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Er war viele Wochen nicht mehr hier gewesen, und er wußte, daß sich das Bild des Sternhimmels inzwischen gewandelt haben mußte. Aber trotzdem war er nicht auf den ersten Anblick der Sieben Sonnen vorbereitet.

Sie konnten keinen anderen Namen tragen; die Worte kamen ihm wie von selbst auf die Lippen. Sie bildeten eine winzige, sehr enge und erstaunlich symmetrische Gruppe gegen das Abendrot. Sechs Sonnen waren in einer leicht abgeflachten Ellipse angeordnet, in Wirklichkeit, das wußte Alvin, ein perfekter Kreis. Jeder Stern besaß eine andere Farbe; er konnte Rot, Blau, Grün und Gold benennen, aber die anderen Färbungen entzogen sich seinem Auge. Genau im Mittelpunkt der Gruppe schwebte ein einzelner weißer Riese — der hellste Stern am ganzen Himmel. Die Gruppe sah wie ein Schmuckstück aus; es schien unglaublich und außerhalb aller Gesetze des Zufalls, daß der Natur jemals ein so vollkommenes Modell geglückt sein sollte.

Als sich seine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnten, konnte Alvin den großen, nebligen Schleier erkennen, den man einst Milchstraße genannt hatte. Er reichte vom Zenit bis zum Horizont und beherbergte auch die Sieben Sonnen. Die anderen Sterne waren jetzt hervorgetreten, um sie herauszufordern, und ihre zufällige Gruppierung unterstrich nur das Rätselhafte dieser vollkommenen Symmetrie. Es schien, als habe sich eine Macht gegen die Unordnung des natürlichen Universums erklärt, indem sie ihr Zeichen an den Himmel setzte.

Zehnmal, nicht öfter, hatte sich die Milchstraße um ihre Achse gedreht, seit der Mensch auf der Erde zum erstenmal aufrecht gegangen war.

Nach ihren eigenen Maßstäben nur ein Augenblick.

Und doch hatte sie sich in dieser kurzen Periode völlig verändert — weit mehr verändert, als ihr im normalen Ablauf der Dinge zugestanden wäre.

Die riesigen Sonnen, die in der Pracht ihrer Jugend einst so ungestüm geblendet hatten, flackerten jetzt ihrem Untergang entgegen. Aber Alvin hatte den Himmel in seiner alten Pracht nie gesehen und spürte daher nichts von diesem Verlust.

Die Kälte drang ihm bis in die Knochen und trieb ihn zur Stadt zurück. Er ließ das Gitter los und rieb sich die Hände und Arme warm. Vor ihm, unten im Tunnel, leuchtete das Licht Diaspars so strahlend, daß er für eine Sekunde die Augen abwenden mußte. Außerhalb der Stadt gab es so etwas wie Tag und Nacht, aber in ihrem Innern existierte nur der ewige Tag. Wenn die Sonne am Himmel niedersank, füllte sich Diaspar mit Licht, und keiner bemerkte das Verschwinden der natürlichen Beleuchtung. Schon bevor die Menschen den Schlaf nicht mehr brauchten, hatten sie die Dunkelheit aus ihren Städten vertrieben. Die einzige Nacht, die je über Diaspar kam, war eine äußerst seltene und unvorhersehbare Verdunklung, die manchmal den Park heimsuchte.

Alvin ging langsam durch den Spiegelsaal zurück, seine Gedanken noch voll von Nacht und Sternen. Er fühlte sich erhoben und doch bedrückt.

Es schien keinen Weg zu geben, auf dem er jemals in diese gewaltige Leere entkommen konnte — und keinen vernünftigen Sinn für dieses Vorhaben. Jeserac hatte gesagt, daß ein Mensch in der Wüste bald sterben würde, und Alvin glaubte ihm das. Vielleicht würde er eines Tages einen Weg entdecken, auf dem er Diaspar verlassen konnte, aber selbst wenn es ihm gelang, würde er bald zurückkehren müssen, das wußte er. Die Wüste zu erreichen, war ein vergnügliches Spiel, mehr nicht. Es war ein Spiel, das er mit niemandem teilen konnte und das ihn eigentlich nirgends hinführen würde. Aber es war sinnvoll, wenn es seine Sehnsucht beschwichtigen half.

Alvin zögerte vor den Spiegelungen der Vergangenheit, als kehre er nur ungern in die vertraute Welt zurück. Er stand vor einem der großen Spiegel und beobachtete die Szenen, die in seinen Tiefen auftauchten und wieder verschwanden. Der Mechanismus, der diese Bilder erzeugte, wurde durch seine Gegenwart und bis zu einem gewissen Grade durch seine Gedanken gesteuert. Wenn er in den Saal trat, waren die Spiegel leer; sie füllten sich erst mit Bewegung, wenn er vor ihnen stand.

Jetzt schien er sich in einem großen, offenen Hof zu befinden, den er in Wirklichkeit nie gesehen hatte, den es aber wahrscheinlich irgendwo in Diaspar gab. Der Hof war ungewöhnlich überfüllt; irgendeine öffentliche Versammlung schien im Gang zu sein. Zwei Männer diskutierten miteinander höflich auf einer erhöhten Plattform, umringt von ihren Anhängern, die sich gelegentlich einmischten. Die völlige Stille trug zum Zauber der Szene bei, denn die Phantasie versuchte sofort, die fehlenden Geräusche beizusteuern. Worüber diskutierten sie? dachte Alvin. Vielleicht war es nicht eine wirkliche Szene aus der Vergangenheit, sondern reine Erfindung. Die sorgfältig ausgewogene Balance der Figuren, die förmlichen Bewegungen, all das wirkte zu sehr geputzt für wirkliches Leben.

Er beobachtete die Menge und suchte nach Bekannten. Er erkannte keinen Menschen, aber er mochte Freunde ansehen, denen er erst Jahrhunderte später begegnen würde. Wie viele mögliche Abwandlungen des menschlichen Angesichts gab es? Die Zahl war gewaltig, aber trotzdem endlich, besonders, da die unästhetischen Möglichkeiten beseitigt worden waren.

Die Menschen in der Spiegelwelt setzten ihre Diskussion fort und ignorierten das Bild Alvins, das bewegungslos unter ihnen stand. Manchmal fiel es schwer zu glauben, daß er nicht selbst Teil der Szene war, so vollkommen wirkte die Illusion. Wenn eines der Scheingebilde im Spiegel hinter Alvin zu treten schien, verschwand es, wie in der Wirklichkeit; wenn sich jemand vor ihn stellte, wurde er selbst verdeckt.

Er wollte eben gehen, als er einen seltsam gekleideten Mann bemerkte, der etwas abseits von der Hauptgruppe stand. Seine Bewegungen, seine Kleidung — alles an ihm schien irgendwie nicht in diese Versammlung zu passen. Er störte das Bild; wie Alvin war er ein Anachronismus.

Er war wesentlich mehr als das. Er war wirklich, und er sah Alvin mit einem spöttischen Lächeln an.

5

In seinen zwanzig Lebensjahren hatte Alvin nicht einmal ein Tausendstel der Einwohner Diaspars kennengelernt. Es überraschte ihn daher nicht, daß der Mann vor ihm ein Fremder war. Was ihn erstaunte, war die Tatsache, hier in diesem verlassenen Turm an der Grenze zum Unbekannten überhaupt einen Menschen zu treffen.

Er wandte der Spiegelwelt den Rücken zu und starrte den Eindringling an. Ehe er den Mund auftun konnte, sprach ihn der andere an.

„Du bist Alvin. Als ich entdeckte, daß jemand diesen Turm besucht, hätte ich mir denken können, daß du es bist.“

Die Bemerkung sollte offensichtlich nicht beleidigend wirken; es war eine einfache Feststellung, und Alvin akzeptierte sie als solche. Es überraschte ihn nicht, daß man ihn erkannte; durch seine Einzigartigkeit und ihre verborgenen Möglichkeiten war er jedem Einwohner Diaspars bekannt geworden, ob ihm das nun gefiel oder nicht.

„Ich bin Khedron“, fuhr der Fremde fort, als erkläre das alles. „Man nennt mich den Spaßmacher.“

Alvin sah ihn verständnislos an, und Khedron zuckte spöttisch resigniert die Achseln.

„Ach, so geht es mit dem Ruhm. Immerhin, du bist noch jung, und in deinem Leben hat es noch keine Späße gegeben. Deine Unwissenheit ist entschuldigt.“

Khedron hatte etwas erfrischend Ungewöhnliches an sich. Alvin forschte in Gedanken nach der Bedeutung des seltsamen Wortes Spaßmacher; es rief irgendeine verschwommene Erinnerung in ihm wach, aber er konnte sie nicht definieren. In der komplizierten Gesellschaftsstruktur der Stadt gab es viele derartige Titel, und man brauchte meistens sein ganzes Leben, um sie alle behalten zu können.