Odilo schaltete die Neonröhre aus. Der Raum schlug finster über uns zusammen, voll verborgenem Schrecken, ohne Grenzen, ohne Mitte, ohne jeden festen Ort. Ich irrte für ein paar Sekunden in dieser Unermeßlichkeit umher, ich irrte in Gedanken, hatte Angst, mich zu bewegen und an den Laborschrank zu stoßen. Ich hörte Odilos Atem, er versuchte, die zappelnde Maus günstig ins UV–Licht zu halten, und dann sah ich es: Sie leuchtete. Sie leuchtete wirklich. Nicht spektakulär, nicht so, daß ihr Leuchten den Raum bedeutend erhellt hätte. Das Leuchten, dicht an der Hautoberfläche, umspielte ihren Körper wie eine Aura, ein feinstes Schimmern, als sei es die Lebenskraft der Maus, die ein wenig über ihre Körpergrenzen hinausreichte, als sei das, was man so alltäglich Ausstrahlung nennt, plötzlich sichtbar gemacht. Kein außerordentliches Charisma, was auch zuviel verlangt wäre von einer jungen Maus, aber doch ein Nimbus, wie man ihn bei einem Heiligen erwarten würde, wie ihn vielleicht die Emmaus-Jünger endlich an Jesus wahrnahmen, als es hieß: Da gingen ihnen die Augen auf.
Die Maus leuchtete, aber ich mußte mich auf dieses Leuchten konzentrieren. An ihrem Schwanz entlang sah ich es am deutlichsten, sie schimmerte schwach grünlich wie die phosphoreszierenden Sterne, die man an die Kinderzimmerdecke klebt und die nachts das am Tage gespeicherte Licht wieder abgeben.
Ein gelbgrünes, ein unorganisches, ein künstlich-mechanisch wirkendes Licht, ein wie von außen zugesetztes, nicht aus eigener Kraft oder gar aus freiem Willen im Körper hergestelltes Licht; ein Licht, wie es bei Fäulnisprozessen entsteht; leuchtender Moder, Irrlichter, Pilze, das Licht der Zersetzung.
Odilos Erfolge habe ich immer als etwas Unmoralisches empfunden. Heutzutage gibt es natürlich keinen unmoralischen Erfolg, sondern mit jedwedem Erfolg befindet man sich automatisch auf der Seite des Schönen, Wahren und Guten. Er befaßte sich mit Lumineszenz, also gewissermaßen mit Schönheit, folglich galt seine Arbeit als wahr und als gut. Oder: Er verdiente gut, also war auch das Schöne und Wahre vorhanden. Ich hingegen stieß mich bereits an dem Ausdruck Luziferase. Das Verruchte, Egozentrische, Amoralische seiner Beschäftigung lag ja schon in diesem Wort. Wir wollen nicht vom Teufel sprechen, der Teufel ist abgeschafft, auch wenn wir der Meinung sind, daß er in manchen Fällen durchaus nützlich wäre, nützlich als Orientierungspunkt im Handeln, als ethisches Kriterium, als Figuration der Abschreckung. Freud konstatierte, der Teufel enthalte die abschreckenden Züge Gottes und erlaube, an Gott selbst als gütigen, huldvollen, gnädigen Vater zu denken. Heute sind wir nicht einmal mehr zu solch einer grobschlächtigen Spaltung fähig, mit der Abschaffung des Teufels ist Gott reingewaschen, aber auch ermattet: Statt dessen herrscht eine Gleichgültigkeit, die alles erlaubt. Was bleibt, ist der Name: Luziferase, Luziferin.
Die Substanz jenes Lichtengels, Lichtbringers, Leuchtendsten. Substanz des Fliegenfürsten, des Herren der Blendung, des selbstscheinenden Leibs. Substanz des Gefallenen, des Höllensturzes, Substanz der Trugbilder und Verführungen, Substanz des schönen Scheins und der Erscheinung der Welt. Die biologischen Benennungen unterliegen nicht dem Zufall, sie machen Zusammenhänge kenntlich, knüpfen neu erforschte Wesen an ihren Entdecker, verbinden einzelne Exemplare mit ihrer Familie, Gattung, Art und sperren sie so in ein System umfassender Verwandtschaft, und nun: Luziferase. Die Substanz, die alle Festigkeit, alle Gewißheit wieder aufhebt und die Dinge zurückführt auf das, was sie immer waren: ein flüchtiges Aufschimmern in der Zeit, ein lichter Streif im Raum, ein geheimnisvolles Aufflackern der Erinnerung, Deckerinnerung, Einbildung, Traum der Welt von sich selbst. Luziferase, Leuchtorgan des herrlichsten Engels. Schönheit des abgefallenen Lichts.
Ich war durch die luziferisierte Maus ein wenig beunruhigt. Allerdings verstand ich Odilo so, daß Luziferase hier nicht in Betracht kam. Wir hätten es hier mit GFP zu tun, grün fluoreszierendem Protein, und er führte aus, daß sie, die veränderte Maus, durchaus nichts zu überstrahlen imstande sei, vielmehr stets der Anregung durch das UV–Licht bedurfte, von sich aus nichts vermochte, Katzen beispielsweise nicht durch plötzliches Aufleuchten abschrecken würde, wie auch immer. Mich hingegen hätte interessiert, wie lange so eine Maus nach ihrem Ableben noch weiterleuchtete, aber es erschien mir unpassend, mich ausgerechnet danach zu erkundigen.
Wir standen im Dunkeln, Odilo dozierte über seine Forschungsarbeit, ich hörte weg und lehnte mich doch in seine Stimme, die zufrieden klang und etwas selbstgefällig, und während er sprach, schien die Dunkelheit zuzunehmen, nur die Maus trat zwielichtig hervor und säte Zweifel. Ich zweifelte plötzlich, ob ich mich überhaupt in dieser Situation befand, ich zweifelte an mir, ob ich mich körperlich im Raum aufhielt oder lediglich in Gedanken, ob ich nicht ortlos geworden war, zerstreut in der Finsternis.
Die Maus, zu meinem Erstaunen, erledigte mich. Mir schien, daß all meine Vermögen vor ihrem harmlosen Blick zerfielen.
Meine Patienten sahen grüne Mäuse in der Klinik — was sah ich?
Ich fühlte mich vom Wunder dieser Leuchtmaus verwirrt, ich fühlte meine Vorurteile angesichts ihrer täppischen Kindlichkeit pulverisiert, ich fühlte mich von der Maus seltsam angezogen.
Odilo erwies sich als taktile Begabung. Mit welch sanfter Eleganz er die Maus hielt; die Maus, der er alsbald, so fürchtete ich, mit einer raschen geübten Bewegung das Genick brechen würde.
Ich hätte die Maus gern gestreichelt, glaubte aber zu wissen, daß ich das nicht durfte. Ich hätte gern ihr noch kaum vorhandenes, eben erst sprießendes Körperhaar berührt, meinen Finger in dieses diffuse Licht gehalten, die flaumige Haut der Maus auf ihre irdische Verfaßtheit geprüft, dabei vielleicht auch die Innenfläche von Odilos Hand gestreift, zu einem einfachen Vergleich der Wärme — ich wußte, daß Odilo viel Wert auf seine gepflegten Finger legte, sich regelmäßig eincremte, was ich niemals tat, und was um so alberner wirkte, als seine Hände dunkel behaart waren — aber die Maus würde die weichen Polster seiner Hand an Zartheit übertreffen, ich streckte im Dunkeln schon den Arm aus, aber dann ließ ich es, dachte an Bazillen, Übertragungswege — doch ich atmete ja, atmete Keime aus, die mit einem Hauch durchaus auf den mäuslichen Schnurrhaaren landen, sie infizieren konnten — die Maus besaß keinerlei Abwehrkräfte, sie war ohnehin todgeweiht — ich wagte mich nochmals vor, aber Odilo machte eine unwillkürliche Bewegung, wandte sich eifersüchtig ab, geriet zwischen mich und die Maus, und ich rammte ihn versehentlich am Oberarm. Er verlor das Gleichgewicht, suchte Halt, wollte sich an etwas festhalten und schloß die Faust.
Auch ich hatte an Standfestigkeit eingebüßt, war zurückgeschreckt und mit der Hüfte gegen den Lichtschalter geprallt. Die Röhre flammte auf, und Odilo ließ die zerdrückte Maus wie beiläufig in den Käfig zurückgleiten.
Die Maus wäre ohnehin gestreckt worden — was besagte, daß man Kopf und Rumpf auseinanderzog, bis es knackte — aber dennoch setzte sich in mir ein Gefühl des Unbehagens fest: Als hätte er sie nur getötet, damit ich sie nicht berührte.
Ich blieb nicht mehr lange. Wir tranken noch einen Automatenkaffee in der Lobby, dann verabschiedete ich mich rasch.
27 Doppelsonnen
Den Silvesterabend verbrachte ich im Vorgarten seines Elternhauses. Die Laterne auf dem Ziegelpfosten am Gartentor brannte, die Mauerkrone war dünn mit Schnee bedeckt. Seine Mutter hatte sich unwohl gefühlt und sich früh hingelegt. Odilo mochte das vorausgesehen haben. Er rief mich ein paar Tage vorher an, ob ich den Jahreswechsel mit ihm feiern wolle, er würde sich über meine Gesellschaft freuen.