„Dort drüben bei den Felsen“, lautete die sofort und bereitwillig gegebene Antwort.
In etwa dreihundert Meter Entfernung erhoben sich einige Felsbrocken aus dem Sand, die mit Hilfe von Mörtel und Ziegelsteinen auf eine einheitliche Höhe gebracht worden waren. Hinter dieser Mauer konnte sich eine ganze Anzahl von Männern versteckt halten, und Jason hatte nicht die geringste Lust, seine kostbaren Sklaven oder seine noch kostbarere Haut dadurch zu riskieren, daß er sich der Mauer weiter als unbedingt notwendig näherte. Er befahl eine Rast und blieb selbst einige Meter vor den Sklaven stehen, um die Mauer abschätzend und mißtrauisch zu betrachten.
Dabei war er beobachtet worden, denn kurze Zeit später bog ein Mann um die Ecke der Mauer und ging langsam auf Jason zu. Er war in einen weiten Umhang gekleidet und trug einen Henkelkorb am Arm. Als er die Hälfte der Entfernung zwischen der Mauer und Jason zurückgelegt hatte, ließ er sich im Sand nieder und stellte den Korb ab. Jason sah sich vorsichtig um und entschied, daß ihm dort keine Gefahr drohte. Schließlich brauchte er einen einzelnen Mann nicht zu fürchten. Er faßte also seine Keule fester, ging auf den anderen zu und blieb drei Schritte von ihm entfernt stehen.
„Willkommen, Ch’aka“, sagte der Mann. „Ich dachte schon, wir würden dich nie wieder zu Gesicht bekommen, nachdem wir die kleine — äh — Meinungsverschiedenheit hatten.“
Er stand nicht auf, während er sprach, und er fuhr sich mit der Hand durch den schütteren Bart. Sein Kopf war völlig kahl und von der Sonne braungebrannt. Das Gesicht wäre nicht bemerkenswert gewesen, aber die riesige Nase verlieh ihm einen fast grotesken Ausdruck. Der Mann war offenbar alt und stellte keine Bedrohung für Jason dar.
„Ich möchte etwas“, sagte Jason geradeheraus, weil er annahm, daß Ch’aka seinen Wunsch in ähnlicher Form vorgebracht hätte.
„Eine neue Stimme und ein neuer Ch’aka — ich heiße dich willkommen. Der alte Ch’aka war ein ausgemachter Schurke. Hoffentlich hat er viel gelitten, als du ihn umgebracht hast. Setz dich, mein Freund Ch’aka, und trink mit mir.“ Der Alte deckte den Korb auf und holte einen Krug mit zwei Bechern heraus.
„Wo hast du das vergiftete Getränk her?“ fragte Jason, der sich an die hier üblichen Gebräuche erinnerte. „Und wie heißt du?“
„Edipon“, erwiderte der andere und stellte den Krug wieder in den Korb. „Was willst du von uns? Du darfst nur nicht zu unbescheiden sein. Wir können immer Sklaven brauchen und machen gern ein Geschäft.“
„Ich möchte einen eurer Sklaven. Ich biete euch zwei andere dafür.“
Der Alte lächelte zufrieden in seinen Bart hinein. „Um welchen Sklaven handelt es sich denn, mein Freund Ch’aka?“
„Um den einen, den ihr vor einigen Tagen von Fasimba eingetauscht habt. Er gehört eigentlich mir.“ Jason sah sich um, weil er dem Alten nicht recht traute. Er mußte auf eine List gefaßt sein und wollte sich nicht überrumpeln lassen.
„Willst du sonst noch etwas?“ fragte Edipon.
„Im Augenblick fällt mir nichts anderes ein. Wenn du den Sklaven herangeschafft hast, können wir weiter über das Geschäft reden.“
Der Alte grinste breit und steckte zwei Finger in den Mund. Jason sprang zurück, als ein schriller Pfiff ertönte. Irgendwo rieselte Sand. Als Jason sich herumwarf, sah er sich von allen Seiten umringt — die Bewaffneten hatten sich in Löchern versteckt gehalten, die mit Deckeln verschlossen waren, über denen Sand gehäuft war.
Jason stieß einen Fluch aus und rannte mit erhobener Keule auf den nächsten Mann zu. Er wußte, daß er keine Aussichten gegen sechs Gegner hatte, aber trotzdem wollte er nicht kampflos untergehen. Er hatte sich auf den Alten stürzen wollen, aber Edipon hatte sich in Sicherheit gebracht, bevor Jason sich von seiner Überraschung erholt hatte.
Der Kampf dauerte nicht lange, aber Jason teilte immerhin etwas mehr aus, als er erhielt. Zwei der Angreifer waren kampfunfähig, als die restlichen vier Jason überwältigten. Er rief die Sklaven zu Hilfe und fluchte vor sich hin, als sie bewegungslos im Sand saßen, während er gefesselt wurde. Einer der Sieger winkte sie heran, und die Sklaven folgten gehorsam. Jason wurde hinter ihnen her zu der Mauer geschleppt.
Als sie um den Felsen bogen, erkannte Jason eine breite Öffnung, in der ein seltsames Ungetüm stand. Sofort machte sein Zorn einem echten Interesse Platz, denn dies mußte einer der caroj sein, von denen Ijale ihm erzählt hatte. Jason verstand jetzt auch, warum sie ihm nicht hatte sagen können, ob es sich dabei um ein Tier oder etwas anderes handelte. Das Fahrzeug war etwa zehn Meter lang und trug an der Spitze eine grimmige Tiermaske mit langen Zähnen und blitzenden Augen. Der aus Fellen bestehende Überzug und die nicht sehr realistisch wirkenden Beine waren nicht einmal Tarnung genug, um einen intelligenten Sechsjährigen zu täuschen. Für diese ungebildeten Halbwilden mochte die Tarnung ausreichen, aber jeder intelligente Junge würde das Ding als Fahrzeug erkennen, sowie er die sechs großen Räder an der Unterseite sah. Sie bestanden aus einer gummiartigen Masse und waren mit einem tiefen Profil versehen.
Obwohl keine Kraftquelle sichtbar war, hätte Jason vor Freude fast gelacht, als er den Geruch verbrannten Öls wahrnahm. Dieses eigenartige Fortbewegungsmittel konnte entweder auf diesem Planeten gebaut oder von anderen Planeten erworben worden sein. Beide Möglichkeiten schlossen wenigstens nicht aus, daß ein Entkommen von dieser namenlosen Welt möglich sein würde.
Die Sklaven, die erschrocken vor dem unbekannten Ding zurückwichen, wurden über eine Rampe in das Innere des caro gestoßen, wobei ihre Bewacher mit kräftigen Fußtritten nachhalfen. Jason wurde hineingetragen und achtlos zu Boden geworfen, wo er ruhig liegenblieb und alle Einzelheiten des Wüstenfahrzeugs in sich aufnahm.
An der Spitze des Fahrzeugs ragte eine Säule aus dem Deck, auf die einer der Männer eine Handkurbel steckte. Wenn der caro an den Vorderrädern gesteuert wurde, mußten die Hinterachsen angetrieben werden. Jason warf sich also herum, bis er das entgegengesetzte Ende vor Augen hatte. Dort befand sich eine fensterlose Kabine mit einer fest verschlossenen Tür, die zusätzlich durch einige Riegel gesichert war. Etwaige Zweifel daran, daß dies der Maschinenraum war, wurden durch den schwarzen Schornstein zerstreut, der durch das Kabinendach ragte.
„Wir brechen auf“, kreischte Edipon und fuchtelte mit seinen dünnen Armen aufgeregt in der Luft herum. „Holt die Rampe ein. Narsisi, du bleibst vorn und zeigst dem caro den Weg. Alle anderen beten, während ich mich in den Schrein begebe, um die heiligen Mächte anzurufen, die uns nach Putl’ko bringen werden.“ Er ging auf die Kabine zu, blieb aber noch einmal stehen und wandte sich an einen der Männer, die Jason überwältigt hatten. „Erebo, du fauler Taugenichts, hast du diesmal daran gedacht, den Göttern Wasser zu geben, weil sie durstig werden?“
„Natürlich, natürlich“, murmelte Erebo und kaute weiter an einer erbeuteten kreno herum.
Nachdem diese Vorbereitungen getroffen worden waren, stellte Edipon sich vor die etwas versenkt angebrachte Tür und zog hinter sich einen schwarzen Vorhang zu. Dann schob er die Riegel beiseite und verschwand endgültig in der Kabine. Wenige Minuten später quollen schwarze Rauchschwaden aus dem Schornstein und wurden von dem aufkommenden Wind zerteilt. Trotzdem verging noch fast eine Stunde, bis die heiligen Mächte startbereit waren. Sie taten ihre Bereitschaft dazu kund, indem sie ihre schrille Stimme erhoben und ihren weißen Atem in die Luft bliesen. Vier der Sklaven fielen vor Schreck in Ohnmacht, während den anderen anzusehen war, daß sie sich weit von diesem Teufelsding fortwünschten.