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War es das wirklich? Die lange Wacht dieser Wesen hatte schließlich ihre Belohnung gefunden. Wie durch ein Wunder hatten sie ein Wissen aus der Vergangenheit herübergerettet, das sonst für immer verloren gewesen wäre. Jetzt konnten sie in Frieden ruhen.

19

Hilvar und Alvin gingen in nachdenklichem Schweigen zum wartenden Schiff zurück, und bald war die Festung nur mehr ein dunkler Schatten im Gebirge. Er schrumpfte immer mehr zusammen, bis er einem schwarzen, lidlosen Auge glich, das in den Weltraum starrte; kurze Zeit später verlor er sich im großen Panorama von Lys.

Alvin bremste das Raumschiff nicht ab; immer noch stiegen sie, bis ganz Lys unter ihnen ausgebreitet lag, eine grüne Insel in einem ockerfarbenen Meer. Nie zuvor war Alvin so hoch oben gewesen; als sie schließlich zum Stillstand kamen, war die ganze Halbkugel sichtbar. Lys war jetzt ganz klein, nur ein smaragdener Flecken in der rostfarbenen Wüste — aber weit hinter der Wölbung des Globus glitzerte etwas wie ein vielfarbiges Schmuckstück. Und so sah Hilvar zum erstenmal die Stadt Diaspar.

Sie saßen lange Zeit schweigend in ihren Sesseln und beobachteten, wie sich die Erde unter ihnen drehte. Alvin wünschte die Welt, wie er sie jetzt sah, den Herrschern von Lys und Diaspar zeigen zu können.

„Hilvar“, sagte er schließlich, „glaubst du, daß es richtig ist, was ich mache?“

Die Frage überraschte Hilvar, der plötzliche Zweifel bei seinem Freund nicht gewöhnt war und auch von Alvins Zusammentreffen mit dem Zentralgehirn noch nichts wußte.

„Ich glaube, du handelst richtig“, antwortete Hilvar langsam. „Unsere Völker waren lange genug getrennt.“ Das ist wahr, dachte er, obgleich er wußte, daß die Antwort von seinen persönlichen Gefühlen beeinflußt wurde. Aber Alvin machte sich noch immer Sorgen.

„Mich stört vor allem eine Sache“, fuhr er mit besorgter Stimme fort,

„und das ist der Unterschied in unserer Lebensdauer.“ Er schwieg, aber jeder wußte, was der andere dachte.

„Das hat mich auch schon beschäftigt“, gab Hilvar zu, „aber ich glaube, daß sich das Problem mit der Zeit selbst lösen wird, wenn sich unsere Leute gegenseitig kennenlernen. Wir können nicht beide recht haben — unser Leben mag kurz sein, dafür ist das eure entschieden zu lang. Man wird sich schließlich auf einen Kompromiß einigen.“

Alvin blieb skeptisch. Natürlich lag auf diesem Weg die einzige Hoffnung, aber die Zeit des Übergangs würde schwer werden. Er dachte wieder an die bitteren Worte Seranis': ›Er und ich werden Jahrhunderte tot sein, während Sie noch ein Jüngling sind.‹ Nun gut; er akzeptierte die Bedingungen. Selbst in Diaspar lagen alle Freundschaften unter dem gleichen Schatten; am Ende spielte es keine Rolle mehr, ob es in hundert oder in einer Million Jahre kam.

Alvin wußte mit einer Sicherheit, die über alle Logik hinausging, daß die Zukunft der Menschheit von der Veränderung dieser beiden Kulturen abhing; in einem solchen Fall war persönliches Glück unwichtig. Einen Augenblick lang sah Alvin die Menschheit als etwas mehr, als daß sie nur den lebenden Hintergrund für sein eigenes Dasein abgab, und akzeptierte aufrecht das Unglück, das seine Wahl eines Tages mit sich bringen mußte.

Unter ihnen drehte sich die Erde endlos um ihre Achse. Hilvar schwieg, bis Alvin die Stille brach.

„Als ich Diaspar zum erstenmal verließ“, sagte er, „wußte ich nicht, was ich zu finden hoffte. Lys hätte mich früher einmal befriedigt — mehr als befriedigt —, aber jetzt scheint mir alles auf der Erde so klein und unwichtig. Jede meiner Entdeckungen erweckt größere Fragen und eröffnet weitere Horizonte. Ich frage mich, wo das enden wird…“ — Hilvar hatte Alvin noch nie in einer so grüblerischen Stimmung gesehen; er wollte seinen Monolog nicht unterbrechen. In den letzten Minuten hatte er viel über seinen Freund erfahren.

„Der Roboter sagte mir“, fuhr Alvin fort, „daß dieses Schiff die Sieben Sonnen in weniger als einem Tag erreichen kann. Was meinst du? Soll ich hinfliegen?“

„Glaubst du, ich könnte dich aufhalten?“ erwiderte Hilvar ruhig. Alvin lächelte.

„Das ist keine Antwort“, sagte er. „Wer weiß, was draußen im Weltraum liegt? Vielleicht haben die Invasoren das Universum verlassen, aber es könnte andere Intelligenzen geben, die dem Menschen nicht freundlich gesinnt sind.“

„Wie kommst du darauf?“ fragte Hilvar. „Mit dieser Frage beschäftigen sich unsere Philosophen seit langer Zeit. Eine wirklich intelligente Rasse kann praktisch nicht böse sein.“

„Aber die Invasoren?“

„Sie sind ein Rätsel, das gebe ich zu. Wenn sie tatsächlich bösartig waren, müssen sie sich in der Zwischenzeit selbst vernichtet haben. Und wenn auch nicht —“, Hilvar deutete auf die endlosen Wüsten. „Einst besaßen wir ein Imperium. Was besitzen wir jetzt, das sie begehren könnten?“

Alvin war ein wenig überrascht, daß jemand einen Standpunkt einnahm, der dem seinigen so nahe verwandt war.

„Denken alle deine Leute so?“ fragte er.

„Nur eine Minderheit. Der Normalbürger macht sich keine Gedanken darüber; er würde aber wahrscheinlich sagen, daß die Invasoren die Erde schon vor langer Zeit vernichtet hätten, wenn sie das wirklich wollten.

Ich glaube nicht, daß sich wirklich jemand vor ihnen fürchtet.“

„In Diaspar liegen die Dinge ganz anders“, sagte Alvin. „Meine Leute sind große Feiglinge. Sie haben Angst davor, die Stadt zu verlassen, und ich weiß nicht, was geschieht, wenn sie erfahren, daß ich ein Raumschiff gefunden habe. Jeserac wird es dem Rat inzwischen erzählt haben; ich möchte wissen, was er zu tun gedenkt.“

„Das kann ich dir sagen. Er bereitet sich auf den Empfang der ersten Abordnung aus Lys vor. Seranis hat es mir eben mitgeteilt.“

Alvin schaute wieder auf den Bildschirm. Er konnte die Entfernung zwischen Lys und Diaspar mit einem einzigen Blick überbrücken; obwohl eines seiner Ziele erreicht war, schien es jetzt sehr unbedeutend. Aber er freute sich; die langen Zeitalter der unfruchtbaren Isolierung waren gewiß vorbei.

Das Wissen, etwas erreicht zu haben, das er einmal als seine Hauptaufgabe angesehen hatte, beseitigte seine letzten Zweifel. Er hatte sein Ziel hier auf der Erde erreicht, schneller und vollständiger, als er je zu hoffen gewagt hatte. Der Weg zu seinem vielleicht letzten, sicher aber größten Abenteuer lag klar vor ihm.

„Kommst du mit mir, Hilvar?“ sagte er, obwohl er genau wußte, was er hier verlangte.

„Diese Frage war unnötig, Alvin“, erwiderte Hilvar. „Ich habe Seranis und meinen Freunden mitgeteilt, daß ich mit dir gehe — vor einer guten Stunde.“

Sie schwebten in großer Höhe, als Alvin dem Roboter die letzten Anweisungen gab. Das Raumschiff war fast völlig zum Stillstand gekommen, und die Erde lag etwa sechzehnhundert Kilometer unter ihnen, beinahe den Himmel ausfüllend. Dann gab es ein schwaches Geräusch, das erste, das Alvin jemals von einer Maschine hörte. Es war ein ganz leises Summen, das schnell Oktave um Oktave emporstieg, bis es den Hörbereich verließ. Man konnte keine Veränderung oder Bewegung feststellen, aber plötzlich bemerkte er, daß die Sterne über den Bildschirm glitten.

Die Erde erschien wieder und trieb vorbei — erschien wieder, in etwas veränderter Position. Das Schiff suchte; es schwang im Weltraum hin und her, wie eine nach Norden zielende Kompaßnadel. Minutenlang drehte sich der Himmel um sie, bis das Raumschiff schließlich zur Ruhe kam — ein Riesengeschoß, auf die Sterne gezielt.

Im Mittelpunkt des Bildschirms lag der große Ring der Sieben Sonnen in seiner regenbogenfarbenen Schönheit. Ein winziges Teilstück der Erde war noch als dunkle Sichel mit dem goldenen und blutroten Rand des Sonnenunterganges sichtbar. Alvin wußte, daß jetzt etwas geschah, was über alle Erfahrungen hinausging. Er umklammerte die Armlehnen seines Sessels und wartete, während die Sekunden vergingen, und die Sieben Sonnen auf dem Bildschirm glitzerten.