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„Jetzt können wir die Stadt richtig öffnen“, sagte Alvin. „Es mag noch lange dauern, aber wir werden diese Furcht bannen, damit jeder, der es will, Diaspar verlassen kann.“

„Es wird lange dauern“, erwiderte Gerane trocken. „Und vergessen Sie nicht, daß Lys nicht groß genug ist, um noch einige hundert Millionen Menschen aufzunehmen, wenn sich alle Bewohner Diaspars entschließen wollten, hierherzukommen. Ich halte das nicht für wahrscheinlich, aber möglich ist es immerhin.“

„Dieses Problem wird sich zur gegebenen Zeit selbst lösen“, meinte Alvin. „Lys ist klein, ja, aber die Welt ist weit. Warum sollten wir alles der Wüste überlassen?“

„Du träumst also immer noch, Alvin“, sagte Jeserac mit einem Lächeln.

„Ich fragte mich schon, was wohl für dich zu tun bleiben würde.“

Alvin antwortete nicht; das war eine Frage, die auch in seinem Inneren während der letzten Wochen immer dringlicher geworden war. Er blieb hinter den anderen etwas zurück, als sie den Hügel nach Airlee hinunterschritten. Würden die vor ihm liegenden Jahrhunderte nur eine einzige, lange Trostlosigkeit sein?

Die Antwort lag in seinen eigenen Händen. Er hatte seine Bestimmung erfüllt; vielleicht konnte er jetzt anfangen zu leben.

26

In der Erfüllung, im Wissen, daß ein lang ersehntes Ziel endlich erreicht ist und daß das Leben jetzt auf neue Ziele hin geformt werden muß, liegt eine besondere Traurigkeit. Alvin erfuhr sie, als er allein durch die Wälder und Wiesen von Lys wanderte. Nicht einmal Hilvar begleitete ihn, denn es gibt Zeiten, in denen ein Mann auch seine engsten Freunde nicht brauchen kann.

Er streifte nicht ziellos umher, obwohl er nie genau wußte, welches Dorf er als nächstes aufsuchen würde. Er suchte nicht nach einem bestimmten Ort, sondern nach einer Stimmung, einem Einfluß — ja, nach einer Lebensweise. Diaspar brauchte ihn nicht mehr; die Gärstoffe, die er in die Stadt gebracht hatte, arbeiteten schnell, und die Veränderungen, die dort vorgingen, konnte er weder beschleunigen noch hemmen.

Auch dieses friedliche Land würde sich verändern. Oft fragte er sich, ob es unrecht gewesen war, in dem unbarmherzigen Drang, seine eigene Neugier zu befriedigen, den alten Weg zwischen den beiden Kulturen freizulegen. Aber die Wahrheit war auch für Lys besser — daß es, wie Diaspar, zum Teil auf Ängsten und Falschheiten aufgebaut worden war.

Manchmal fragte er sich auch, welche Form die neue Gesellschaft annehmen würde. Er glaubte, daß Diaspar aus dem Gefängnis der Gedächtnisanlagen entfliehen und den Zyklus von Leben und Tod wiederherstellen müßte. Hilvar war überzeugt, das erreichen zu können, obwohl seine Vorschläge zu technisch waren und Alvin unverständlich blieben.

Vielleicht würde auch in Diaspar wieder eine Zeit kommen, in der die Liebe nicht mehr unfruchtbar bleiben mußte.

War es das, dachte Alvin, was ihm in Diaspar immer gefehlt — was er wirklich gesucht hatte? Er wußte jetzt, wenn Ehrgeiz, Macht und Neugierde befriedigt waren, blieben immer noch die Wünsche des Herzens.

Niemand hatte wirklich gelebt, wenn ihm nicht diese Verbindung von Liebe und Begierde gelungen war.

Er hatte die Planeten der Sieben Sonnen betreten — der erste Mensch nach einer Milliarde Jahre. Aber das bedeutete ihm wenig; manchmal, dachte er, gäbe er alle diese Taten für das Schreien eines kleinen Kindes, seines Kindes, hin.

In Lys würde er vielleicht eines Tages finden, was er suchte; die Menschen dort besaßen jene Warmherzigkeit, jenes Verständnis, die in Diaspar fehlten. Aber ehe er ruhen, ehe er Frieden finden konnte, mußte noch eine Entscheidung getroffen werden.

In seine Hände war Macht gelegt worden, die er noch immer besaß. Diese Verantwortung hatte er einst eifrig gesucht und angenommen, aber jetzt wußte er, daß er keinen Frieden finden würde, solange sie ihm noch gehörte. Aber er durfte sie nicht wegwerfen.

Er befand sich in einem Dorf mit kleinen Kanälen, am Ufer eines großen Sees, als er seine Entscheidung traf. Die farbigen Häuser, die auf den sanften Wellen verankert schienen, boten ein Bild beinahe unwirklicher Schönheit. Hier gab es Leben und Wärme und Behaglichkeit — alles, was er in der Pracht der Sieben Sonnen vermißt hatte.

Eines Tages würde die Menschheit wieder für den Weltraum bereit sein.

Welche neuen Kapitel der Mensch unter den Sternen schreiben würde, wußte Alvin nicht. Das ging ihn nichts an; seine Zukunft lag hier auf der Erde.

Aber er würde noch einen Flug unternehmen, ehe er den Sternen den Rücken kehrte.

Als Alvin das emporstrebende Schiff bremste, lag die Stadt zu weit entfernt, um noch als Menschenwerk zu erscheinen, und man konnte bereits die Wölbung der Erdkugel sehen. Bald darauf sahen sie die Dämmerungsgrenze, die Tausende Kilometer entfernt über die Wüste vordrang. Über und neben ihnen funkelten die Sterne.

Hilvar und Jeserac schwiegen; sie ahnten Alvins Gründe für diesen Flug, ohne sie jedoch genau zu kennen. Keinem war nach Reden zumute, als sich das trostlose Panorama unter ihnen ausbreitete. Diese Leere bedrückte sie beide, und Jeserac fühlte plötzlich verächtlichen Zorn gegen die Menschen der Vergangenheit in sich aufsteigen, die durch ihre Nachlässigkeit die Schönheit der Erde auf dem Gewissen hatten.

Er hoffte, daß Alvin recht hatte, wenn er davon träumte, all das ändern zu können. Macht und Wissen dafür existierten noch — es bedurfte nur noch des Willens, die Jahrhunderte zurückzudrehen und die Meere wieder zu füllen. Das Wasser war noch da, tief unten in der Erde; oder man konnte Umwandlungsanlagen bauen, die es produzierten.

In den vor ihnen liegenden Jahren gab es so viel zu tun. Jeserac wußte, daß er zwischen zwei Zeitaltern stand, überall um ihn herum konnte er fühlen, wie der Puls der Menschheit wieder schneller zu schlagen begann. Man stand vor großen Problemen — aber Diaspar würde sich nicht abwenden.

Alvin unterbrach seine Träumerei; und Jeserac wandte sich zum Bildschirm.

„Ich wollte, daß du das siehst“, sagte Alvin leise. „Du wirst vielleicht nie mehr Gelegenheit dazu bekommen.“

„Willst du die Erde verlassen?“

„Nein. Ich will mit dem Weltraum nichts mehr zu tun haben. Selbst wenn noch andere Zivilisationen in dieser Galaxis überlebt haben sollten, dürfte sich die Mühe, sie zu finden, nicht lohnen.

Hier gibt es. soviel zu tun. Ich weiß jetzt, daß das meine Heimat ist, und ich werde sie nicht wieder verlassen.“

Er schaute auf die großen Wüsten hinab, aber seine Augen sahen die Wasserfluten, die in tausend Jahren dort wogen würden. Der Mensch hatte seine Welt wieder entdeckt, und er würde ihr Schönheit geben, solange er dort lebte. Und danach — „Wir sind noch nicht bereit, zu den Sternen zu fliegen, und es wird noch lange Zeit dauern, bis wir ihre Herausforderung annehmen können. Ich habe mich gefragt, was ich mit diesem Schiff tun soll. Wenn es hier auf der Erde bleibt, wird es mich immer reizen, so daß ich nie zur Ruhe kommen kann. Aber ich darf es nicht vergeuden; es ist mir irgendwie anvertraut, und ich muß es zum Wohl der Erde einsetzen.

Ich habe mich daher zu Folgendem entschlossen. Ich werde es aus der Galaxis hinausschicken, mit dem Roboter am Steuer; es soll entdecken, was mit unseren Vorfahren geschehen ist — und, wenn möglich, was sie suchten, als sie unser Universum verließen. Es mußte etwas Herrliches gewesen sein, sonst hätten sie nicht soviel aufgegeben.

Der Roboter wird nie müde werden, solange die Fahrt auch dauern mag.

Eines Tages werden unsere Verwandten meine Botschaft erhalten und wissen, daß wir sie hier auf der Erde erwarten. Sie werden zurückkehren, und ich hoffe, daß wir ihrer bis dahin wert sein werden, wie mächtig sie auch geworden sein mögen.“