Snarbi stolperte darauf zu und sammelte schließlich selbst einige Bruchstücke ein, als die Soldaten keine Anstalten machten, ihm behilflich zu sein. Erst als sie gesehen hatten, daß er die Trümmer ungestraft berühren durfte, ohne auf der Stelle tot umzufallen, erklärten sie sich widerstrebend dazu bereit, die kümmerlichen Überreste des caro zu tragen. Einer der Soldaten, der sich in nichts von den übrigen unterschied, schien das Kommando zu führen, denn auf sein Zeichen hin kamen die anderen näher und stießen die Gefangenen mit den Bogen an, um sie zum Aufstehen zu zwingen.
„Ich komme schon, ich komme schon“, sagte Jason und nahm sich noch ein Stück Fleisch, „aber zuerst muß ich zu Ende frühstücken. Von jetzt an gibt es vermutlich wieder jeden Tag krenoj, deshalb muß ich die letzte Mahlzeit in Freiheit genießen.“
Die Soldaten starrten ihn verblüfft an und wandten sich fragend an den Offizier. „Wer ist das?“ fragte dieser Snarbi. „Gibt es einen Grund, weshalb ich ihn nicht umbringen sollte?“
„Das darfst du nicht!“ keuchte Snarbi und wurde kreidebleich vor Angst. „Der hier hat den Teufelswagen gebaut und kennt alle seine Geheimnisse. Hertug Persson wird ihn foltern, bis er einen neuen zu bauen verspricht.“
Jason wischte sich die Finger an einem Grasbüschel ab und stand auf. „Schön, meine Herren, gehen wir also. Vielleicht kann mir unterwegs jemand erklären, wer dieser Hertug Persson ist und was ich von ihm zu erwarten habe.“
„Ich erkläre dir alles“, prahlte Snarbi, als der Marsch begann. „Er ist Hertug der Perssonoj. Ich habe für die Perssonoj gekämpft, deshalb kannten sie mich und ließen mich zu dem Hertug. Er hat mir sofort geglaubt, als ich zu ihm kam. Die Perssonoj sind ein sehr mächtiges Geschlecht in Appsala und besitzen viele Geheimnisse, aber sie sind nicht so mächtig wie die Trozelligoj, die das Geheimnis der caroj und der jetiloj kennen. Ich wußte, daß die Perssonoj mir jeden Preis zahlen würden, wenn ich ihnen das Geheimnis der caroj bringe. Und ich werde einen hohen Preis verlangen, darauf kannst du dich verlassen.“ Er sah Jason scharf an. „Du wirst ihnen das Geheimnis verraten. Ich werde ihnen bei der Folter helfen, bis du alles gesagt hast, was du weißt.“
Jason streckte schweigend den Fuß aus, so daß Snarbi stolperte und fiel. Als der Verräter am Boden lag, marschierte Jason über seinen Körper hinweg. Die Soldaten kümmerten sich nicht darum und halfen auch Snarbi nicht auf, der sich fluchend aufrichtete und hinter Jason herschrie. Jason sah nicht einmal auf, denn er hatte genügend andere Sorgen.
11
Von den umliegenden Hügeln aus wirkte Appsala wie eine brennende Stadt, die langsam im Meer versank. Erst als die Entfernung sich verringerte, wurde klar, daß der dichte Rauch aus unzähligen Kaminen quoll, die sich aus jedem Dach erhoben, und daß die Stadt unmittelbar am Ufer lag und zudem eine Reihe von Inseln bedeckte, die in der seichten Lagune lagen. Große seetüchtige Schiffe lagen an der Mole vertäut, während unzählige kleinere Kutter und Boote durch die Kanäle gerudert oder gestakt wurden. Jason suchte nach einem Raumhafen oder anderen Zeichen interstellaren Verkehrs, wurde aber enttäuscht. Dann verdeckten die Hügel wieder die Stadt, als der Pfad abbog und zum Meer führte.
Ein ziemlich großes Segelschiff lag dort am Ende des aus Steinquadern bestehenden Piers. Die neuen Sklaven wurden an Händen und Füßen gefesselt und ohne große Formalitäten in den Laderaum gestoßen. Jason warf sich herum, bis er durch einen winzigen Spalt zwischen zwei Planken nach draußen sehen konnte, und schilderte die Fahrt — offenbar nur zum Vergnügen seiner Reisegenossen, in Wirklichkeit aber einfach deshalb, weil der Klang seiner eigenen Stimme ihm neuen Mut gab.
„Unsere Reise nähert sich dem Ende, denn vor uns erhebt sich die romantische und ehrwürdige Stadt Appsala, berühmt für ihre abscheuerregenden Gebräuche, ihre mordlustigen Bewohner und das völlig veraltete Entwässerungssystem, dessen Hauptkloake eben der Kanal zu sein scheint, in den das Schiff in diesem Augenblick einbiegt. Zu beiden Seiten sind Inseln erkennbar, wobei die kleineren mit sogenannten Hütten bedeckt sind, im Vergleich zu denen der schlechteste Kaninchenbau als Palast bezeichnet werden müßte, während die größeren Forts tragen, die eines wie das andere mit Wällen und Barrikaden versehen sind, so daß sie der Welt ein trutzig wehrhaftes Gesicht entgegenrecken. In einer Stadt dieser Größe sind so viele Befestigungen eigentlich überflüssig, deshalb nehme ich an, daß wir es mit den schwer bewachten Hauptquartieren der einzelnen Stämme, Gruppen oder Clans zu tun haben, von denen unser Freund Judas so trefflich zu erzählen wußte. Seht diese Monumente des Egoismus an und nehmt euch in acht — dies ist das Endprodukt eines Systems, das mit Sklavenhaltern wie dem verblichenen Ch’aka beginnt, sich in Familienhierarchien wie bei den sattsam bekannten d’zertanoj fortsetzt und seinen Höhepunkt in der Verderbtheit hinter diesen starken Wällen findet. Auch hier regiert der Stärkste, auch hier ist jeder nur auf seinen persönlichen Vorteil aus, auch hier führt der Weg nach oben über die Leichen derer, die nicht vorsichtig genug waren, und hier werden Erfindungen aller Art als persönliche Geheimnisse behandelt. Noch nie zuvor habe ich einen so extremen Egoismus erlebt und bewundere deshalb die unglaubliche Fähigkeit des Homo sapiens, einen Gedanken oder eine Vorstellung selbst dann logisch zu Ende zu führen, wenn dieser sich als schädlich erwiesen hat.“
Das Schiff schlingerte heftig, als die Segel gerefft wurden, so daß Jason in die Wasserlachen im Kielraum rutschte. „Der Niedergang der Menschheit“, murmelte er vor sich hin, während er sich aus der stinkenden Brühe herauswand.
Das Schiff steuerte gegen die Poller und wurde unter großem Geschrei aller Beteiligten und einigen kräftigen Flüchen des Kapitäns endlich sicher vertäut. Die Luke öffnete sich und die drei Gefangenen wurden auf das Oberdeck geführt. Jason sah sich neugierig um und stellte fest, daß sie sich im Innern eines der Forts befinden mußten, denn ringsum ragten hohe Mauern auf. Hinter ihnen schloß sich eben ein Tor, das den Zugang zum Kanal versperrte. Jason konnte sich nicht länger umsehen, denn er wurde gemeinsam mit den anderen durch lange Gänge getrieben, bis sie schließlich in einem Saal standen, dessen einzige Einrichtung aus einem rostigen Thron bestand, der auf einem Podium aufgestellt war. Der Mann auf dem Thron, ohne Zweifel Hertug Persson höchstpersönlich, trug einen weißen Bart und schulterlanges Haar; seine Nase war knollig und rot, seine Augen blau und wäßrig. Er knabberte an einer kreno.
„Sagt mir“, brüllte der Hertug plötzlich, „warum ich euch nicht auf der Stelle umbringen soll!“
„Wir sind deine Sklaven, Hertug, wir sind deine Sklaven“, riefen die Versammelten im Chor, wobei sie mit den Händen in der Luft herumfuchtelten. Jason verpaßte den ersten Teil, stimmte dann aber kräftig ein. Nur Mikah schwieg beharrlich und erhob seine Stimme erst, als das allgemeine Geschrei vorüber war.
„Ich bin kein Sklave“, behauptete er laut.
Der Offizier, der die beiden Gefangenen begleitet hatte, holte mit seinem Bogen aus. Das Ende der Waffe sauste auf Mikahs Kopf nieder; Mikah ging zu Boden und bewegte sich nicht mehr. „Du hast zwei neue Sklaven, Hertug“, sagte der Offizier.
„Welcher von den beiden kennt das Geheimnis der caroj?“ erkundigte sich der Hertug. Snarbi drängte sich in die erste Reihe und wies auf Jason.
„Der hier, du gewaltigster aller Herrscher. Er kann caroj bauen, weiß aber auch, wie das Ungeheuer konstruiert ist, das sie fortbewegt. Ich weiß es ganz genau, weil ich ihn dabei beobachtet habe. Er hat auch Feuerkugeln gemacht, von denen die d’zertanoj verbrannt wurden, und noch viele andere Dinge. Ich habe ihn mitgebracht, damit er dein Sklave ist und caroj für die Perssonoj baut. Hier sind die Überreste des caro, in dem wir gefahren sind, der von seinem eigenen Feuer verzehrt wurde.“ Snarbi breitete die Werkzeuge und einige Metalltrümmer auf dem Boden aus, aber der Hertug zuckte nur verächtlich mit den Schultern.