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Die mystische Jagd kreist um den Schoß der Jungfrau. Als Verkündigungsszene geht sie auf den heidnischen Mythos um ein wildes Tier zurück, das mit einem einzelnen Horn bewehrt ist und nur von einer Jungfrau gezähmt werden kann.

Meine Schwester pflegte, dachte ich damals, denke ich jetzt, die Methode der Ansitzjagd. Die Hortus-conclusus-Methode, die Geschlossener-Garten-Methode, die Diesseits-der-Hecken-hocken-Methode, es war die Methode des einfachen Wartens.

Meine Schwester, in sich ruhend, nach allen Seiten ausstrahlend, allzeit bereit, geflügelte Botschafter zu empfangen, ungewisse Tiere bei sich aufzunehmen, solange diese sich mit ihrer Katze vertrugen, meiner Schwester gelang es zu warten, ohne zu wissen, worauf.

Ich stellte mir vor, wie der Bauwagen zuschnappte, wie die schiefe Tür aufknarrte und hinter ihm wieder ins Schloß fiel. Draußen nur Wind, groß und formlos, fortschreitend in die beginnende Nacht; draußen Wind, sein Gewicht beugt das Gras, seine spurlosen Tritte folgen den Fährten der Einbildungskraft.

Ich schrak zusammen, als es an die Scheibe klopfte. Odilo hatte sich unbemerkt genähert, obgleich ich den Parkplatz bewachte.

Er öffnete die Beifahrertür und stieg ein, als wäre nichts gewesen. Als hätte er ganz im Sinne der gemeinsamen Aktion gehandelt, indem er sich bis zum Einbruch der Dunkelheit im Wald aufhielt, zur Not eben ohne mich, als hätte er Geduld bewiesen, zur Not eben ohne mich, die Aktion, auch wenn sie nicht ganz nach Plan verlief, aus reiner Größe nicht abgebrochen, als hätte er mir mit seinem Verhalten einen Gefallen getan.

Um ihn diese Aura von Chrom, Zementwerk, Nebelfrustration. Rehe auf freiem Feld, an den Rändern unscharf. Das Aufheulen von Motoren inmitten schwarzer Wälder. Sägen und durchdrehende Räder. Polierte Früchte im Gras. Die stillen Senken, wo auch am Nachmittag noch Rauhreif liegt.

Er öffnete die Beifahrertür und stieg ein.

Um ihn ein Hauch von Puder, Schweiß und billigem Parfüm.

Wir können, sagte er und schnallte sich an.

26 Leuchtmäuse

Hochmütige Kittel hingen am Haken, ignorante Kittel, die mich nicht zur Kenntnis nahmen, Kittel, die unangenehm rochen, als seien sie im Regen naß geworden, die nach nasser Ratte rochen, nach fremden, bissigen Haustieren. Kittel, die mir nicht gehörten, die mir nicht gefielen und die mir nicht paßten.

Ich besuchte Odilo im Institut. Der Pförtner hatte mich mit Instruktionen versehen und zu einer Treppe im hinteren Flügel geschickt, die ich erklomm. Auf dem ersten Absatz reckte eine medizinische Personenwaage ihren langen mechanischen Hals. Daneben präsentierte ein Abfallkorb seinen Müllbeutel, ließ sich von den Knitterfalten überlappen.

Schilder leiteten mich durch nüchterne Gänge, Schilder, auf denen es hieß: hier entlang, dritte Tür rechts, Treppe hoch. Auf den Schildern zeigten Pfeile in Richtungen, die zu den Textanweisungen nicht paßten. Pfeile, die sich wie Uhrenzeiger unbemerkt weiterdrehten, die längst nach unten wiesen, während die Anleitung den Besucher ins obere Stockwerk steigen ließ? Als habe nur die selbstvergessene Treppe es nicht mitbekommen, daß sie sich neuerdings im Keller befand?

Labyrinthische Gänge, ich das Versuchstier. Während ich eine weitere Treppe hinaufstieg, überlegte ich, daß Odilo diesen Besuch sehr wohl als Verhaltenstest konzipiert haben konnte. War ich imstande, ausreichend rättische Intelligenz aufzubringen, um seinen Arbeitsplatz zu finden?

Ich stieß auf einen Fahrstuhl und stieg ein, ich war bereits wütend. In der nächsten Etage wehte eine junge Assistentin herein, wir fuhren ins oberste Stockwerk, und sie geleitete mich bis vor Odilos Tür.

Niemand reagierte auf mein Klopfen. Ich pochte probehalber an eine der Röhren, die unter der Decke verliefen, und erzeugte einen metallischen Klang. Odilo kam aus der Tiefe des Gangs.

Ob ich gut hergefunden hätte? Es war eine Testfrage.

Ich, sagte ich, sei den Hinweisen gefolgt.

Er schloß die Tür auf, wir traten ein, und er ließ sein wichtigtuerisches Schlüsselbund, an dem eine größere Schlüsselmenge hing, achtlos auf den Schreibtisch fallen, wo es sich zu einem dicken Metallstern auffächerte. Hätte es sich nicht um moderne Sicherheitsschlüssel gehandelt, wäre es durchaus dem vergleichbar gewesen, über welches ich im Schloß verfügte.

Die Maus war jung und winzig und paßte in eine Säuglingshand. Odilo nahm sie mit raschem Griff aus dem Behältnis. In seiner Pranke wirkte sie verloren. Mäuse kommen nackt und blind zur Welt. Dieser hier war bereits ein Hauch von Fell gewachsen, nachteilig, so erklärte Odilo, für die Vorführung, denn die Maus leuchte zwar, ihr Haarkleid jedoch nicht. So daß die Behaarung das Leuchten des Leibes leider verdecke. Bei einem Jungtier, dessen Behaarung noch weniger ausgeprägt sei, könne man wohl noch einen Schimmer erhaschen, deshalb habe er ein Exemplar des jüngsten Wurfes ausgewählt, konzentrieren aber müsse man sich bei dieser Begutachtung auf die unbehaarten Partien der Maus, welche wären: die Füße, die Ohren, der Schwanz.

Ich lehnte an einem weißen Laborschrank. Als ich bemerkte, daß ich lehnte, rückte ich erschrocken ein Stück ab.

Der Raum war weiß eingerichtet und ohne Tageslicht. An der Decke brannten Leuchtstoffröhren, über weißen Tischen drückten Hängeschränke, hinter Schiebefenstern reihten sich Glasflaschen mit unterschiedlichen Flüssigkeiten. Ich wollte vermeiden, den Schrank durch mein Körpergewicht in Schwingung zu versetzen, ich wollte nichts Gläsernes zum Vibrieren bringen, ich hielt mich ordentlich aufrecht und beugte mich interessiert vor.

Über dem Labortisch schaltete Odilo das ultraviolette Licht an, er verlangte, daß ich mich auf die Stelle, an der sich die Maus befand, konzentrieren solle, da ich diese Stelle im Dunkeln nur mit Mühe wiederfinden würde.

Die Maus bewegte sich suchend in seiner Hand, sie suchte mit zuckender Schnauze nach ihrem Nest, ihrer Mutter, ihren Geschwistern, vielleicht suchte sie die Futterquelle, vielleicht war es auch nur ihre natürliche Bewegungsart, ihre Art, sich der Welt zu nähern, Ausdruck ihrer Lebendigkeit.

Ganz ruhig, Kleiner, sagte Odilo, er sagte es in einem zärtlichen Ton, den ich noch nie zuvor von ihm gehört hatte, und während ich noch spürte, wie seine tiefe, rauhe, beschwörende Stimme in meinen Körper drang, während ich mich beim Klang dieser Stimme am liebsten wieder angelehnt, mich in ihre dunklen Wellen gelegt hätte, durchschoß mich der Gedanke, daß diese Maus, die Vorführmaus, vermutlich Grund zur Unruhe hatte.

Odilo hatte sie in der Mäusezucht separiert. In einem kleinen Transportkäfig war sie in diese Kammer gebracht worden. Sie hatte sich in die Sägespäne gewühlt, es gelang ihr nicht, sich zu verstecken.

Die Mäusezucht durfte ich nicht betreten. Dies liege nicht daran, daß der Forschungsgegenstand so geheim sei, betonte Odilo. Man werde von mir nicht annehmen, ich sei ein Wissenschaftsspion. Daß der bloße Anblick einer Maus, selbst wenn sie glühbirnengleich den Raum erhellte, mich noch nicht in die Geheimnisse der Gentechnik einführte, sei auch dem Institut klar. Der Besucher, erfuhr ich, bringt Keime in die Mäusezucht ein, an denen der gesamte Bestand zugrunde gehen kann. Die empfindlichen Labortiere, die mit der Außenwelt nicht in Berührung kommen, befinden sich in einem dauernden Quarantänezustand. Sie müssen vor unwillkürlich eingeschleppten Keimen, die sich unter den Schuhsohlen befinden können, die sich beim Niesen verbreiten, beim Atmen, sie müssen vor dem Besucher geschützt werden.

Die eine Maus jedoch, die Odilo mir zeigte — würde sie nicht, wenn sie zu ihrer Mäusefamilie zurückkehrte, die von mir eingeschleppten Keime ebenfalls übertragen können? War diese Maus also, da ich sie betrachten durfte, damit schon für immer aus der Tierzucht entfernt?