Vier Schüsse genügten, um die massiven Balken zu zerschmettern. Der Weg war frei. Jason warf die Arme in die Höhe und sprang in das Boot. Als die Sirene ertönte, setzten sich die Boote der Perssonoj in Bewegung.
Weil er zu wenig Vertrauen zu den anderen hatte, mußte Jason sämtliche Positionen selbst übernehmen und war also nicht nur Feldherr, Admiral, Kanonier, Richtschütze und Kapitän, sondern auch alles andere, wozu die Perssonoj nicht geeignet waren. Allmählich taten ihm schon die Füße weh, aber er tröstete sich mit dem Gedanken, daß er seinen Teil bereits getan hatte. Der Weg war frei — und der eigentliche Kampf war nicht seine Sache.
Die kleineren Boote, die gerudert werden mußten, hatten bereits einen beträchtlichen Vorsprung, aber die dampfgetriebene Dreamnaught holte sie rasch wieder ein. Die Boote wichen nach beiden Seiten aus, so daß eine Gasse entstand, durch die das Schlachtschiff mit voller Kraft voraus auf die Überreste des Tores zudampfte. Der gepanzerte Bug zersplitterte die restlichen Balken und riß die Flügel aus den Angeln, dann wirbelte die Schraube bereits das Wasser des Hafenbeckens auf. Die Perssonoj stürmten an Land, wo sie von den Trozelligoj erwartet wurden, so daß eine Minute später ein heftiger Kampf im Gange war.
Jason griff nach der Flasche für Notfälle, die er in einer gepolsterten Halterung aufbewahrte, und nahm einen kräftigen Schluck daraus. Dann goß er sich ein Glas voll und beobachtete den Kampf von der sicheren Brücke aus.
Die Schlacht war eigentlich bereits von Anfang an entschieden gewesen. Die Verteidiger waren unterlegen und demoralisiert. Sie konnten nur langsam zurückweichen, als die Perssonoj von allen Seiten in den Hof eindrangen. Bald darauf hatte sich der Kampf in das Innere der Festung verlagert — jetzt mußte Jason seine Aufgabe erfüllen.
Er trank das Glas aus, nahm einen Schild in die linke Hand und griff nach dem Morgenstern, der sich bereits als nützlich erwiesen hatte. Irgendwo hinter diesen Mauern wurde Ijale gefangengehalten, und Jason wollte sie befreien, bevor ihr ein Leid geschah. Er fühlte sich ihr gegenüber verpflichtet, denn schließlich hatte er sie aus ihrem gewohnten Leben herausgerissen. Er sprang ans Ufer.
In der Eingangshalle wurde nicht mehr gekämpft, aber aus den Gängen erschollen überall laute Schreie, mit denen sich die Verteidiger zu verständigen versuchten. Jason überlegte kurz und wich in einen leeren Gang aus, weil er sich mehr davon versprach, wenn er die Verteidiger umging, um hinter ihren Linien weiterzusuchen. Er rannte weiter und stieß fast mit einem unbewaffneten Sklaven zusammen, der vor Angst kein Wort herausbrachte, als Jason ihn nach Ijale fragte.
Lautes Geschrei und klirrende Waffen wiesen ihm schließlich den Weg zu dem großen Saal, in dem noch erbittert gekämpft wurde.
Jason sah eine kleine Gruppe von Männern hinter der Linie der feindlichen Soldaten stehen. Sie waren besser gekleidet und mit Juwelen behangen — also vermutlich Angehörige der herrschenden Familie. Von ihrem erhöhten Standort auf einer Plattform hatten sie einen guten Überblick über das Kampfgeschehen. Einer von ihnen zeigte auf Jason und sprach hastig mit den anderen, die daraufhin zur Seite wichen.
Jason erkannte, daß zwischen ihnen Ijale stand — gefesselt und geknebelt —, und daß einer der Männer ihr sein Schwert auf die Brust gesetzt hatte. Die Bedeutung dieser Szene war klar genug: Jeder Angriff bringt ihr den Tod. Die Trozelligoj schienen zu vermuten, daß Jason dem Mädchen genügend Zuneigung entgegenbrachte, um den Angriff einstellen zu lassen. Sie hatten den Tod vor Augen, deshalb war ihnen jedes Mittel recht.
Jason reagierte mit einem Schrei und stürzte vorwärts. Er wußte, daß es jetzt keinen Kompromiß mehr geben konnte; der Hertug und die Perssonoj waren vernünftigen Argumenten nicht mehr zugängig. Also mußte er Ijale retten!
Die Trozelligoj wurden beiseite geschleudert, als Jason sich zwischen ihre Reihen warf. Er schlug wie ein Wilder mit dem Morgenstern um sich und wehrte die Schwerter ab, die auf ihn niedersausten. Als er die erste Reihe hinter sich hatte, stellte er sich nicht zum Kampf, sondern lief weiter. Hinter ihm griffen die Perssonoj an, um Jasons selbstmörderischen Durchbruch für sich auszunützen.
Auf der Plattform stand noch ein anderer Mann, den Jason erst jetzt erkannte, als er näher herankam. Es war Mikah, der Verräter! Er stand neben Ijale, die ermordet werden würde, weil Jason sie unmöglich rechtzeitig erreichen konnte. Das Schwert senkte sich schon, um ihr Herz zu durchbohren.
Dann sah Jason zu seinem Erstaunen, daß Mikah einen Schritt vortrat, den Mann mit dem Schwert von hinten an den Schultern packte und zu Boden riß. Mehr konnte er nicht sehen, denn in diesem Augenblick wurde er von allen Seiten gleichzeitig angegriffen und mußte sich verzweifelt seiner Haut wehren.
Aber seine Chancen standen zu schlecht — fünf, sechs zu eins —, denn die Angreifer hatten nichts mehr zu verlieren. Andererseits brauchte er nicht zu siegen, wenn er sie nur an dem Mord hindern konnte, bis die Perssonoj heran waren. Sie kamen bereits näher; Jason hörte sie jubeln, als die Verteidiger zurückwichen.
Dann gewannen die Gegner die Oberhand und erdrückten Jason fast. Er schlug einen zu Boden und wandte sich um, weil er von hinten angefallen wurde. Da — der Alte, der Anführer der Trozelligoj… mit blitzenden Augen… das lange Schwert… der Stoß.
„Stirb, Dämon! Stirb, Mörder!“ kreischte der Trozelligo und stieß zu.
Die lange Klinge drang oberhalb des Gürtels in Jasons Körper ein und trat am Rücken wieder aus.
16
Jason hatte Schmerzen, fand sie aber nicht einmal unerträglich. Viel schlimmer war das Bewußtsein, daß er jetzt sterben mußte. Der Alte hatte ihn getötet. Nun war alles vorüber. Jason stieß den alten Mann mit letzter Kraft von sich fort, so daß er stolperte und fiel. Das Schwert steckte noch immer in seinem Körper.
„Nicht anfassen“, sagte Jason heiser zu Ijale, die mit ihren gefesselten Händen danach greifen wollte. Sie starrte ihn erschrocken und ängstlich an.
Der Kampf war zu Ende. Jason sah den Hertug vor sich auftauchen, auf dessen Gesicht deutlich zu lesen war, daß er keine Hoffnung mehr für Jason hatte. „Saubere Tücher“, verlangte Jason leise. „Ihr müßt sie fest auf die Wunde drücken, wenn das Schwert herausgezogen wird.“
Zwei kräftige Soldaten stützten ihn, während andere Leinentücher bereit hielten. Der Hertug stand vor Jason, der nur mit dem Kopf nickte und die Augen schloß. Noch einmal durchzuckte ihn der Schmerz, dann sank er zu Boden und nahm kaum noch wahr, daß sich die anderen um ihn bemühten.
Bevor er das Bewußtsein verlor, fragte er sich, weshalb er nicht einfach aufgab. Warum die Schmerzen verlängern? Hier konnte er nur sterben, denn er war Lichtjahre von sämtlichen medizinischen Errungenschaften entfernt. Er konnte nur noch sterben…
Jason erwachte nur noch einmal aus seiner Ohnmacht und sah, daß Ijale die klaffende Wunde an seinem Körper mit großen Stichen vernähte. Dann wurde es wieder dunkel um ihn, und als er später nochmals die Augen öffnete, lag er in seinem Zimmer, wo das Sonnenlicht durch die zersplitterten Fensterscheiben hereinströmte. Als jemand ihm ein nasses Tuch auf die Stirn legte, merkte er, wie ausgetrocknet sein Hals und sein Mund waren.
„Wasser…“, verlangte er und war überrascht, daß seine Stimme so schwach klang.
„Du darfst eigentlich nichts trinken — wegen der Wunde dort“, sagte Ijale mit zitternden Lippen.
„Das spielt jetzt keine Rolle mehr… so oder so“, versicherte Jason ihr. Das Bewußtsein, daß er sterben mußte, war schmerzhafter als die Wunden. Der Hertug betrat den Raum, blieb neben Ijale stehen und hielt Jason eine Schachtel entgegen.
„Die sciuloj haben diese Bede-Wurzeln beschafft, die jeden Schmerz betäuben. Du mußt sie kauen — aber nicht zu oft; die Wurzeln sind sehr gefährlich, wenn man zu viele davon nimmt.“