Der eine König verlangte, daß die Leute bei seinem Anblick auf die Knie fielen, der andere, daß sie die linke Hand mit gespreizten Fingern an die Nase legten und mit der rechten über dem Kopf winkten, vor dem dritten mußte man auf einem Bein hüpfen…
Die Könige suchten einander darin zu überbieten, das Volk aber stöhnte unter ihren verrückten Einfällen. Jeder Landesbewohner besaß sieben Hüte in den sieben Farben des Regenbogens. Am Tage des Regierungswechsels mußte man den Hut in der Farbe des neuen Königs aufsetzen, dessen Soldaten streng auf die Befolgung dieser Vorschrift achteten. Nur in einem glichen sich die Könige: Sie dachten sich ständig neue Steuern aus. Die Untertanen arbeiteten im Schweiße ihres Angesichts, um die unzähligen Launen ihrer Herrscher zu befriedigen. Jeder König gab aus Anlaß seiner Thronbesteigung ein üppiges Festmahl, zu dem die Hofleute aller sieben Könige in den Regenbogenpalast geladen wurden. Man feierte die Geburtstage der Könige, ihrer Gemahlinnen und Erbfolger, jede erfolgreiche Jagd, die Geburt eines jeden neuen Drachen in den königlichen Drachenzuchten und vieles andere…
Fast jeden Tag grölten im Palast die Zecher, die den Wein der oberen Welt tranken und den Herrscher priesen, der gerade den Thron bestiegen hatte.
Man schrieb das Jahr 189 der unterirdischen Zeitrechnung, die mit dem Tag der Verbannung des rebellischen Prinzen Bofaro und seiner Anhänger begonnen hatte. Mehrere Geschlechter hatten sich unterdessen im unterirdischen Land abgelöst. Die Leute waren bereits an das Leben in der Höhle und das fahle Licht gewöhnt, das der Abenddämmerung auf der Erde glich. Ihre Haut war blaß, ihre Körper waren schlanker geworden, und ihre großen Augen, die sich dem schwachen, aus den goldgelben Wolken kommenden Licht angepaßt hatten, konnten jetzt das Tageslicht der oberen Welt nicht mehr vertragen. Die Regierungszeit des Königs Pamelja II. näherte sich ihrem Ende, und Pampuro III. sollte ihn nun ablösen. Da dieser aber noch ein Säugling war, fiel seiner Mutter, der Königswitwe Stafida, die Regentschaft zu. Stafida war aber eine machtgierige Frau, die es nicht abwarten konnte, das Land zu regieren. Sie ließ ihren Hüter der Zeit Urgando, einen grauhaarigen, stämmigen Greis mit langem Bart, rufen und befahl ihm:
„Urgando, du sollst den Zeiger der Uhr auf dem Hauptturm um sechs Stunden vordrehen!"
„Zu Befehl, Eure Majestät!" erwiderte Urgando mit einer Verbeugung. „Ich weiß, die Untertanen warten schon mit Ungeduld auf Eure Thronbesteigung."
„Schon gut. Geh und schwatz nicht!" unterbrach ihn Stafida. „Ich tu's ja nicht zum erstenmal!" lächelte verschmitzt Urgando. Er tat, wie ihm geheißen. Aber der Hüter der Zeit König Pameljas, der junge Turrepo, hatte indessen von seinem Herrscher, der seine Regierungszeit verlängern wollte, den Befehl erhalten, den Zeiger um 12 Stunden zurückzudrehen. In der Stadt der sieben Könige und im ganzen Lande geriet alles durcheinander. Kaum hatten die Menschen die Augen geschlossen und sich dem ersten süßen Schlaf überlassen, da schlug die Palastglocke sechs — das Signal zum Auf stehen. Gähnend krochen die Leute aus den Federn und schickten sich an, zur Arbeit zu gehen.
„Hallo!" rief ein Schneider seinem Nachbarn, einem Schuster, zu. „Was ist
passiert? Warum läutet es denn schon?"
„Wer kennt sich bei denen aus!" erwiderte dieser. „Die
Könige wissen die Zeit wohl besser. Vergiß nicht, den grünen Hut aufzusetzen. ."
„Gewiß, gewiß. Ich hab ja das vorige Mal genug Ärger gehabt, weil ich mit dem falschen Hut zum Bäcker ging. Vierundzwanzig Stunden mußte ich dafür auf der Wache absitzen. ."
Die Leute, die auf den Palastplatz traten, hörten ein schreckliches Geschrei. Es kam von dem Turm mit der Uhr, auf dem sich Urgando und Turrepo rauften. Turrepo wollte Urgando hinabstoßen, um den Zeiger zurückzudrehen, aber der Alte, der stärker war, versetzte ihm einen Stoß, daß er die Treppe hinunterrollte. Turrepo blieb minutenlang reglos liegen, doch dann erhob er sich und stieg wieder den Turm hinauf. Abermals stieß ihn Urgando hinunter. Turrepo gab sich aber nicht geschlagen. Beim dritten Mal bekam er seinen Gegner zu fassen, und beide purzelten die Treppe hinab. Dabei schlug Urgando mit dem Kopf gegen eine Stufe und verlor das Bewußtsein. Turrepo drehte den Zeiger zurück und gab das Signal zur Ruhe. Ausrufer rannten durch die Stadt und befahlen den Bürgern, schlafen zu gehen, während gelbe Soldaten auf Drachen in die Dörfer und Siedlungen flogen, um dem Volk zu verkünden, daß die Grünen es zu früh geweckt hätten. Die Leute nahmen sofort die grünen Hüte ab und setzten die gelben auf. Turrepo, der gesiegt hatte, ging schlafen, ohne sich um den bewusstlosen Urgando zu kümmern. Nach anderthalb Stunden kam Urgando wieder zu sich, stieg auf den Turm und schickte seine Boten aus, das Volk in Stadt und Land zu wecken. An diesem Tag standen die Einwohner der Höhle siebenmal auf und gingen siebenmal schlafen, bis sich der hartnäckige Turrepo schließlich geschlagen gab. Die Bürger, denen verkündet wurde, daß seine Majestät König Pampuro III. den Thron bestiegen habe, vertauschten also ihre gelben Hüte gegen die grünen. Das war der letzte Hutwechsel dieses Tages.
Wieder waren hundert Jahre vergangen. In dieser Zeit hatte sich die Lage im unterirdischen Lande immer mehr verschlechtert. Um die unersättliche Habsucht der Könige und ihrer Gefolgschaften zu befriedigen, mußte das einfache Volk jetzt 18 bis 20 Stunden täglich arbeiten. Mit großer Besorgnis dachten die Leute an ihre Zukunft. Da kam ihnen ein wunderbarer Zufall zu Hilfe. Alles begann mit einer Sechsfüßerjagd. Die gezähmten Sechsfüßer brachten dem Land großen Nutzen. Sie zogen die schweren Pflüge, Eggen und Getreidemäher und drehten die Räder der Dreschmaschine. Sie arbeiteten auch an den Schaufelrädern, die das Wasser aus dem See für die Stadt der Sieben Könige schöpften, und zogen die Förderkörbe mit dem Erz aus den tiefen Gruben…
Die Sechsfüßer waren Allesfresser. Man gab ihnen Stroh und Heu, Fische aus dem See und Abfälle der städtischen Küchen… Nur eins war schlimm — daß die alten Sechsfüßer ausstarben. Um sie zu ersetzen, mußte man neue in einem Felslabyrinth einfangen, das die Höhle umgab. Dieses Labyrinth wurde zu einem königlichen Schutzpark erklärt. Dort war den Bürgern das Jagen unter Todesstrafe verboten. Im königlichen Schutzpark herrschte Stille. Kein Geräusch unterbrach das Schweigen der unterirdischen Gänge. In einer Höhle stand einst ein Sechsfüßer mit zottigem weißem Fell, das ein schwaches Licht aussandte, welches die Gegenstände im Umkreis von zwei, drei Schritten beleuchtete. Das Tier löste mit der Zunge gierig riesige Schnecken von dem nassen Fels und verschlang sie mitsamt dem Gehäuse. Lange gab es sich dieser angenehmen Beschäftigung hin, als plötzlich aus der Ferne Lärm an sein feines Ohr drang. Das Tier horchte, nahm nun schon langsamer die Schnecken vom Fels auf und drehte unruhig den zottigen Kopf nach allen Seiten. Was hatte den Sechsfüßer so beunruhigt? Das sollte sich bald zeigen. In der Ferne tauchten Lichtflecke auf, dann wurden Menschen mit leuchtenden Kugeln an den Hüten sichtbar. Das Licht ähnelte dem, welches das Fell des Sechsfüßers ausstrahlte, nur war es viel heller und beleuchtete die Gegenstände zwanzig Schritte im Umkreis. Schlanke Männer in Lederkleidung näherten sich dem Tier. Sie hielten gleichen Abstand voneinander und trugen ein langes Netz vor sich her, das über die ganze Breite der Höhle gespannt war. Manche hielten Stöcke mit Schlingen am Ende in den Händen. Die Bewohner des Unterirdischen Landes waren auf Sechsfüßerjagd.