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„Herr! Sie waren es!“

„Herr! Sie sind's gewesen!“

„Morbleu! Wissen Sie, wer und was ich bin?“

„Hm! Viel wohl nicht.“

Dabei warf der mit dem Kalabreser dem Künstler einen höchst verächtlichen Blick zu. Dieser letztere war darob im äußersten Grad erzürnt und rief:

„Ich heiße Haller und bin Maler.“

„Stubenmaler etwa?“

„Nein, sondern Kunstmaler. Ich bin aus Stuttgart.“

Da heiterte sich das glänzende Gesicht des kleinen Dicken auf. Er sagte, bereits viel weniger zornig:

„Herr, ich bin auch Maler!“

„Stubenmaler?“

„Nein, sondern Kunstmaler. Mein Lieblingsgenre sind Viehporträts.“

„Wo sind Sie her?“

„Aus Berlin.“

„Wie heißen Sie?“

„Kennen Sie meinen Namen noch nicht? Ich heiße Hieronymus Aurelius Schneffke. Wir sind also Kollegen, Herr!“

Jetzt war aller Groll aus dem Gesicht des Dicken gewichen. Das schien den Langen zu rühren.

„Ja, Kollegen“, nickte er.

„Was wollen Sie in Tharandt?“

„Die ‚Heiligen Hallen‘ sehen.“

„Ich auch. Wollen wir uns aneinanderschließen, Herr Kollege?“

„Mir recht.“

„Gut! So wollen wir auch diesen Pechvogel gemeinsam bezahlen!“

„Ich mache mit.“

„Das beträgt pro Mann siebenundzwanzig Groschen neun und einen halben Pfennig. Den Halben spielen wir auf dem Billard aus. Nicht?“

„Einverstanden!“

„Schön! Die Hand auf, Kellner! Hier ist Asche. Aber ein anderes Mal schwänzeln sie nicht so nahe an uns vorüber, zumal man die Augen nicht auf dem Rücken hat; das ist doch so richtig wie Pudding. Kommen Sie, mein bester Herr Kollege!“

Der Dicke nahm Mappe und Regenschirm unter den linken, und der Lange nahm diese Gegenstände unter den rechten Arm. Die beiden freien Arme aber schlangen sie ineinander und wanderten also dem Ort zu, von einem fröhlichen Gelächter des Publikums begleitet.

Haller hatte etwas Vornehmes, Aristokratisches an sich; aber sein Gesicht zeigte einen offenen, gutmütigen Ausdruck. Er schien mit dem Dicken vollständig ausgesöhnt.

„Also aus Berlin sind Sie?“ fragte er diesen im Gehen.

„Jawohl, Herr Kollege.“

„Sind Sie da bekannt?“

„Sehr sogar!“

„Kennen Sie eine Familie Königsau?“

„Ja, sogar sehr gut. Bei diesen Leuten wohne ich ja.“

„Ah, wirklich? Das trifft sich prächtig! Es ist ein Großvater da?“

„Das stimmt!“

„Und eine Tochter, ein sehr hübsches Mädchen?“

„Hübsch ist sie, ja“, meinte der mit dem Kalabreser, indem er mit der Zunge schnalzte.

„Könnten Sie mich in die Familie einführen?“

„Mit dem größten Vergnügen, verehrtester Herr Kollege. Wann werden Sie nach Berlin kommen?“

„Ich fahre bereits morgen vormittag hin.“

„Donnerwetter, ich auch! Wir passen zusammen! Uns hat das Schicksal für irgendeinen großen, erhabenen Zweck zusammengeführt.“

„Fast scheint es so.“

„Fahren wir morgen zusammen!“

„Gern!“

„Heute genießen wir Tharandts ‚Heilige Hallen‘ in Gemeinschaft!“

„Ist mir lieb.“

„Und jetzt schwenken wir hier in diese Kneipe ein, um unsere Bekanntschaft mit etwas Nassem zu befeuchten!“

„Ich schließe mich an.“

Sie traten in die Restauration und ließen sich eine Flasche Wein geben. Der Kleine wollte das Vorrecht, sie zu bezahlen, für sich in Anspruch nehmen. Dieselbe Forderung aber erhob der Lange auch, und so kamen sie überein, jeder die Hälfte zu entrichten.

„Also, Sie wohnen wirklich bei Königsau?“ fragte Haller, als das Gespräch in Fluß geraten war.

„Freilich! Bereits seit langer Zeit.“

„Kommt Moltke zuweilen hin?“

„Moltke?“ fragte der Dicke verwundert. „Nein.“

„Oder Bismarck?“

„Nie.“

„Oder verkehren andere höhere Offiziere und Diplomaten dort?“

„Ich wüßte nicht, was die da wollten und sollten. Solche Leute kaufen ihre Handschuhe im großen und ganzen und lassen sie niemals färben.“

„Ihre Handschuhe?“

„Ja. Der Königsau ist Glacehandschuhfärber.“

„Glace-hand-schuh-färber?“

„Natürlich! Das ist so sicher wie Pudding!“

„O weh! Ich meine eine ganz andere Familie Königsau. Das ist eine Offiziersfamilie.“

„Ah, so! Hm, die kenne ich nicht, so leid es mir tut!“

„Na, sie wird wohl zu finden sein.“

„Ganz gewiß. Wünschen Sie, dort eingeführt zu werden?“

„Ja. Ist man in Berlin leicht zugänglich?“

„Sehr leicht. Berlin ist nicht London, und der Preuße ist kein Engländer. Wir werden suchen. Vielleicht treffen wir diese Offiziersfamilie einmal auf der Hasenhaide oder in Charlottenburg. Da macht sich die Bekanntschaft am allerleichtesten. Man borgt sich von dem anderen das Taschentuch für einen Augenblick; das ist die ganze Einleitung. Essen wir erst, ehe wir nach den ‚Heiligen Hallen‘ gehen?“

„Ich habe bereits ein zweites Frühstück genommen.“

„Ich mein drittes. Mit dem vierten kann ich ja noch warten, bis ich in den Wald komme. Da gibt es Schafgarbe, Sauerampfer und Brunnenkresse, meine Leibkompotts zum Schinkenbrot. Ich habe alle Taschen voll Bemmen stecken. Bei einem Kunstausfluge darf man ja nicht Not leiden wollen.“

„Sie wollen heute zeichnen?“

„Ja, natürlich. Deshalb gehe ich ja in die ‚Heiligen Hallen‘.“

„Ich denke, Sie sind Tiermaler?“

„Das bin ich allerdings. Es wird sich wohl etwas Lebendiges sehen lassen, eine Blindschleiche, eine Kaulquappe, oder eine Touristenfamilie. Wollen wir aufbrechen?“

„Einverstanden.“

Kurze Zeit später wanderten die beiden den Weißeritzgrund hinauf. Haller gab sich gemütlicher, als er es gewöhnt war. Der kleine Dicke war ein äußerst guter Gesellschafter, und während der Unterhaltung sah Haller ein, daß er es keineswegs mit einem Minus-Mann, sondern mit einem ganz tüchtigen Künstler zu tun hatte.

„Sie haben so etwas Militärisch-Soldatisches an sich“, meinte der Kleine in seiner humoristischen Ausdrucksweise zu ihm. „Man könnte Sie für einen Offizier in Zivil halten. Sind Sie Soldat gewesen?“

„Ja.“

„Ich auch.“

„Sie?“ fragte Haller, indem er die dicke Figur seines Begleiters erstaunt betrachtete.

„Jawohl. Ich habe es sogar bis zum Unteroffizier gebracht. Die Geschichte ist mir ungeheuer gut bekommen, wie Sie sehen. Meine Taille kann sich sehen lassen. Aber, bitte, schlagen wir uns doch ein bißchen seitwärts in die Wälder. Vielleicht findet sich eine hübsche Baumgruppe, oder so etwas Ähnliches für unsere Stifte. Etwas mitnehmen muß ich!“

Er war, wie es sich zeigte, trotz seines ungewöhnlichen Leibumfangs ein ganz guter Läufer und Steiger. Haller hatte einen recht ausgiebigen Schritt angenommen, aber der Kleine blieb ihm dennoch stets an der Seite.

Es war ein wunderschöner Tag. Draußen im Freien brannte die Sonne beinahe heiß hernieder, obgleich die Jahreszeit noch nicht weit vorgeschritten war. Hier im Wald warf sie schimmernde Lichter durch die Zweige. Die Ränder des jungen Grüns färbten sich goldig. Waldesduft erquickte die Lungen; Vogelgesang ertönte von den Zweigen, und von fern her tönten laute fröhliche Menschenstimmen herüber.

Nur von fern her? O nein! Die beiden hielten unwillkürlich ihre Schritte an. Ganz in unmittelbarer Nähe, gerade vor ihnen, ließ sich soeben eine Frauenstimme von ganz besonderem Wohllaut vernehmen. Die Stimmlage war im Alt, aber dieser Alt hatte eine eigentümliche silberne Klangfarbe.

„Horchen Sie!“ flüsterte der Kleine. „Das ist entweder vorgelesen oder deklamiert. Das sind Verse. Lassen Sie uns einmal sehen, wer es ist.“