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„Leise, Freunde!" sagte der Anführer der königlichen Jäger, der geschickte Tierfänger Ortega. „Das Tier ist nicht weit."

„Paßt auf an den Seiten", befahl Ortega. „Die Sechsfüßer suchen immer an der Wand durchzuschlüpfen." „Die Fackeln sind bereit", sagten die Männer. „Wir werden ihn mit dem Feuer schrecken." So leise die Menschen auch sprachen, das Tier hörte sie und huschte in einen schmalen Gang. Aber die erfahrenen Jäger, die das Labyrinth genau kannten, hatten auch den zweiten Ausgang der Höhle mit einem Netz versperrt, das eine andere Schar hielt. Der Sechsfüßer kehrte heulend um und begann durch die Höhle zu rasen. Die Jäger aber erhoben ein lautes Geschrei, zündeten ihre Fackeln an, stampften mit den Füßen und schlugen mit den Stöcken auf den felsigen Boden. Der durch das Echo verstärkte Lärm erschreckte das Tier derart, daß es vorwärts stürmte und sich in den weiten Maschen des Netzes verfing. Die Stricke drohten unter den wuchtigen Tatzenschlägen zu zerreißen, aber die Jäger schlugen das Netz fester um den Sechsfüßer, der jetzt ihr Gefangener war. Aus dem Gang trat die andere Jägerschar hervor. Freudestrahlend umringten die Leute den Sechsfüßer.

„Für dieses Tier ist uns eine schöne Belohnung sicher", sagte ein Jäger. „Schaut, wie groß es ist!"

Jetzt laß uns, lieber Leser, sehen, wozu die Leute die Stöcke mit den Schlingen brauchten. Ein paar Männer lösten vorsichtig das Netz von den Beinen des Ungeheuers, warfen ihnen die Schlingen um und banden sie so zusammen, daß der Sechsfüßer nur ganz kleine Schritte machen konnte. Dann setzten sie dem Tier einen festen ledernen Maulkorb auf und banden mehrere Stricke daran. Nachdem all das mit großem Geschick getan war, wurde das Netz abgenommen und zusammengerollt. Dann machten sich die Jäger auf den Heimweg. Die Größten und Stärksten von ihnen zogen den Sechsfüßer an den Stricken, und wenn er nicht weiter wollte, stachen ihn hinten die anderen mit den spitzen Enden ihrer Stöcke. Das Tier fügte sich schließlich in sein Geschick und folgte den Menschen. „Bringt dieses Baby in das Sechsfüßergehege Nr.4. Du, Selano, wirst es dort zähmen!" sagte Ortega. „Und jetzt geht, ich will mich derweilen im Labyrinth ein wenig umschauen, mir scheint, daß es hier noch mehr für uns zu tun gibt."

DER GEHEIMNISVOLLE SCHLAF

Die Jäger boten Ortega eine Fackel an, aber dieser nahm sie nicht, die Leuchtkugel auf seinem Hut, sagte er, genüge ihm. Die Leute zogen mit dem Sechsfüßer davon, während Ortega das Labyrinth in Augenschein nahm. Nach etwa zwei Stunden entdeckte er, daß sich in diesem Teil der Höhle eine Sechsfüßermutter mit einem Jungen verbarg. Auf dem Heimweg machte Ortega einen Abstecher in eine Höhle, in der er schon lange nicht mehr gewesen war. Plötzlich erblickte er den Widerschein seiner Leuchtkugel in einem kleinen Becken, das früher leer war. „Siehe da", wunderte sich der Jäger, „das ist ja eine neue Quelle!" Nach dem langen Marsch verspürte er einen starken Durst. Er kniete nieder, schöpfte eine Handvoll Wasser und begann gierig zu trinken. Das Wasser hatte einen sehr angenehmen Geschmack, es schäumte und quirlte. Ortega wollte noch ein paar Schluck trinken, aber da überkam ihn eine unerklärliche Müdigkeit.

„Oho, Ortega", tadelte sich der Jäger, „du wirst alt! Früher hätte dir ein solcher Spaziergang überhaupt nichts ausgemacht! Na, dann werde ich eben etwas ausruhen. ."

Er machte es sich auf dem harten Boden bequem, und im Nu übermannte ihn der Schlaf. Erst gegen Abend des nächsten Tages wurden die Angehörigen Ortegas wegen seines Verschwindens unruhig. Sie waren es zwar gewöhnt, daß der alte Jäger lange wegblieb, als er aber nach drei Tagen noch immer nicht zurückkehrte, schlugen Frau und Kinder Alarm. Was konnte dem Jäger zugestoßen sein? Daß er sich im Labyrinth verirrt hatte, war nicht anzunehmen, denn er kannte es ja sehr gut. Man mußte das Schlimmste befürchten, daß nämlich ein hungriges Tier ihn überfallen oder daß er verschüttet worden war. Das erstere war sehr zu bezweifeln, denn die Sechsfüßer hatten schon längst. die Bekanntschaft der Menschen gemacht und mieden sie. König Ukonda, der in diesem Monat regierte, sandte eine Schar Jäger auf die Suche aus. Ihr Führer war Kuoto, Ortegas Gehilfe. Die Leute nahmen Fackeln und Proviant für mehrere Tage mit. Nach langem Suchen fanden sie Ortega in einer Höhle, die kaum jemand kannte. Er lag an einer kleinen runden Vertiefung, die wie ein Wasserbecken aussah, nur daß kein Tropfen drin war.

Es schien, als schliefe der Jäger, aber er atmete nicht. Als die Leute das Ohr an seine Brust legten, stellten sie fest, daß das Herz stillstand. „Er ist tot!" rief einer der Jäger.

„Der Tod muß eben erst eingetreten sein", sagte Kuoto, „denn der Körper ist noch weich und warm. Wie hat er aber die zwei Wochen ohne Essen und Trinken leben können?"

Der traurige Zug mit dem leblosen Körper Ortegas machte vor dem blauen Teil des Palastes halt, in dem Ukonda lebte. Der König selbst trat heraus, um seinem treuen Jäger die letzte Ehre zu erweisen. „Wann willst du deinen Mann bestatten?" fragte er die vom Kummer gebrochene Alona, die Frau Ortegas.

„Morgen, wie's der Brauch unserer Väter verlangt!" erwiderte sie. „Ha, ha, ha", lachte ein Mann im blauen Mantel schallend. Es war Doktor Boril, der sich einen Weg durch die Menge bahnte. „Wer will hier einen lebendigen Menschen bestatten?… Schaut nur, wie frisch sein Gesicht ist! Sieht ein Toter vielleicht so aus? Da", der kleine dicke Doktor hob den Arm Ortegas, und als er ihn losließ, fiel er weich auf die Bahre zurück. Alona blickte hoffnungsvoll und doch zweifelnd den Doktor an, der zu beweisen fortfuhr, daß Ortega lebe und nur ohnmächtig sei.

„Unsinn! Quatsch!" rief ein dröhnender Baß abgehackt, und ein baumlanger, dürrer Mann trat heran, Doktor Robil, dem ein grüner Mantel lose von den Schultern hing. „Dieser! Mann! ist! tot! wie! ein! Stein!" stieß er die Worte einzeln hervor. Zwischen den beiden Ärzten entbrannte ein Streit, der mit wissenschaftlichen Beweisen gespickt war. Je nachdem, wer von den beiden recht zu haben schien, schwankte Alona zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Zuletzt setzte sich die abgehackte Stimme Doktor Robils durch. Den kleinen Boril von oben ansehend, dröhnte er: „Ich! sage! daß! dieser! Mann! morgen! bestattet! werden! muß!"

In diesem Augenblick regte sich aber der „Tote" und schlug die Augen auf. Die Menge wich entsetzt zurück, nur Alona sank auf die Brust ihres Mannes nieder und begann ihn schluchzend zu küssen.

„Ha, ha, ha! Ho, ho, ho!" lachte aus vollem Halse Boril. „Der hochverehrte Doktor Robil hätte beinahe einen Lebenden begraben! Und das will ein Mann der Wissenschaft sein!"

Der blamierte Robil gab sich aber nicht geschlagen: „Es! bleibt! noch! zu beweisen! daß! er! lebt!" rief er und verließ, sich würdevoll in seinen grünen Mantel hüllend, den Platz. Ein paar Leute lachten bei den letzten Worten Robils, aber Doktor Boril machte ein besorgtes Gesicht. Ortega sprach kein Wort, er erkannte niemanden, auch nicht seine Frau, und verstand nicht die teilnahmsvollen Worte, die König Ukonda höchstpersönlich an ihn richtete.