Alle Schlafenden wurden sofort in den Erholungsraum getragen und in Betten gelegt. Elli saß neben Fred und wußte nicht, wie sie ihm helfen sollte, bis sie selber vom Schlaf (zum Glück war es kein Zauberschlaf) übermannt wurde. Einen Tag und eine Nacht schliefen die Menschen, und als sie aufwachten, benahmen sie sich wie Säuglinge. Was fang ich jetzt bloß mit ihnen an?' fragte sich Elli. Sie schickte Arum, einen Vorarbeiter der Holzköpfe, in die Stadt nach Din Gior und Faramant. Dabei schärfte sie ihm ein, niemandem ein Wort zu sagen. Unterdessen nahm sie sich Freds an. Sie gab ihm Grießbrei mit einem Löffel und lehrte ihn sprechen. Die Ausdünstungen des Zauberwassers hatten wohl nur kurze Zeit auf Freds
Gehirn gewirkt, denn schon nach einer Stunde lächelte er und sagte „Mama", dann schnappte er einen Brillanten vom Nachttischchen und steckte ihn sich in den Mund.
„Pfui, du erstickst noch daran!" schrie Elli und nahm Fred das gefährliche Spielzeug weg. Wenige Stunden danach trafen, über die unerwartete Botschaft beunruhigt, Faramant und Din Gior ein. Als Elli ihnen den Vorfall schilderte, konnten sie nicht begreifen, warum nicht auch sie eingeschlafen war. Faramant bat, ihm ausführlich zu erzählen, was sie getan habe, als die anderen arbeiteten. Elli sagte, daß sie mit einem Brillanten gespielt habe. „Jetzt verstehe ich", sagte der Hüter des Tors erleichtert, „der Brillant war der Talisman, der dich geschützt hat." „Was ist das, ein Talisman?" fragte Elli.
„Das ist ein Ding, das Menschen vor Unglück bewahrt", belehrte sie Faramant. Alle drei freuten sich, daß Elli gerade damals mit dem Brillanten gespielt hatte. Wäre sie wie die anderen eingeschlafen, dann hätten wohl alle sehr lange warten müssen, daß die dummen Holzköpfe etwas unternehmen. Faramant und Din Gior machten sich an die Erziehung Lestars und der anderen Zwinkerer, während sich Elli um Fred und Toto kümmerte. Es gelang, den Vorfall vor den sieben Königen geheimzuhalten. Als Lestar wieder zu sich kam, befahl er den Holzköpfen, das Zauberwasser aus dem Becken abzulassen. Dann ging er, dem Scheuch Bericht zu erstatten. Die trockene Luft der Gießerei behagte dem Herrscher der Smaragdenstadt, und in seinem Kopf regten sich geniale Gedanken. Von manchen sprach er zu niemandem, denn nur er allein konnte sie verstehen. Während Lestar seinen Bericht erstattete, kam dem klugen Scheuch ein so famoser Gedanke, daß er vor Freude einen Luftsprung machte und dem Meister befahl, sofort den Hüter der Zeit, Rushero, zu rufen. Diesen fragte nun der Scheuch:
„Sagt, mein Freund, braucht Ihr denn wirklich die sieben Könige und das ganze Pack, das sie umgibt und das Ihr ernähren müßt?" Nach kurzem Nachdenken erwiderte Rushero
„Aufrichtig gesagt, brauchen wir sie nicht. Aber das Volk hat sich gewöhnt… Außerdem hat ja jeder König mit seinem Hof sechs Monate von sieben geschlafen."
„Um dann im siebenten auf Kosten der Bürger zu prassen?" „Das stimmt allerdings", gab Rushero zu.
„Könnt Ihr denn nicht die ganze saubere Gesellschaft einschläfern?" fragte der Scheuch.
„Alle sieben Könige auf einmal?" fragte Rushero. „Oh, das ist ein glänzender Einfall! Aber was tun wir, wenn sie unsere Absicht erraten und nicht schlafen wollen?"
„Könnt Ihr es nicht so anstellen, daß sie keinen Verdacht schöpfen?" „Das wird kaum gehen", entgegnete Rushero. „Jetzt regiert Mentacho, der sehr klug und scharfsinnig ist."
„Oh, wir werden schon dafür sorgen, daß ihm seine Klugheit nichts hilft! Freund Lestar, erzähl mal, was Euch in der Höhle passiert ist!" Als Rushero hörte, daß die Menschen unter den Ausdünstungen des Zauberwassers eingeschlafen waren, rief er aus:
„Das ändert ja die Sache! Dann versammeln wir eben die ganze Gesellschaft in der Höhle und überlassen sie dem Zauberschlaf. Nur fürchte ich, daß wir, die das ganze zu bewerkstelligen haben, auch einschlafen werden. Gehen wir aber nicht hin, so werden sie Verdacht schöpfen."
„Keine Sorge", entgegnete Lestar. „Für diesen Fall haben wir Talismane", und er erzählte dem Hüter der Zeit von dem Brillanten.
„Oh, das ist ja großartig!" rief Rushero. „Wir schläfern die Tagediebe ein, und das Land ist sie los."
„Und was geschieht danach?" fragte der Scheuch. „Wieso danach?" „Ich meine, wenn sie wieder aufwachen?"
„Wenn sie bei der Quelle bleiben, werden sie nicht mehr aufwachen", sagte Rushero.
„Mit Verlaub, mein Freund", entgegnete der Scheuch bedächtig, „das wäre ja der reinste Mord!"
„Verzeiht, Majestät, daran hab ich nicht gedacht. Dann werden wir sie wohl in den Regenbogenpalast tragen und in die Kammern legen müssen." „Und was geschieht danach?" fragte der Scheuch wieder. „Ich versteh Euch nicht", sagte Rushero, der allmählich die Geduld verlor. „Einmal werden sie ja aufwachen!"
„Dann werden wir ihnen wieder Wasser geben", erwiderte der Hüter der Zeit unsicher.
„Vielleicht lassen wir sie lieber in der Heiligen Höhle sterben?" fragte der Scheuch verschmitzt. „Das geht wohl schneller und erspart euch viele Scherereien."
„Majestät, drückt Euch doch bitte klarer aus!" bat Rushero. „Eure Gedanken sind mir zu tief. Nicht umsonst nennen Euch die Einwohner der Smaragdenstadt den Dreimalklugen!"
„Oh, auch das ist Euch bekannt?" lächelte der Scheuch freundlich. „Gut, dann will ich Euch meine Idee erklären: Nach dem Zauberschlaf benehmen sich die Menschen wie Säuglinge, nicht wahr?" „Ja!"
„Man muß sie von neuem erziehen und ihnen in wenigen Tagen alles wieder ins Gedächtnis zurückrufen, was sie einst wußten und im Schlaf vergessen haben." „Ja!"
„Was hindert Euch denn, dem König Mentacho zum Beispiel nach seinem Erwachen einzuflüstern, daß er früher nicht König, sondern Hufschmied, Schlosser oder Ackerbauer war?"