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Sie wandten sich leise durch ein lichtes Buchengebüsch hindurch und standen nun am Rand eine kleinen Kessels. Unten auf der Sohle desselben lagen einige mit Moos bewachsene Steine, und da saßen zwei Frauen, ganz und gar in ihre Beschäftigung vertieft.

Die eine war nicht mehr jung; aber man sah es ihr an, daß sie sehr schön gewesen sein mußte. Ihr Gesicht war bleich, von vornehmen Schnitt und zeigte jenen stabilen Hauch der Schwermut, welcher stets die Folge eines still getragenen Leides ist. Die Toilette dieser Dame war, obgleich von touristenmäßigem Schnitt, doch reich zu nennen.

Die andere war jung, eine wirkliche Schönheit, hoch und voll gebaut, mit blondem Haar und schneeigem Teint, ihr Gewand war höchst einfach. Selbst an dem Hut, welchen sie neben sich gelegt hatte, war weder Blume, noch Schleife zu sehen. Sie hatte ein Buch in der Hand, aus welchem sie vorlas.

„Eine Aristokratin vom reinsten Blut; das will ich wetten“, flüsterte der Kleine.

„Und die jüngere ist Gouvernante, Gesellschafterin, Vorleserin“, fügte der Lange hinzu.

„Möglich. Eine schöne Gruppe! Wollen wir?“

Er warf dabei einen bezeichnenden Blick auf seine Mappe.

„Ich möchte wohl“, antwortete Haller, „aber hier können sie uns zu leicht bemerken.“

„Kriechen wir da rechts hinüber. Dort hängt der Rand ein gutes Stück über; dahinter können wir uns verstecken.“

Gesagt, getan. Sie schlichen sich nach der angegebenen Stelle, machten es sich dort so bequem wie möglich, und begannen dann zu zeichnen.

„Was mag es sein, was sie vorliest?“ fragte Haller.

„Ich glaube, das Buch sind Geroks Palmblätter“, antwortete der Berliner. „Ja, horchen Sie! Jetzt liest sie den Frühlingsglauben: ‚Und schau ich Gottes Welt im Frühlingslicht, wenn junges Grün erglänzt auf allen Triften, wenn Blütenschnee aus dürren Ästen bricht, und Lustgesang ertönt in blauen Lüften, dann hoff ich wieder, und noch glaub ich nicht an die Erfüllung schon der letzten Schriften, wo krachend unsre sündenmorsche Welt in Flammen des Gerichts zusammenfällt.‘“

„Herrlich, herrlich!“ flüsterte der Kleine. „Diese Betonung, diese Innigkeit des Ausdrucks! Sehen Sie, wie ihre Wangen sich gerötet haben wie – – Mohrenschockelement! Da geht, weiß Gott, die Ruschel fort.“

In dieser Begeisterung hatte er sich aufgerichtet und zu weit vorgewagt. Das lockere, überhängende Erdreich, auf welchem die beiden saßen, konnte die ungewöhnliche Last des Dicken nicht mehr halten, es gab nach und rutschte niederwärts.

„Hui! Ich halte mich doch noch fest.“

Bei diesen Worten streckte der Kleine den Arm aus und erfaßte, bereits im Abwärtsrutschen begriffen, das Bein seines langen Kollegen.

„Mille tonnerres!“ rief dieser. „Sie reißen mich ja mit in die Lawine hinein! Halt, Dicker, halt! Brrrr! Eh!“

Ja, leider gab es keinen Halt mehr, die Lawine fuhr zu Tal. Die beiden Damen hatten gar keine Ahnung davon gehabt, daß sie beobachtet seien. Der kleine Talkessel war ihnen zur Kirche geworden, und das fromme Dichterwort zum Evangelium. Diese ihre Andacht wurde nun so gewaltsam gestört durch die lauten Rufe, welche über ihnen erschallten.

Sie sprangen, im höchsten Grad erschrocken, von ihren improvisierten Sitzen auf und blickten empor. Was sie da sahen, war keineswegs erbaulich.

Eine ganze Partie von Erde, Sand und Geröll ergoß sich vom Rand der Schlucht nach unten, und mitten in diesem Chaos wälzte, rutschte, kugelte und kollerte der Dicke schreiend, prustend und stöhnend mit hernieder. An jedem Busch, an jeder Wurzel, an welchen er vorübersauste, wollte er sich festhalten, doch vergebens. Daher die verschiedenen, schnell aufeinanderfolgenden Ausrufungen des Schreckens, der Hoffnung, des Ärgers.

„Halt! Heh, hih, höh! Jetzt hab ich's! Au waih! Es geht wieder weiter! Hurrjeh! Gott, vergib mir meine Sünden! Hoppsa! Au! Pfeu Teufel! Ah, da ist ein Stamm! Halt fest, Dicker! Ätsch, da dampft er vorbei! Jemineh! Geht weg da unten, ihr Weibsen! Jetzt komme ich! Links, Dicker, weiter links, sonst brichst du Hals und Beine! So! Na, jetzt endlich nimmt's ein Ende.“

So kam er von oben heruntergefahren. Die Gewalt des Sturzes trieb ihn bis zu den beiden Damen hin, welche kaum wußten, ob sie fliehen oder bleiben sollten. Gerade vor ihnen blieb er beschmutzt und bestaubt, mit zerrissenen Hosen liegen, streckte alle viere von sich und sagte:

„Ergebenster Diener, verehrte Damen! Wünsche, wohl geruht zu haben. Stelle mich ihnen vor: Ich bin Herr Hieronymus Aurelius Schneff – Herrjesses, wer kommt denn da noch angesaust? Na, so ein Weihnachten! Hat's denn nicht bald ein Ende?“

Haller hatte sich nämlich etwas länger zu halten vermocht, endlich aber doch dem verhängnisvollen Gesetz der Schwere nachgeben müssen. Jetzt kam er angestürmt und fuhr mit solcher Wucht gegen den Dicken an, daß dieser noch ein großes Stück fortkugelte und sich, bevor er liegenblieb, noch einige Male überkugelte.

Der Lange raffte sich möglichst rasch auf und machte den Damen eine Verbeugung. Er wollte sich beinahe beleidigt fühlen, als er auf dem Gesicht der jüngeren ein ziemlich spöttisches Lächeln bemerkte, da aber rief ihm der Kleine zu:

„Reiß aus, Christlieb! Guck nur deine Hosen an! Vorn bei den Knien und hinten.“

Die engen Beinkleider Hallers waren allerdings noch viel schlimmer zugerichtet, als diejenigen des Berliners. Er warf einen erschrockenen Blick nach unten, sah seine beiden Knie durch zwei fürchterliche Risse gucken, wendete sich um und war im nächsten Augenblick hinter den Büschen verschwunden.

Jetzt raffte sich auch der Dicke empor. Er bot einen so komischen Anblick dar, daß die beiden Damen nur mit allergrößter Mühe ihr Lachen verbergen konnten.

„Schneffke, wollte ich vorhin sagen, meine Damen, da aber kam dieser Hans Tapps angesaust und riß mir das Wort vom Mund weg. Hieronymus Aurelius Schneffke, Kunstmaler. Meine Visitenkarten werde ich wohl unterwegs verloren haben. Es ist eine heillose Geschichte. Sehen Sie sich nur meinen Regenschirm an, da liegt er! Der hat nur noch total zerbrochene Knochen, die Haut ist ganz und gar verschwunden.“

Sein Skizzenbuch hatte die ganze Reise mitgemacht. Es lag am Boden, beschmutzt, zerrissen und zerzaust. Die jüngere Dame warf einen Blick darauf, bückte sich dann rasch und hob es auf, um das Blatt zu betrachten, welches gerade obenauf gewesen war.

„Ah, sieh, Tantchen, das sind wir“, sagte sie. „Das Schicksal hat glücklicherweise diesen Diebstahl auf das schnellste bestraft. Komm, laß uns unseren Spaziergang fortsetzen.“

Sie riß das Blatt, welches die Skizze enthielt, in kleine Stücke und streute die letzteren umher; dann verließ sie mit der anderen Dame den Talkessel.

„Donnerwetter!“ brummte ihr der Dicke nach. „Stolz lobe ich mir die Spanierin! So eine Vorleserin! Aber hat sie denn nicht Tante gesagt? Hm! Wohl nicht. Ich habe mich verhört. Mir brummt der Kopf wie eine Baßgeige. Wo muß nur dieser Herr Kollege stecken? Ah, dort kommt er!“

Haller hatte sich aus Scham vor den Damen zurückgezogen. Jetzt kam er aus den Büschen heraus.

„Verdammter Fall!“ fluchte er. „Schauderhaftes Ereignis! So ein Mädchen! So wunderbar schön! Mein Ideal gefunden! Endlich gefunden! Und dabei zerplatzt mir die Hose.“

„Das ist doch immer noch besser, als wenn sie eine Hose gefunden hätten, und dabei wäre das Ideal zerplatzt. Da oben liegen Ihr Schirm und Ihre Mappe. Sie sind viel besser weggekommen als ich. Bei mir ist alles zum Teufel.“

„Ja, das ist ein Trost. Ich habe die Skizze dieses herrlichen Kopfes, dieser köstlichen Figur erobert. Wissen Sie nicht, wer die beiden waren?“

„Nein. Daran sind ganz allein nur Sie schuld.“

„Wieso?“

„Ich hatte gerade begonnen, mich ihnen nach allen Regeln der Etikette und guten Lebensart vorzustellen, da kamen Sie geflogen und rissen mich aus dem Konzept heraus. Die Damen wären verpflichtet gewesen, mir auch ihren Namen zu nennen.“