„Allmählich gefällt es mir hier“, sagte er und streckte sich behaglich in einem Polstersessel aus. Er hatte ein reichhaltiges Abendessen hinter sich und hielt ein Glas mit dem letzten Ergebnis seiner Schnapsbrennerei in der Hand. Ijale sang in der Küche, während sie die Teller abwusch, und Mikah säuberte die Destillationsanlage.
„Willst du wirklich kein Glas?“ fragte Jason, der sich in bester Stimmung befand.
„Der Wein macht lose Leute, und starkes Getränk macht wild; wer dazu Lust hat, wird nimmer weise… Die Sprüche Salomos“, deklamierte Mikah in seiner besten Art.
„Wein, der die Herzen der Menschen erfreut… Psalmen. Du siehst, daß ich die Bibel auch gelesen habe. Aber wenn du nicht willst, kannst du einfach ein Glas klares Wasser trinken und eine kleine Pause einlegen. Die Arbeit ist nicht so dringend, als daß sie nicht bis morgen warten könnte.“
„Ich bin dein Sklave“, antwortete Mikah finster und griff sich an den Hals.
„Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Wenn du vertrauenswürdiger wärst, würde ich dich sofort freilassen. Warum sollte ich eigentlich nicht? Wenn du mir versprichst, daß du nicht wieder Unsinn machst, nehme ich dir den Eisenkragen ab, bevor du Justizobersekretärswitwenrente sagen kannst. Ich glaube, daß ich bei dem Hertug gut genug angeschrieben bin, um deine kleinen Scherze ausgleichen zu können. Was hältst du davon? Dann hätte ich endlich wieder einen Menschen um mich, mit dem ich mich gelegentlich vernünftig unterhalten könnte.“
Mikah runzelte nachdenklich die Stirn und griff nach dem Eisenring um seinen Hals. Dann nahm er die Hand so hastig herunter, als habe er sich verbrannt. „Nein! Weiche, Satan! Hinweg mit dir! Ich verspreche nichts und bleibe lieber in Ketten, bis ich befreit werde, damit ich mit gutem Gewissen zusehen kann, wie du deine gerechte Strafe erhältst.“
„Na, wenigstens hast du bestimmte Pläne für die Zukunft“, meinte Jason. „Wie stellst du dir eigentlich deine Befreiung vor? Und was hast du bisher dafür getan?“
„Ich kann nichts tun — ich bin ein Sklave!“
„Ja, ganz richtig, und wir wissen beide, warum du einer bist. Aber glaubst du denn, daß du mehr ausrichten könntest, wenn du frei wärst? Vermutlich kaum. Aber ich habe etwas unternommen und einiges festgestellt. Zum Beispiel, daß wir hier ganz allein sind. Ich habe einige Kristalle gefunden, die recht gut schwingen, und habe einen einfachen Kristallempfänger gebaut. Ich habe leider nur atmosphärische Störungen und mein heiliges SOS gehört.“
„Was soll diese Gotteslästerung?“
„Habe ich dir nicht davon erzählt? Ich habe einen Sender als elektronische Gebetsmühle kaschiert, und die Gläubigen haben vom ersten Tag an mit heiligem Eifer SOS gesendet.“
„Ist dir gar nichts heilig, Gotteslästerer?“
„Darüber können wir uns später unterhalten — obwohl ich nicht einsehe, daß du dich beklagst. Du kannst froh sein, daß ich die Gläubigen wenigstens produktive Arbeit leisten lasse. Wenn jemals ein Raumschiff in die Atmosphäre dieses Planeten eintritt, fängt es den Hilferuf auf und landet hier.“
„Wann?“ fragte Mikah mit plötzlichem Interesse.
„Vielleicht schon in fünf Minuten — oder erst in fünfhundert Jahren. Selbst wenn jemand nach uns sucht, muß er eine Menge Planeten anfliegen. Ich bezweifle, daß die Pyrraner nach mir suchen — sie haben nur ein Raumschiff, das sie dringend für andere Zwecke benötigen. Wie steht es mit deinen Leuten?“
„Sie werden für dich beten, aber sie können nicht nach mir suchen. Wir hatten nur ein Schiff, das du mutwillig zerstört hast. Aber warum nicht andere Schiffe? Händler, Forscher…“
„Zufall — alles hängt vom Zufall ab. Wie gesagt, fünf Minuten, fünf Jahrhunderte — oder auch nie.“
Mikah verzog betrübt das Gesicht, so daß Jason Mitleid mit ihm empfand. „Kopf hoch, alles könnte viel schlimmer sein“, sagte er. „Wir leben nicht unbequem und können in Ruhe abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Ich werde alles tun, um diesen Planeten aus dem finsteren Mittelalter zu befreien und ihn mit den Segnungen der modernsten Technik vertraut zu machen. Aber das tue ich nicht nur, um dem Hertug zu helfen… Oder hast du das vielleicht geglaubt?“
„Das verstehe ich nicht.“
„Wieder einmal typisch Mikah. Was passiert denn, wenn das hier vorhandene Kräfteverhältnis von außen — also durch meine Erfindungen — beeinflußt wird? Die Antwort liegt auf der Hand: die Perssonoj können die miteinander konkurrierenden Clans nacheinander ausschalten; sie gewinnen den Krieg…“
„Krieg?“ fragte Mikah entsetzt. „Hast du eben Krieg gesagt?“
„Du hast richtig gehört“, bestätigte Jason und war so mit sich selbst zufrieden, daß er die Sturmzeichen nicht bemerkte. „Man kann eben kein Omelett backen, ohne ein paar Eier zu zerschlagen. Wenn die Verhältnisse hier nicht grundlegend geändert werden, bleiben siebenundneunzig Prozent der Bevölkerung zu Elend, Seuchen, Armut, Leiden und Sklaverei verurteilt. Deshalb werde ich einen sauberen, wissenschaftlichen Krieg beginnen, der gründlich aufräumt. Wenn der Hertug erst einmal Alleinherrscher geworden ist, kann kein Mensch mehr die Entwicklung aufhalten. Dann gibt es kein Zurück mehr, denn die alte Ordnung ist zerstört. Maschinen, Kapital, Unternehmer, Freizeit, Tarifverhandlungen…“
„Du bist ein Ungeheuer!“ stieß Mikah zwischen den Zähnen hervor. „Um deinen Ehrgeiz zu befriedigen, willst du einen Krieg beginnen und Tausende von Unschuldigen zum Tode verurteilen. Aber ich werde dich daran hindern, selbst wenn es mich das Leben kostet!“
„Was war das…?“ fragte Jason und hob den Kopf. Er war einen Augenblick lang eingeschlafen, weil er einen anstrengenden Tag hinter sich hatte und die Wirkung des selbstgebrannten Kognaks unterschätzt hatte.
Aber Mikah gab keine Antwort. Er wandte Jason den Rücken zu und befaßte sich wieder mit seiner Arbeit. Aus Erfahrung hatte er unterdessen gelernt, daß man gelegentlich besser schwieg, selbst wenn dies eine fast übermenschliche Beherrschung erforderte. Deshalb biß er die Zähne zusammen und antwortete nicht, so daß Jason sich schulterzuckend abwandte.
Im Innenhof des Forts der Perssonoj stand ein großer Behälter, der mit Wasser gefüllt war, das mit Booten gebracht wurde. Hier trafen sich die Sklaven, wenn sie Wasser holten, und hier wurde geschwatzt — und nicht nur das.
Mikah wartete geduldig, bis er an der Reihe war, suchte aber gleichzeitig nach dem anderen Sklaven, der ihn vor einigen Wochen ohne Erfolg angesprochen hatte. Er sah ihn schließlich Feuerholz über den Hof schleppen und ging zu ihm hinüber.
„Ich werde euch helfen“, flüsterte Mikah, als sie aneinander vorübergingen. Der Mann grinste verschlagen.
„Endlich bist du zur Vernunft gekommen. Du wirst rechtzeitig benachrichtigt, bevor wir losschlagen.“
Als die Sommertage immer heißer wurden, mußte Jason seine Versuche an dem Dampfkatapult in die etwas kühleren Abendstunden verlegen. Der ölbefeuerte Kessel strahlte solche Hitze aus, daß Jason nur noch nachts daran arbeiten konnte. Mikah war in den Hof gegangen, um Wasser zu holen — er hatte tagsüber nicht daran gedacht —, so daß Jason ihn nicht sah, als er selbst nach dem Abendessen in seine Werkstatt ging. Er begann sofort mit den Tests und hörte nichts von dem, was außerhalb vorging. Erst als ein Soldat mit blutbefleckter Rüstung hereinstürzte, ahnte er, daß Gefahr drohte.
„Angriff — die Trozelligoj!“ keuchte der Soldat.
Jason versuchte Befehle zu geben, aber niemand hörte auf ihn, als seine Assistenten hinausrannten. Er fluchte leise vor sich hin und löschte das Feuer unter dem Kessel, damit dieser während seiner Abwesenheit nicht in die Luft flog. Dann wandte er sich ebenfalls zur Tür, holte aber zuerst einen Morgenstern unter dem Tisch hervor. Diese Waffe hatte er einige Tage zuvor konstruiert, um sich verteidigen zu können, falls einmal ein Notfall eintrat.