte sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut und wußte auch nicht, wie er diesen unwillkommenen neuen Auftrag ausführen sollte. Einmal behandelte er Alvin wie einen Mitbürger, dann fiel ihm seine Rolle als Bewacher ein, und er nahm eine Haltung übertriebener Ablehnung an.

„Dieser Roboter“, sagte er plötzlich, auf Alvins Begleiter deutend, „woher kommt er? Gehört er der Stadt?“

„Nein“, erwiderte Alvin. „Ich habe ihn in Lys gefunden, in dem Land, das ich besuchte. Ich brachte ihn mit, um ihn dem Zentralgehirn vorzustellen.“

Diese ruhige Feststellung rief beträchtliche Unruhe hervor. Die Tatsache, daß außerhalb Diaspars etwas existierte, war schwer genug zu akzeptieren, aber daß Alvin einen Bewohner mitgebracht hatte und ihn dem Gehirn der Stadt vorführen wollte, übertraf alles. Die Wachen sahen einander so ratlos an, daß Alvin kaum das Lachen verbeißen konnte.

Als sie durch den Park marschierten, wobei die Bewacher diskret im Hintergrund blieben und aufgeregt miteinander flüsterten, überlegte Alvin sein weiteres Vorgehen. Als erstes mußte er herausfinden, was sich in seiner Abwesenheit ereignet hatte. Khedron war verschwunden. Es gab zahllose Stellen in Diaspar, an denen er sich verstecken konnte, und bei der unübertroffenen Stadtkenntnis des Spaßmachers würde es schwerfallen, ihn zu finden, ehe er sich entschloß, wieder aufzutauchen. Vielleicht konnte er eine Botschaft hinterlassen, wo sie Khedron sehen mußte, und ein Zusammentreffen vereinbaren. Die Anwesenheit der Wachen konnte das jedoch vereiteln.

Er mußte zugeben, daß die Überwachung sehr diskret erfolgte. Als er seine Wohnung erreichte, hatte er die Wachen fast vergessen. Er vermutete, daß sie ihm nichts in den Weg legen würden, solange er nicht Diaspar zu verlassen suchte, und das lag ihm im Augenblick fern. Ja, er war sich sogar sicher, daß er auf dem ursprünglichen Weg nicht mehr nach Lys gelangen konnte. Inzwischen würden Seranis und ihre Berater das unterirdische Transportsystem gewiß unterbrochen haben.

Die Wachen folgten ihm nicht in sein Zimmer; sie wußten, daß es nur einen einzigen Ausgang gab, und dort ließen sie sich nieder.

Sobald sich die Wand hinter ihm geschlossen hatte, materialisierte Alvin sein Lieblingssofa und warf sich darauf. Er ließ seine letzten Erzeugnisse in Malerei und Bildhauerei aus den Gedächtnisanlagen erscheinen und betrachtete sie mit kritischem Blick. Er löschte diese Produkte seiner Kindheit für immer. Das Zimmer war wieder leer, bis auf das Sofa und den Roboter, der ihn immer noch mit großen, unergründlichen Augen ansah. Was hielt der Roboter wohl von Diaspar? dachte Alvin. Dann erinnerte er sich daran, daß er kein Fremder hier war, denn er hatte die Stadt in den letzten Tagen ihrer Berührung mit den Sternen gekannt.

Erst als sich Alvin wieder ganz heimisch fühlte, begann er, seine Freunde zu rufen. Er fing mit Eriston und Etania an, wenn auch mehr aus einem gewissen Pflichtgefühl heraus als aus dem wirklichen Wunsch, sie zu sehen. Er bedauerte es nicht, als ihm mitgeteilt wurde, daß sie nicht zu erreichen seien, und hinterließ ihnen eine kurze Nachricht. Das war eigentlich unnötig, weil inzwischen sicher die ganze Stadt von seiner Rückkehr erfahren hatte. Er hoffte jedoch, daß sie seine Zuvorkommenheit schätzen würden; er war dabei, Rücksichtnahme zu lernen, obwohl ihm noch nicht aufgegangen war, daß sie, wie die meisten Tugenden, wenig Wert besaß, solange sie nicht spontan und ohne Hintergedanken geübt wurde.

Dann rief er, einer plötzlichen Eingebung folgend, die Nummer, die ihm Khedron vor so langer Zeit im Turm von Loranne gegeben hatte. Er erwartete natürlich keine Antwort, aber es bestand immerhin die Möglichkeit, daß Khedron eine Nachricht hinterlassen hatte.

Seine Vermutung erwies sich als richtig, aber die Nachricht selbst kam völlig unerwartet.

Die Wand löste sich auf, und Khedrons Bild stand vor ihm. Der Spaßmacher sah müde und nervös aus; er war nicht mehr der sichere, etwas zynische Mensch, der Alvin auf den Pfad nach Lys geführt hatte. Seine Augen blickten gehetzt, und er sprach, als habe er wenig Zeit.

„Alvin“, begann er, „das ist eine Aufzeichnung. Nur du kannst sie empfangen, aber du kannst damit tun, was du willst. Es wird mir nichts mehr ausmachen.

Als ich zum Grabmal Yarlan Zeys zurückkehrte, stellte ich fest, daß uns Alystra gefolgt war. Sie muß dem Rat berichtet haben, daß du Diaspar verlassen hattest und daß ich dir behilflich gewesen bin. Kurz darauf suchten die Wachen nach mir, und ich beschloß, mich zu verstecken.

Daran bin ich gewöhnt — ich war gelegentlich darauf angewiesen, wenn meine Späße nicht den entsprechenden Anklang fanden. Sie hätten mich in tausend Jahren nicht finden können — aber es wäre beinahe einer anderen Person gelungen. Es gibt Fremde in Diaspar, Alvin; sie können nur aus Lys gekommen sein, und sie suchen mich. Ich weiß nicht, was das bedeuten soll, und es gefällt mir nicht. Die Tatsache, daß sie mich beinahe erwischten, obwohl sie sich in einer fremden Stadt befinden, läßt darauf schließen, daß sie telepathische Kräfte besitzen. Ich könnte dem Rat widerstehen, aber das andere ist eine unbekannte Gefahr, der ich mich nicht stellen will.

Ich nehme daher etwas vorweg, was mir der Rat wohl aufzwingen wird, nachdem man es mir bereits früher androhte. Ich gehe an einen Ort, wohin mir niemand folgen kann und wo ich allen Veränderungen entgehe, die über Diaspar hereinbrechen werden. Vielleicht verhalte ich mich unklug; das kann nur die Zeit erweisen.

Eines Tages werde ich die Antwort kennen.

Inzwischen wirst du erraten haben, daß ich in die Halle der Schöpfung, in die Sicherheit der Gedächtnisanlagen, zurückgekehrt bin. Was auch immer geschehen mag, ich setze mein Vertrauen in das Zentralgehirn und die Kräfte, die es zum Besten Diaspars lenken. Wenn irgend etwas das Zentralgehirn verändert, sind wir alle verloren. Anderenfalls habe ich nichts zu fürchten.

Für mich scheint nur ein Augenblick zu vergehen, ehe ich Diaspar in fünfzig- oder hunderttausend Jahren wieder betrete. Welche Art von Stadt werde ich vorfinden? Es wird seltsam sein, wenn auch du da bist; eines Tages werden wir vermutlich wieder zusammentreffen. Ich kann nicht sagen, ob ich mich auf diesen Tag freuen oder ob ich mich vor ihm fürchten soll.