Sie wurden plötzlich mit Schmutz überschüttet, als sich ein Teil der Außenhülle öffnete; Jeserac erhaschte einen Blick auf eine kleine, leere Kabine mit einer zweiten Tür. Das Raumschiff schwebte dreißig Zentimeter vor der Öffnung des Luftschachtes, an die es sich vorsichtig heranmanövriert hatte.
„Leb wohl, Jeserac“, sagte Alvin. „Ich kann mich von meinen Freunden in Diaspar nicht verabschieden; erledige du das bitte für mich. Sag Eriston und Etania, daß ich bald zurückzukehren hoffe; wenn es nicht möglich sein sollte, danke ich ihnen für alles, was sie für mich getan haben.
Und ich bin auch dir dankbar, selbst wenn du diese Anwendung deiner Lektion nicht billigen kannst.
Was den Rat angeht — so sag ihm, daß man einen Weg, der einmal offensteht, nicht durch Beschlüsse wieder sperren kann.“
Das Raumschiff war nur noch ein dunkler Fleck am Himmel; wenig später hatte es Jeserac ganz aus den Augen verloren. Vom Himmel hallte das seltsamste Geräusch herüber, das der Mensch jemals erzeugt hatte — der langgezogene Donner, der in einen plötzlich luftleer gesaugten Tunnel am Himmel einstürzenden Luft.
Selbst als die letzten Echos in der Wüste verhallt waren, rührte sich Jeserac nicht. Er dachte an den Jungen, der verschwunden war, denn für Jeserac würde Alvin immer ein Kind bleiben, das einzige Kind, das in Diaspar seit langer Zeit zur Welt gekommen war. Alvin würde nie erwachsen werden; für ihn war das ganze Universum ein Spielzeug, ein Rätselspiel, das seinem Vergnügen diente. Jetzt hatte er das letzte, todbringende Spielzeug gefunden, das den Rest der menschlichen Zivilisation zerstören konnte — aber gleichgültig, wie es ausging, für ihn war es nur ein Spiel.
Die Sonne stand tief am Horizont; ein kühler Wind strich von der Wüste herüber. Aber Jeserac überwand seine Angst, und bald sah er zum erstenmal in seinem Leben die Sterne.
18
Selbst in Diaspar hatte Alvin selten diesen Luxus gesehen, der vor ihm lag, als die innere Tür der Luftschleuse zur Seite glitt. Der Meister war offensichtlich alles andere als ein Asket gewesen. Erst geraume Zeit später fiel Alvin ein, daß dieser Komfort keine sinnlose Verschwendung war; diese kleine Welt mußte das einzige Zuhause des Meisters auf vielen langen Reisen zwischen den Sternen gewesen sein.
Es gab keine sichtbaren Bedienungsgeräte, aber der große, ovale Bildschirm, der die ganze vordere Wand ausfüllte, bewies, daß es sich hier um keinen gewöhnlichen Raum handelte; drei niedrige Sofas waren in einem Halbkreis davor auf gestellt; dahinter standen zwei kleine Tische und eine Anzahl gepolsterter Sessel — von denen einige offensichtlich nicht für menschliche Insassen gedacht waren.
Als Alvin es sich vor dem Bildschirm bequem gemacht hatte, sah er sich nach dem Roboter um. Zu seiner Überraschung war er verschwunden; dann sah er ihn, säuberlich in einer Nische unter der gewölbten Decke verstaut. Er hatte den Meister durch den Weltraum zur Erde gebracht und war ihm dann als Diener nach Lys gefolgt. Jetzt war er bereit, seine alte Aufgabe wieder zu erfüllen, als seien die vergangenen Äonen nie gewesen.
Alvin gab ihm versuchsweise einen Befehl, und der riesige Bildschirm leuchtete auf. Vor ihm lag der Turm von Loranne, seltsam verkürzt und anscheinend auf die Seite gekippt. Weitere Versuche gaben ihm den Blick auf den Himmel, auf die Stadt und auf weite Wüstengebiete frei.
Das Bild war strahlend hell und fast unnatürlich scharf, obwohl ohne Verzögerung. Alvin experimentierte eine Weile, bis er jeden gewünschten Blick erhielt; dann war er startbereit.
„Bring mich nach Lys“ — der Befehl war einfach, aber wie sollte ihm das Schiff gehorchen können, wenn er selbst keine Ahnung von der einzuschlagenden Richtung hatte? Alvin hatte sich das vorher nicht überlegt, und als er daran dachte, raste das Schiff bereits mit gewaltiger Geschwindigkeit über die Wüste. Er zuckte die Achseln und akzeptierte dankbar die Tatsache, daß seine Diener klüger waren als er selbst.
Der Maßstab des auf dem Schirm dahinrasenden Bildes war schwer zu bestimmen, aber sie legten anscheinend jede Minute viele Kilometer zurück. Nicht weit von der Stadt hatte sich die Farbe des Bodens plötzlich zu einem trüben Grau verändert, und Alvin wußte, daß er jetzt das Bett eines der verschwundenen Meere überflog. Diaspar mußte einst sehr nah am Meer gelegen haben, obwohl nicht einmal die ältesten Aufzeichnungen Andeutungen darüber enthielten. So alt die Stadt auch war, die Meere mußten lange vor ihrer Erbauung dahingegangen sein.
Hunderte von Kilometern später stieg der Boden steil an, und die Wüste kehrte wieder. Einmal brachte Alvin sein Schiff über einem merkwürdigen Muster sich überschneidender Linien zum Stehen, die sich schwach im Sand abzeichneten. Einen Augenblick war er verblüfft; dann begriff er, daß er auf die Ruinen einer vergessenen Stadt hinuntersah. Er blieb nicht lange; der Gedanke, daß Milliarden Menschen keine andere Spur ihres Daseins als diese Furchen im Sand hinterlassen hatten, war bedrückend.
Die glatte Wölbung des Horizonts löste sich endlich auf, faltete sich zu Gebirgen, die er auch schon erreichte, kaum daß er sie entdeckt hatte.
Das Schiff verlangsamte seine Fahrt und schwebte in einem weiten Bogen auf die Erde hinab. Und dann lag Lys unter ihm, seine Wälder und endlosen Flüsse, eine Szene so unvergleichlicher Schönheit, daß er eine Weile blieb. Im Osten lag das Land im Schatten, und die großen Seen schwammen auf ihm wie Teiche aus dunkler Nacht. Aber im Westen tanzte und glitzerte das Wasser im Sonnenschein, warf Farben zurück, die er nie gesehen hatte.
Airlee war leicht zu entdecken — glücklicherweise, weil ihn der Roboter nicht mehr leiten konnte. Alvin hatte das erwartet und war ein wenig froh, eine Begrenzung seiner Macht gefunden zu haben.
Nach einigen Versuchen landete Alvin sein Schiff auf dem Hügel, von dem aus er Lys zum erstenmal erblickt hatte. Das Schiff war ganz leicht zu bedienen; er brauchte nur seine Wünsche zu formulieren, alles andere erledigte der Roboter. Er würde wahrscheinlich gefahrbringende oder unausführbare Anweisungen ignorieren, obgleich Alvin nicht die Absicht hatte, solche Befehle zu erteilen, wenn er es vermeiden konnte. Alvin war sich ziemlich gewiß, daß niemand seine Ankunft bemerkt hatte. Er hielt das für sehr wichtig, weil er nicht beabsichtigte, noch einmal mit Seranis einen geistigen Kampf auszutragen. Seine Pläne waren noch etwas unklar, aber er ging kein Risiko ein, bis er freundschaftliche Beziehungen aufgenommen hatte. Der Roboter konnte ihm als Botschafter dienen, während er selbst im Raumschiff blieb.
Auf der Straße nach Airlee begegnete ihm niemand. Es war ein merkwürdiges Gefühl, im Raumschiff zu sitzen, während sein Blick mühelos auf dem vertrauten Weg dahinglitt und das Rauschen des Waldes in seinen Ohren klang. Noch konnte er sich nicht völlig mit dem Roboter identifizieren, und seine Steuerung verursachte immer noch erhebliche Anstrengung.
Es war beinahe ganz dunkel, als er Airlee erreichte; die kleinen Häuser schwammen in Tümpeln aus Licht. Alvin hielt sich im Schatten und hatte Seranis' Haus fast erreicht, als man ihn entdeckte. Plötzlich hörte er ein zorniges Summen, und seine Sicht wurde durch surrende Flügel verdeckt. Er wich unwillkürlich zurück; dann begriff er, was geschehen war.
Krif brachte wieder einmal seine Mißbilligung zum Ausdruck.
Alvin wollte das schöne, aber dumme Insekt nicht verletzen; er brachte den Roboter zum Stehen und ertrug die auf ihn niederprasselnden Schläge, so gut es eben ging. Obwohl er eineinhalb Kilometer entfernt in aller Bequemlichkeit in seinem Schiff saß, konnte er ein Zusammenzukken nicht vermeiden; er war froh, als Hilvar schließlich herauskam, um nachzusehen.