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Die Lichter unter seinen Lidern verschoben sich geräuschlos. Nur die Apparaturen des Beckens rauschten, die Pumpe dröhnte, im Hintergrund summte etwas. Odilo erhob sich, als er hörte, wie sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte.

Er fing mit einem Griff eine Maus aus ihrem Käfig, setzte ihr einen Nasenkegel auf, durch den das Anästhetikum verabreicht wurde, und hielt sie fest, bis sie betäubt zusammensackte. An der vorgesehenen Körperpartie rasierte er die Maus, zuerst mit einem elektrischen Rasierer, dann entfernte er überzähliges Haar mit einem handelsüblichen Gel. Er desinfizierte die Haut, zog sie straff, stach die Spritze ein. Er legte die schlafende Maus in ihren Käfig zurück. Wenn sie wieder zu sich kam, sollte sie ein wenig laufen, damit sich der injizierte Stoff D-Luciferin Firefly, die Leuchtsubstanz des amerikanischen Glühwürmchens, richtig verteilte.

Er schloß die Tür der Lichtbox und nahm zunächst ein Dunkelbild des leeren Kastens auf. Dies war entscheidend, um Hintergrundflimmern und Störsignale berücksichtigen und später eliminieren zu können. Dann steckte er die Schnauze der Maus wieder in den Nasenkegel, befestigte ihren kleinen Körper an einem Sicherheitsnetz, folgte routinemäßig den Anweisungen.

Das Tier wird schwach belichtet aufgenommen, um seine Körperposition und die Lage der Organe zu bestimmen.

Ein Biolumineszenzbild wird sofort im Anschluß aufgenommen.

Nach der Bilderserie nochmals ein Dunkelbild.

Auf dem Computerbildschirm legte Odilo die Dunkelbilder übereinander. Das Dunkelfeld wies erhebliche Unregelmäßigkeiten auf, es zeigte verzitterte Wellen wie auf einer Meeresoberfläche bei wenig Wind. Er lud das Biolumineszenzbild hoch und subtrahierte von diesem das gemittelte Dunkelbild. Das Lichtsignal brach ellipsenförmig aus der Schwärze; kein Mond, eher ein Loch, ein Glutkern, der sich vorfrißt und alles zu entzünden droht; ein Loch, das den Blick, der vom Schwarz abprallte und auf sich selbst zurückgeworfen wurde, in sich hineinzog, in eine gleißende äußerste Ferne.

Bestimmen Sie eine Region des Interesses, um das Signal zu messen und zu integrieren.

Er zeichnete die Region des Interesses ein, lud das Lichtbild hoch und legte das Biolumineszenzbild darüber, ließ den Hintergrund transparent werden.

Die Maus lag ausgebreitet auf dem Sicherheitsnetz, die Beine von sich gestreckt, den Schwanz locker zwischen den Hinterbeinen. Die Fußsohlen waren nach oben gekehrt und zeigten ihre Nacktheit, die Ohren fast durchscheinend, der Kopf leicht angehoben aufgrund des Nasenkegels, der Nacken warf feine speckige Falten.

Auf den übereinandergelegten Aufnahmen war das Lichtsignal in Regenbogenfarben dargestellt. Die höchste Intensität markierte ein roter Fleck, umgeben von gelben, grünen, türkisfarbenen Ringen, die am Rand in ein zerfranstes Violett ausliefen. Im Hintergrund ließ sich das Innere der Lichtbox erkennen, das Metallgehäuse mit seinen Vorrichtungen, über das wie ein Tennisnetz quer das Netz mit der Maus gespannt war. Der bunte Fleck an ihrem Oberschenkel wirkte übertrieben, wie eine Comiczeichnung, die auf einem realistischen anatomischen Foto die Aufschlagstelle des Balls markiert.

Mittags brachte ihm eine Kollegin aus den Niederlanden, die ihn nicht interessierte, eine Ochsenschwanzsuppe aus dem Automaten im Foyer. Er löffelte die Brühe mit höflicher Todesverachtung, nickte zu den Ausführungen der Kollegin, registrierte alarmiert, daß sie unter Kopfschuppen litt, die den Kragen ihrer dunkelblauen Bluse sprenkelten, er duldete gleichwohl, daß sie das gebrauchte Plastikgeschirr für ihn entsorgte, verabschiedete sie und desinfizierte seinen Arbeitstisch.

Die Maus wird sanft erwärmt, bis die Venen der Schwanzwurzel leicht geschwollen sind. Hier erfolgt die Injektion.

Für die Aufnahmen, die über eine Zeitspanne von 30 Minuten bis zu einer Stunde erfolgen sollten, wird die betäubte Maus auf den Rücken gelegt, mit Hand- und Fußfesseln versehen, der Schwanz abgedeckt.

Wie äußerst verlangsamte Blitze kriecht nun das Licht die Leisten der Maus hinauf, durchzieht die Lymphbahnen bis zur Achsel, illuminiert die Lage der Lymphknoten in normalem Gewebe.

Die Maus wird in ihren Käfig zurückgesetzt. Üblicherweise erholen sich die Tiere innerhalb von fünf Minuten.

Mein sogenanntes Bereitschaftszimmer im Schloß ist in Wahrheit ein Dauerbereitschaftszimmer, ich stehe Tag und Nacht zur Verfügung, ich wohne hier. Außer dem Bereitschaftszimmer, in dem ich schlafe, wurde mir ein Büro zugeteilt, das zugleich als Therapiezimmer dient. Ich empfange hier die Patienten zu Einzelgesprächen. Für die Gruppentherapie ist das Büro zu klein, diese findet im Speisesaal statt und beginnt damit, daß alle Teilnehmer die Tische zur Wand rücken und in der Mitte einen Stuhlkreis bilden. Schon an dieser minimalen Initiative entzünden sich die ersten Konflikte, und wir beginnen in medias res. Ich bin mir mit meiner Chefin nicht einig, ob wir diese Initialinitiative durch Verlegung der Gruppensitzungen in die Bibliothek lieber vermeiden oder im Gegenteil das Initiatorische noch verstärken sollen, indem wir die Patienten auffordern, die Tische nach den Gesprächsrunden und also vor den Mahlzeiten in ihre alte Ordnung zurückzurücken. Hierfür ist bislang das Küchenpersonal zuständig, die Patienten bilden den Stuhlkreis, das Küchenpersonal löst den Stuhlkreis wieder auf. Frau Dr. Z. findet das bourgeois und tröstet sich damit, daß auch das Küchenpersonal zum Teil aus Patienten besteht, die dort Hilfsdienste verrichten, ich hingegen glaube, daß die Gespräche im Kreis größere Effekte zeitigen, wenn zu einem stillen, besinnlichen Ende gefunden wird, alle in stummer Andacht auf ihre Zimmer gehen und das Geschehene nachwirken lassen können, ich glaube, daß ein neuerliches Schieben der Tische und Umsetzen der Bestuhlung, mit dem damit verbundenen nervenzerrüttenden Quietschen, Ratschen und Poltern, der lärmenden Sperrigkeit alle guten Ansätze sofort wieder zunichte macht. Die Ruhe des Kreises soll bis zuletzt bleiben: So viel Luxus muß sein.

Bevor ich die Medikamentenpackungen aufsammele, alles zurück an seinen Platz stelle, werte ich den nächsten Anamnesebogen aus. Ich gebe mir Mühe, zu klaren Ergebnissen zu kommen, denn ich muß die Diagnose mit Frau Dr. Z. besprechen. Sie hält nichts von Vagheit, nichts vom Wahrscheinlichkeitscharakter einer Störung, sie mutmaßt nicht.

Etwas später verlasse ich mein Büro, die Diagnosen säuberlich unterm Arm, und stoße fast mit dem Patienten B. zusammen. Ich sehe es an seinem Mienenspiel, erst erschreckt, dann ertappt, dann verärgert, daß er an meiner Tür gelauscht hat. Tablettenschachteln, die gegen die Wand klatschen, können recht laut werden, und ich zucke selbst zusammen bei dem Gedanken, er könnte Frau Dr. Z. petzen, daß der Arzt Janich seinen Patienten den Podex versohle. Ich räuspere mich und sage zu Herrn B., daß ich mir nichts vorzuwerfen habe. Ich räuspere mich und teile ihm mit, daß in fünf Minuten die Sport- und Entspannungsstunde beginnt, an der er sonst immer teilnimmt. Herr B. setzt sich verstockt auf einen der Wartestühle in meinem Korridor und macht keine Anstalten, sich zum Sport zu begeben. Dabei hat er bereits Sportkleidung angetan, einen Trainingsanzug mit Reflektorstreifen, die im schummerigen Korridor markante Signale aussenden.

Biolumineszenz war die große Leidenschaft von Odilo. Von ihm weiß ich sehr genau, zu welchem Behuf die lebenden Wesen Leuchtmittel einsetzen. Beim Anblick von Herrn B. höre ich wieder Odilos dozierende Stimme, und ich rattere vor mir selbst pflichtschuldigst die verschiedenen Funktionen herunter, als könnte ich Odilo damit Ehre erweisen.