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Da zog sie ihre Hand wieder von seinem Arm und antwortete:

„Sie fragen zu viel, Monsieur.“

Er haschte ihr Händchen wieder, hielt es fest und fuhr fort:

„So sagen Sie wenigstens, ob Sie bereits jemand kennen, um den Sie sich nicht sorgen, weil Sie ihn lieben.“

Da glitt ihr gewöhnliches schalkhaftes Lächeln wieder über ihr Gesicht.

„Ja“, antwortete sie in versicherndem Ton.

Er schien fast zu erschrecken und fragte leise und stockend:

„Wer ist das, wer? Darf ich das erfahren?“

„Ja, mein Herr; es ist ja kein Geheimnis.“

„Nun, wer ist es?“

„Ida, meine Schwester.“

„Donnerw –“; fast hätte er diesen Fluch ausgestoßen. Er hielt aber die zweite Hälfte desselben glücklich zurück und fuhr fort:

„Mein Gott, Komtesse, wollen Sie mich denn wirklich in Verzweiflung bringen? Ich versichere Ihnen, daß ich Ihre Schwester nicht gemeint habe.“

Da endlich schien sie ihn zu verstehen; sie machte ein sehr ernsthaftes Gesicht und sagte:

„Ah, jetzt erst weiß ich, woran Sie dachten!“

Ihre Miene gab ihm Veranlassung, neue Hoffnung zu schöpfen, darum sagte er, zu ihr hinübergeneigt:

„Gott sei Dank. Also, gibt es eine solche Person?“

„Ja, Herr Lieutenant“, antwortete sie leise und ihm freundlich zunickend.

„Wer ist es?“

„Meine Tante, die Gräfin.“

Das war ihm zu toll. Er öffnete bereits den Mund, um irgendein derbes Wort zu sagen, besann sich aber noch und hielt zurück. Doch drehte er sich um, um sich von ihr zu entfernen. Sie wollte ihn abermals festhalten, dies gelang ihr aber nicht, und so tat sie, was in diesem Fall am geratensten war. Sie folgte ihm, um an seiner Seite zu den beiden anderen zurückzukehren. Doch während der wenigen langsamen Schritte, die sie bis dahin taten, sagte sie:

„Sie zürnen mir?“

„Ja“, antwortete er kurz.

„Habe ich das verdient? Womit?“

„Ich glaubte, einen Stern in Ihnen zu finden. Sie aber sind der reine Irrwisch.“

Nur der Ärger hatte vermocht, ihm dieses letztere Wort zu entreißen.

„Mein Herr, Sie sind nun wieder und wieder ein Bär“, antwortete sie. „Vielleicht ist ein Irrwisch gerade für einen Bären ein Stern. Übrigens muß ich Ihnen sagen, daß auch ich höchst zornig auf Sie bin.“

„Ah! Warum?“

„Sagen Sie, wollen Sie heiraten?“

Er war ganz verblüfft über diese Frage. Diese hatte er keinesfalls erwartet. Es fiel ihm in der Schnelligkeit keine andere Antwort ein, als:

„Natürlich werde ich einmal heiraten.“

„Aber wann?“

„Zum Teufel“, dachte er bei sich im Inneren; „wozu diese nüchternen Fragen!“ Laut jedoch antwortete er ebenso nüchtern:

„Sobald mein Beruf und die Verhältnisse es erlauben, Mademoiselle.“

„So haben Sie also mit Ihrem Beruf und mit den Verhältnissen zu rechnen?“

„Leider!“

„O weh. Ich beklage ein jedes Herz, welches zu rechnen hat!“

„Beklagen Sie auch das meinige?“

„Vielleicht mehr als jedes andere.“

„Mehr? Wohl weil es umsonst rechnet und fühlt?“

„Nein, sondern weil ich wünsche, daß es fühlen dürfe, ohne zu rechnen.“

„Ja, die Damen hassen gewöhnlich das Rechnen.“

„Ich nicht. Ich halte es für ein angenehmes Turnen des Geistes.“

„Da möchte ich Sie bitten, mir beizustehen.“

„Im Rechnen?“

„Ja.“

„Gut. Hier meine Hand. Wir wollen miteinander berechnen. Die Ansprüche Ihres Berufs und die Gunst oder Ungunst der Verhältnisse.“

„Bis wie lange?“

„Bis wir ein gutes Fazit erreichen.“

„Und dieses Fazit heißt?“

„Schon wieder ein Bär! Man darf nicht mit den Pranken dreinschlagen.“

„Verzeihung. Aber ehe wir das Fazit erlangen, könnte das Irrlicht verlöschen.“

„Oder doch zeigen, daß es kein Irrlicht, sondern ein Stern sei.“

„Aber nicht für mich!“

„Für wen sonst?“

„Für einen anderen.“

Sie waren während der wenigen Schritte, welche sie zu tun hatten, einige Male halten geblieben. Auch jetzt blieb Hedwig stehen und sagte:

„Warum glauben Sie das?“

„Weil es so die Natur des Irrlichtes ist.“

„Aber es ist ja ein Stern, und Sie wissen, daß ein jeder Stern treu und unverdrossen um einen anderen kreist. Haben Sie denn nie Vertrauen?“

„Mein Gott, wer kann Vertrauen haben, wenn man nie ein Wort hört, welches so ernst ist, daß man darauf bauen könnte.“

Da trat sie ganz nahe zu ihm heran, ergriff seine Hand und sagte:

„Ist Hedwig ein Wort?“

„Ja, ein Name.“

„Bauen Sie auf dieses Wort. Ein besseres, festeres und sicheres kann ich Ihnen nicht sagen.“

Dann trat sie von ihm hinweg und begab sich nach dem Fenster, an welchem Ida mit Gebhard gestanden hatte, und zwar so vertieft in ihre Unterhaltung, daß sie auf Hedwig und Kunz gar keine Aufmerksamkeit gerichtet hatte.

Als Hedwig nach der Entfernung der Gräfin sich vom Stuhl erhoben hatte, um an das Piano zu treten, hatte sich Ida dem Fenster genähert, wie um irgend etwas in einem dort stehenden Stickkörbchen zu suchen. Da Gebhard sich nun allein am Tisch befunden hatte, war er ihr langsam gefolgt. Sie hörte das Nahen seines leisen Schritts und wendete sich langsam zu ihm um.

„Herr Lieutenant“, sagte sie, „glauben Sie, daß es mir erst in diesem Augenblick einfällt, daß ich beinahe einen Raub an Ihnen begangen hätte?“

Er wußte, was sie meinte. Als die Gräfin das Bild seiner Mutter betrachtet gehabt, hatte sie dasselbe an Ida zurückgegeben. Das schöne Mädchen hatte es spielend in der Hand behalten; spielend hatte sie es im Laufe der Unterhaltungen an ihre eigene Uhrkette genestelt und später nicht wieder daran gedacht. Erst jetzt war es ihr wieder eingefallen.

„Ja, einen Raub, einen großen Raub haben Sie an mir begangen“, antwortete er, indem er neben sie in die Fensternische trat, in welcher sie stand.

Sie wurden beide von den Gardinen so verdeckt, daß sie von der Schwester und Goldberg gar nicht gesehen werden konnten.

Bei dieser Antwort errötete Ida.

„Ich habe es vergessen“, meinte sie verlegen, „hätte Tante nicht während des Soupers Ihre Gegenwart gewünscht, so wären Sie gegangen, und ich hätte das Kleinod zurückbehalten – ganz ohne Absicht.“

„Ich wäre wiedergekommen und hätte es von Ihnen zurückerhalten“, antwortete er. „Aber Fräulein, ich meinte einen anderen Raub.“

„Einen anderen? Ich habe keine Ahnung –!“

Sie hatte mit gedämpfter Stimme gesprochen. War es infolge einer leisen Ahnung, trotzdem sie das Gegenteil behauptete?

„Sie ahnen es nicht, Komtesse? Ahnungslosigkeit ist in vielen Fällen ein sehr beneidenswerter Zustand, und so will ich Ihnen denselben nicht stören.“

„O nein, Monsieur“, entgegnete sie schnell, „habe ich ein Unrecht an Ihnen begangen, so bitte ich Sie um Verzeihung und um Mitteilung desselben.“

„Unrecht?“ sagte er. „O nein, tausendmal nein! Bitte, Mademoiselle, geben Sie mir einmal Ihr Händchen.“

Sie reichte ihm vertrauensvoll ihre Rechte dar. Er ergriff dieselbe und sagte:

„So! Diese Hand muß ich Ihnen drücken voll inniger Dankbarkeit, daß Sie mir in einem Augenblick zu Hilfe kamen, da ich schon alles verloren gab.“

Sie ließ ihm ihre Hand und antwortete:

„Sie haben einen vollständigen Sieg errungen, Herr von Königsau.“

„Oh, nur durch Ihr rechtzeitiges Einschreiten!“

„Ich tat nur, was mir mein Herz gebot. Tante hatte ein großes Unrecht gegen Sie begangen. Wie freut es mich, daß sie ihre Meinung so schnell geändert hat! Sie haßt leider die Deutschen und – die Offiziere, oder vielmehr den Stand der letzteren.“