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Freds Verschwinden wurde Ellis Zauberkünsten zugeschrieben, und die Angst, die man vor ihr hatte, war jetzt noch größer. Aber auch die Aufsicht über sie wurde derart verschärft, daß sie es fast nicht mehr ertrug. Zwei Tanten des Königs wichen Tag und Nacht keinen Schritt von ihrer Seite, und fast ein Dutzend Spione schlichen ständig um sie herum. „Sollen sie nur", lächelte Elli. „Hauptsache, Fred ist oben." Fred konnte es nach der geglückten Flucht nicht fassen, daß er nach so vielen Wochen der Gefangenschaft wieder frei und dazu noch im Wunderland war. Über ihm breitete sich, wie in der Höhle, ein Gewölbe, nur war es nicht von goldgelben Wolken überzogen. Die dunkelblaue Himmelskuppel verlor sich in unendlicher Ferne, in der Myriaden Sterne funkelten. Es wurde Fred schwindlig, und er hielt sich kaum noch auf den Beinen. Süße Wohlgerüche und unbekannte Klänge umgaben ihn. Der Weg zu den Siedlungen der Käuer führte durch einen Wald. Zu beiden Seiten standen riesige Bäume mit großen weißrosa Blüten, die ein herbes Aroma ausströmten. Von den Zweigen flatterten grüne, rote und blaue Papageien auf, die dummes Zeug schwatzten. Aus dem Dickicht drangen geheimnisvolle Geräusche. Die taufrische, von Blumenduft erfüllte Luft berauschte den Wanderer, der so lange in der dumpfen Höhle hatte leben müssen. Ein Gefühl der Kraft und der Freude schwellte seine Brust. „Die unterirdischen Menschen müssen wahnsinnig gewesen sein, als sie freiwillig auf die Reize der oberen Welt verzichteten", murmelte der Junge. „Wüßten sie, wie schön es hier ist…"

Seitlich des Weges lag ein Dorf. Mit Wohlgefallen betrachtete Fred die

runden Häuser mit den spitzen Dächern. Er trat in den ersten Hof und klopfte an die Tür. Ihm öffnete ein verschlafener Mann, der erschrocken zurückwich, als er einen Menschen in bunten Kleidern mit einer Leuchtkugel auf dem Kopf erblickte.

„Wer bist du? Was wünschst du?" fragte der Käuer.

„Ich heiße Fred Cunning und komme aus dem unterirdischen Land. ."

„Wir haben mit den unterirdischen Erzgräbern erst unlängst unsere Waren ausgetauscht, bis zum nächsten Markttag ist es noch lange."

„Ich bin nicht deswegen hier", entgegnete Fred. „Ich bin aus der Gefangenschaft entflohen, aber meine Cousine Elli ist noch dort."

„Elli, die Fee des Tötenden Häuschens?"

Der Mann war wie verwandelt, als er erfuhr, wer vor ihm stand. Stürmisch begrüßte er den Jungen, der sich jedoch nach all den Aufregungen plötzlich sehr schwach fühlte. Außerdem hatte er seit mehr als 24 Stunden nichts gegessen. Kaum hörbar beantwortete er die Fragen des Käuers und ließ sich erschöpft auf der Schwelle nieder. Der bestürzte Käuer sagte seiner Frau, sie solle sich um den Gast kümmern, und lief seine Dorfgenossen wecken. Eine Viertelstunde später war Fred von einer Menge kleiner Männer und Frauen mit schellenbehangenen spitzen Hüten umringt. Nachdem er etwas Milch und Obst zu sich genommen hatte, sagte der Junge, er müsse schleunigst in die Smaragdenstadt aufbrechen.

„Ich muß den Scheuch und den Eisernen Holzfäller von einem Krieg abhalten."

Beim schrecklichen Wort „Krieg" begannen die weichherzigen Käuer zu weinen.

„Wir können und wollen nicht kämpfen", schluchzten sie. „In einem Krieg würden wir alle umkommen."

„Hört auf!" sagte Fred. „Ich bin ja eigens aus der Höhle geflohen, um den Frieden zu erhalten!"

Die Käuer beruhigten sich und sagten, der Frieden sei eine gute Sache. „Dann begleitet mich doch in die Smaragdenstadt", bat der Junge. „Dorthin führt eine Straße, die mit gelbem Backstein ausgelegt ist", erwiderten die Käuer. „Das ist ein sehr langer Weg. Wär es nicht besser, wenn Ihr Euch ein paar Stündchen ausruht?"

Fred sah ein, daß sie recht hatten, denn die Augen fielen ihm zu, und die Beine wollten nicht mehr gehorchen. Darauf legten ihn die Käuer in ein weiches Bett, und er schlief sofort ein.

DER FRIEDENSBOTE

Der Scheuch und seine Leute umarmten Fred stürmisch, als sie erfuhren, wer er war. Der Junge beobachtete staunend den Scheuch und den Eisernen Holzfäller: Solche seltsamen Geschöpfe konnte es nur im Wunderland geben! Vor zwei Monaten noch, als Elli ihm in Iowa ihre Geschichten erzählte, wollte er ihr nicht glauben — aber siehe, jetzt drückte er selbst die weiche Hand des Scheuchs und die rauhe Hand des eisernen Mannes. Vor ihm saßen der Scheuch, der beim Sprechen gedankenvoll seinen mit Sägespänen gefüllten Kopf wiegte, und der Eiserne Holzfäller, in dessen Brust ein aus Flicken zusammengenähtes Herz schlug! Und die Krähe KaggiKarr mit ihren pechschwarzen Äuglein saß auf der Lehne des Thronsessels und fragte mit klarer, leicht schnarrender Stimme, wie Elli sich fühle…

Der Junge glaubte zu träumen, und doch war alles Wirklichkeit; er stand im Thronsaal des Palastes, den Goodwin gebaut hatte, er sah die zahllosen Smaragden und trug nun selbst eine grüne Brille. Da erinnerte er sich an den Auftrag Ellis.

„Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, in welche Gefahr ihr euch begebt!" stieß Fred leidenschaftlich hervor. „Hättet ihr die Sechsfüßer gesehen! So ein Ungeheuer kann allein zwanzig Menschen zerreißen, und dort gibt es Hunderte dieser Bestien! Und erst die Drachen mit den gewaltigen zähnegespickten Rachen und den furchtbaren Krallen! Wie wollt ihr euch vor so einem gelbbäuchigen Ungeheuer schützen, wenn es pfeifend auf euch niedersaust? Und auf ihren Rücken sitzen Reiter mit Lanzen und Pfeilen!" Fred, der lange und überzeugend gesprochen hatte, freute sich, daß die Zuhörer einzusehen begannen, wie wahnwitzig ihr Vorhaben war. „Würden die unterirdischen Könige mit ihren Armeen heraufkommen, dann könnte man es mit ihnen noch aufnehmen", fuhr der Junge fort, „aber sie werden es nicht tun. Unten jedoch, in der ewigen Dämmerung, an die eure Augen nicht gewöhnt sind, werden euch die Höhlenbewohner weit überlegen sein." „Gut!" sagte der Scheuch entschieden. „Dann verzichten wir auf den Krieg!"