„Nein, ich fasse es nicht einmal an. Aber ich möchte sehen, was die d’zertanoj hergestellt haben. Hier hast du noch ein Stück Fleisch. Jetzt möchte ich dein schönstes Ding sehen.“
Ijale fuhr mit der Hand in eine Art Geheimtasche zwischen ihren Fellen und zog sie dann zur Faust geballt wieder heraus. Sie streckte Jason stolz die Hand entgegen und öffnete sie langsam. Auf der Handfläche lag eine winzige rote Glasperle.
„Ist das nicht schön?“ fragte das Mädchen.
„Sehr schön“, stimmte Jason zu und empfand ein unerklärliches Mitleid, als er die kümmerliche Glasperle betrachtete. Die Vorfahren dieses Sklavenmädchens waren in Raumschiffen auf diesen Planeten gekommen und hatten ohne Zweifel eine hochstehende Technik mitgebracht. Aber die Nachkommen dieser Pioniere waren so tief gesunken, daß sie eine wertlose Glasperle als ihren kostbarsten Besitz betrachteten.
„Also gut“, sagte Ijale und ließ sich in den Sand zurücksinken. Sie begann die Felle auseinanderzuschlagen, die ihr als Kleidung dienten.
„Nein, nein“, wehrte Jason ab. „Das Fleisch war ein Geschenk — du brauchst nicht dafür zu bezahlen.“
„Du willst mich nicht?“ fragte das Mädchen erstaunt und wickelte sich wieder ein. „Magst du mich nicht? Findest du mich zu häßlich?“
„Du bist hübsch“, log Jason. „Sagen wir einfach, ich sei zu müde.“
War das Mädchen häßlich oder hübsch? Jason konnte es nicht beurteilen. Das verfilzte Haar verdeckte die obere Gesichtshälfte, während eine Schmutzkruste die untere verbarg. Die aufgesprungenen Lippen und die entzündete rote Stelle auf der Backe ließen das Mädchen nicht gerade hübscher erscheinen.
„Darf ich heute nacht bei dir bleiben, obwohl du zu alt bist, um mich zu wollen? Mzil’kazi will mich immer und tut mir weh. Siehst du, dort drüben schleicht er schon wieder herum.“
Der Mann, auf den sie wies, lungerte in einiger Entfernung herum und zog sich rasch weiter zurück, als Jason aufsah.
„Seinetwegen brauchst du keine Angst zu haben“, versicherte Jason dem Mädchen. „Wir haben uns schon am ersten Tag darüber geeinigt, wer stärker ist. Wahrscheinlich ist dir die Beule an seinem Kopf aufgefallen.“ Als Jason nach einem Stein griff, rannte der Sklave davon.
5
Ijale blieb am folgenden Morgen in Jasons Nähe und nahm den Platz neben ihm ein, als die endlose Suche nach krenoj begann. Er stellte ihr weitere Fragen und hatte bereits gegen Mittag alles von ihr erfahren, was sie über ihre Umwelt jenseits des schmalen Küstenstreifens wußte. Das Meer war ein Geheimnis, das eßbare Tiere, Fische und gelegentlich auch eine menschliche Leiche lieferte. Ab und zu waren in der Ferne Schiffe sichtbar, aber niemand wußte, woher sie kamen und wohin sie fuhren.
An die andere Seite des Küstenstreifens schloß sich die Wüste an, die noch unwirtlicher als diese Gegend war, in der wenigstens krenoj wuchsen. In der Wüste konnten nur die d’zertanoj und ihre geheimnisvollen caroj existieren. Letztere konnten Tiere sein — oder vielleicht auch eine Art Fahrzeuge; beides war nach Ijales vager Beschreibung möglich. Meer, Küste und Wüste — aus diesen Elementen bestand ihre ganze Welt, und sie konnte sich nicht vorstellen, daß es auch noch etwas anderes geben könnte.
Jason wußte, daß es etwas anderes geben mußte; die Armbrust war der Beweis dafür, und er mußte herausbekommen, woher sie stammte. Zunächst mußte er aber einen geeigneten Moment abwarten, um sein Sklavendasein zu beenden. Aber das hatte vorläufig keine Eile. Er wußte unterdessen, wie man Ch’akas Stiefeln auswich, brauchte nicht übermäßig schwer zu arbeiten und hatte genug zu essen. Als Sklave brauchte er nicht für seinen Lebensunterhalt zu sorgen und konnte sich mit den Verhältnissen auf diesem Planeten vertraut machen, so daß er die Flucht nicht unvorbereitet antreten mußte.
Gegen Nachmittag des gleichen Tages wurde eine andere Sklavengruppe sichtbar, die langsam näher kam. Jason hatte erwartet, daß die gestrige Vorstellung sich wiederholen würde. Er war angenehm überrascht, als dies nicht der Fall war. Als die andere Gruppe auftauchte, bekam Ch’aka einen Wutanfall, vor dem sich die Sklaven in alle Richtungen in Sicherheit bringen mußten. Ch’aka stampfte mit den Füßen auf, brüllte zornig und schlug sich mit der Keule gegen den Lederpanzer, daß es weithin dröhnte. Nachdem er sich auf diese Weise in die richtige Stimmung versetzt hatte, rannte er schwerfällig los. Jason folgte ihm in sicherer Entfernung, weil er beobachten wollte, wie sich diese interessante Angelegenheit entwickelte.
Vor ihnen stoben die anderen Sklaven auseinander, und aus ihrer Mitte stapfte ein schwer bewaffneter und gepanzerter Mann hervor. Die beiden Sklavenhalter rannten aufeinander zu, so daß Jason schon auf einen Zusammenprall hoffte. Dazu kam es jedoch nicht, denn die Bewaffneten hielten rechtzeitig inne und gingen langsam umeinander herum, wobei sie sich Verwünschungen zuriefen.
„Ich hasse dich, M’shika!“
„Ich hasse dich, Ch’aka!“
Wieder die gleichen Worte, aber diesmal waren sie ernst gemeint, weil die beiden Männer nicht nur eine Formalität zu erfüllen hatten.
„Ich bringe dich um, M’shika! Du bist schon wieder mit deinen schmutzigen Sklaven auf meinem Grund und Boden!“
„Du lügst, Ch’aka — dieses Stück Land gehört mir!“
„Ich bringe dich um!“
Ch’aka sprang mit diesen Worten auf seinen Gegner zu und holte mit der Keule zu einem gewaltigen Schlag aus, der den anderen zu Boden gestreckt hätte, wenn er nicht geschickt ausgewichen wäre. Aber M’shika war auf den Angriff vorbereitet, wich einige Schritte zurück und holte seinerseits zu einem Schlag aus, den Ch’aka ohne Mühe parierte. In dieser Weise dauerte der Kampf noch einige Minuten an, bis die beiden Gegner sich plötzlich umklammert hielten.
Sie rollten miteinander durch den Sand. Dabei ließen sie die schweren Keulen achtlos fallen, die für den Nahkampf ohnehin ungeeignet waren, und kämpften mit Messern und Knien weiter. Jetzt begriff Jason auch, weshalb Ch’aka sich lange Stoßzähne an die Knie geschnallt hatte. Die Gegner kämpften wütend und legten erst nach längerer Zeit eine kurze Pause ein, um dann den Kampf mit verdoppelter Energie fortzuführen.
Ch’aka entschied schließlich den langen Kampf zu seinen Gunsten. Er ließ den Dolch fallen, nahm ihn mit dem Mund wieder auf und hielt dann die Arme des Gegners mit beiden Händen fest, während er gleichzeitig nach einer schwachen Stelle in der Rüstung des anderen suchte. M’shika stieß einen Schmerzensschrei aus, riß sich los und sprang auf, um zu fliehen. Er hatte eine Wunde am Oberarm davongetragen, die heftig blutete. Ch’aka stürzte sich erneut auf ihn, aber der Verletzte wehrte den Angriff mit seiner Keule ab.
M’shika stolperte rückwärts und suchte hastig die verschiedenen Waffen zusammen, die er im Laufe des Kampfes verloren hatte. Dann wandte er sich endgültig zur Flucht. Ch’aka verfolgte ihn ein kurzes Stück weit und schrie ihm Schimpfworte nach. Jason sah ein nadelspitzes Horn im Sand liegen und hob es rasch auf, bevor Ch’aka zurückkehrte.
Nachdem der Gegner endgültig in die Flucht geschlagen war, suchte Ch’aka sorgfältig den Kampfplatz ab und nahm alles an sich, was militärischen Wert haben mochte. Obwohl die Sonne erst in einigen Stunden untergehen würde, ließ er seine Sklaven nicht weiter nach krenoj suchen, sondern verteilte die Abendration an Ort und Stelle.
Jason kaute nachdenklich an einer Wurzel, während Ijale ihren Kopf an seine Schulter lehnte und sich ausdauernd kratzte. Die Sklaven hatten alle Läuse, und auch Jason war von dieser Plage nicht verschont geblieben. Er kratzte sich ebenfalls.