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Es war nur eine Illusion gewesen, nicht wirklicher als die Phantasiewelt der Abenteuer, in der er viele Stunden seiner Jugend verbracht hatte.

Aber wie war sie geschaffen worden? Woher kamen die seltsamen Bilder?

„Es war ein außergewöhnliches Problem“, sagte die ruhige Stimme des Zentralgehirns. „Ich wußte, daß der Roboter eine körperliche Vorstellung von den Großen haben mußte. Wenn ich ihn davon überzeugen konnte, daß die ihm vermittelten Sinneseindrücke mit diesem Bild übereinstimmten, war das übrige einfach.“

„Und wie gelang dir das?“

„Einfach ausgedrückt, indem ich den Roboter fragte, wie die Großen aussehen, und dann die Struktur übernahm. Sie war sehr unvollkommen, und ich mußte improvisieren. Ein- oder zweimal begann das vor mir geschaffene Bild erheblich von der Vorstellung des Roboters abzuweichen, aber ich bemerkte seine Verwirrung und veränderte das Bild, ehe er Verdacht schöpfen konnte. Du wirst begreifen, daß ich Hunderte von Anlagen einsetzen kann, wo dem Roboter nur eine Zelle zur Verfügung steht, und so schnell von einem Bild zum anderen überzuwechseln vermag, daß der Wechsel nicht erkennbar wird. Eigentlich war es ein Zauberkunststück; es gelang mir, die Sinnesanlagen des Roboters zu überladen und auch seine kritischen Fähigkeiten zu überwältigen. Was du gesehen hast, war nur das letzte, korrigierte Bild — jenes, das den Eröffnungen des Meisters am meisten entsprach. Es war unvollkommen, aber es genügte. Der Roboter war lange genug von seiner Echtheit überzeugt, so daß die Sperre aufgehoben wurde, und in diesem Augenblick konnte ich mit seinem Verstand völligen Kontakt aufnehmen. Er ist nicht mehr wahnsinnig; er wird alle Fragen beantworten, die du ihm zu stellen hast.“

Alvin erinnerte sich an die Warnung des Zentralgehirns und fragte besorgt: „Wie steht es mit den moralischen Einwänden, die dich zögern ließen, die Befehle des Meisters außer Kraft zu setzen?“

„Ich habe entdeckt, warum sie gegeben wurden. Wenn du seine Lebensgeschichte im einzelnen durchgehst, wie es jetzt möglich ist, wirst du feststellen, daß er behauptete, viele Wunder vollbracht zu haben.

Seine Anhänger glaubten ihm, und ihre Überzeugungen steigerten seine Macht. Aber für alle diese Wunder gab es natürlich irgendeine einfache Erklärung — wenn die Wunder überhaupt stattfanden. Es überrascht mich, daß sonst sehr intelligente Menschen auf solche Dinge hereinfallen.“

„Der Meister war also ein Betrüger?“

„Nein, so einfach ist das nicht. Wenn er nur ein Scharlatan gewesen wäre, hätte er nie diesen Erfolg gehabt, und seine Bewegung hätte sich niemals so lange gehalten. Er war ein guter Mensch, und vieles an seiner Lehre war richtig und weise. Am Schluß glaubte er an seine eigenen Wunder, aber er wußte, daß es einen Zeugen gab, der sie widerlegen konnte. Der Roboter kannte seine sämtlichen Geheimnisse; er war sein Sprecher und sein Mitstreiter; wenn man ihn aber ausführlich befragen sollte, konnte er die Grundlage seiner Macht zerstören. Deswegen befahl er ihm, seine Erinnerungen bis zum letzten Tag des Universums, wenn die Großen kämen, nicht preiszugeben. Es scheint kaum glaublich, daß in einem Menschen eine derartige Mischung aus Aufrichtigkeit und Täuschung bestehen kann, aber so war es.“

Alvin fragte sich, was der Roboter über seine Befreiung von der uralten Fessel dachte. Er war genügend kompliziert, um Gefühle wie Groll und Zorn verstehen zu können. Vielleicht haßte er den Meister, weil er ihn versklavt hatte — vielleicht haßte er Alvin und das Zentralgehirn, weil sie ihm den gesunden Verstand wieder aufgezwungen hatten.

Die Zone des Schweigens war aufgehoben; sie brauchten nichts mehr geheimzuhalten. Der Augenblick, auf den Alvin gewartet hatte, war gekommen. Er wandte sich an den Roboter und stellte ihm die Frage, die ihn verfolgte, seit er die Geschichte des Meisters gehört hatte.

Jeserac und die Wachen warteten immer noch geduldig. Oben auf der Rampe blickte Alvin noch einmal auf den Saal zurück. Unter ihm lag eine tote Stadt aus seltsamen weißen Gebäuden, eine vom grellen Licht gebleichte Stadt, nicht für menschliche Augen gedacht. Solange die Welt bestand, würden diese stummen Maschinen hier sein.

Obwohl Jeserac auf dem Weg zum Ratssaal Alvin befragte, erfuhr er nichts von dem Gespräch mit dem Zentralgehirn, weil Alvin von seinem Erfolg wie berauscht und zu keinem vernünftigen Gespräch fähig war.

Jeserac mußte sich in Geduld fassen und darauf vertrauen, daß Alvin bald aus seinem Traumzustand aufwachen würde.

Während des ganzen Rückwegs gewann Alvin immer größeren Kontakt zu der Maschine, die er aus ihrer langen Gefangenschaft befreit hatte.

Sie war immer in der Lage gewesen, seine Gedanken zu empfangen, aber vorher hatte er nie gewußt, ob sie seinen Befehlen gehorchen würde. Jetzt gab es diese Unsicherheit nicht mehr; er konnte mit ihr wie mit einem anderen Menschen sprechen, aber er wies sie an, einfache Gedankenbilder zu verwenden, solange sie nicht allein waren. Manchmal ärgerte er sich über die Tatsache, daß Roboter miteinander telepathisch verkehren konnten, obwohl es dem Menschen nicht möglich war — außer in Lys. Auch diese Fähigkeit hatte Diaspar verloren oder absichtlich beseitigt.

Er setzte das stumme, aber etwas einseitige Gespräch fort, während sie im Vorraum des Ratssaales warteten. Bei der gegenwärtigen Situation bot sich unabweisbar der Vergleich mit Lys an, als Seranis und ihre Berater versucht hatten, ihn ihrem Willen gefügig zu machen. Er hoffte, eine weitere Auseinandersetzung vermeiden zu können, aber wenn es soweit kommen sollte, war er weit besser gerüstet als je zuvor.

Sein erster Blick auf die Räte verriet ihm die Entscheidung. Er war weder überrascht noch besonders enttäuscht und zeigte keine der Gefühlsaufwallungen, die die Ratsmitglieder erwartet haben mochten, als der Präsident die Entscheidung begründete.

„Alvin“, begann der Präsident, „wir haben mit großer Sorgfalt die Situation geprüft, die durch deine Entdeckung entstanden ist, und sind zu einer einstimmigen Entscheidung gelangt. Weil niemand eine Veränderung unserer Lebensweise will und weil ferner nur sehr selten jemand geboren wird, der Diaspar überhaupt verlassen kann, ist das Tunnelsystem nach Lys unnötig und sicher auch eine Gefahr. Der Zugang zu der Fließstraßenhöhle wurde daher versiegelt.

Überdies wird eine Durchforschung der MonitorGedächtnisanlagen veranlaßt, da möglicherweise noch andere Wege aus der Stadt hinausführen.

Wir haben uns auch überlegt, ob gegen dich persönlich etwas zu unternehmen sei. Unter Berücksichtigung deiner Jugend und der seltsamen Umstände deiner Herkunft kamen wir zu der Auffassung, einen Tadel für dein Verhalten als unberechtigt anzusehen. Im Gegenteil. Durch die Aufdeckung einer möglichen Gefahr für unsere Lebensweise hast du unserer Stadt einen Dienst geleistet, und wir sprechen dir dafür ausdrücklich unsere uneingeschränkte Anerkennung aus.“

Es gab ein zustimmendes Gemurmel, und die Mienen der Räte nahmen einen Ausdruck der Zufriedenheit an. Man hatte eine schwierige Situation schnellstens bereinigt, eine Zurechtweisung Alvins vermieden und konnte nun wieder seiner Wege gehen, in der Überzeugung, als Bürger von Diaspar seine Pflicht getan zu haben. Bei einigem Glück mochte es Jahrhunderte dauern, bis man wieder zusammentreten mußte.

Der Präsident sah Alvin erwartungsvoll an; vielleicht hoffte er, daß Alvin in seiner Erwiderung die Güte des Rates würdigen werde. Er wurde enttäuscht.

„Darf ich eine Frage stellen?“ fragte Alvin höflich.

„Selbstverständlich.“