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„Es ist ja möglich, daß wir sie wiedersehen. Jetzt gilt es vor allen Dingen, uns zu restaurieren. Es wird doch in Tharandt einen Schneider geben, der auf Lager hat, was wir brauchen?“

„Ich hoffe es. Aber Sie können sich auch in Tharandt nicht sehen lassen. Warum tragen Sie so enge Hosen?“

„So gehen wir jetzt einstweilen zu zweien, und in der Nähe des Städtchens bleibe ich zurück und warte auf Sie.“

So wurde es gemacht. Sie putzten sich, so gut es ging, den Schmutz aus den Kleidern und wanderten dann der Stadt zu. Haller blieb im Wald zurück und wurde dann von dem Dicken in den Stand gesetzt, sich wieder vor Menschen sehen lassen zu können. Aber die Freude am Ausflug war ihnen verdorben. Sie beschlossen, mit dem nächsten Zug nach Dresden zu fahren, von wo aus sie dann morgen nach Berlin Weiterreisen wollten.

Auf dem Bahnhof waren beide gezwungen, einige Zeit auf den Zug zu warten.

„Welche Klasse fahren wir, Verehrtester?“ fragte Schneffke.

„Ich werde die Billets sogleich besorgen.“

Sie saßen in der Restauration und hatten sich jeder ein Bier geben lassen. Haller ging und brachte dann zwei Billets erster Klasse.

„Verdammt!“ sagte der Berliner. „Diese Noblesse ist mein Geldbeutel nicht gewöhnt.“

„Aber der meinige! Sie haben gewünscht, daß wir uns bis Berlin aneinanderschließen – – –“

„Auch in Berlin!“ unterbrach ihn der Dicke. „Sie gefallen mir, obgleich sich Ihre Hosen nicht sehr durabel betragen haben, und da ist es mir lieb, wenn wir uns auch in Berlin nicht ganz aus den Augen verlieren.“

„Das ist mir recht, obgleich auch Ihre Hosen bei der Rutschpartie bedeutend gelitten haben. Aber wollen wir beisammen bleiben, so sind sie gezwungen, sich in meine Art und Weise zu fügen. Ich fahre nur erster Klasse!“

„Hm!“ lachte der Dicke. „Welche Klasse sind Sie denn da draußen im Wald gefahren? Übrigens bitte ich, mir zu sagen, wo Sie in Dresden logieren.“

„Das weiß ich nicht. Ich kam, gerade wie Sie, von Chemnitz her und nahm nur bis Tharandt Billet, um die berühmten ‚Heiligen Hallen‘ in Augenschein zu nehmen. In Dresden bin ich noch gar nicht gewesen.“

„Und ich kam aus dem Flöhattal, welches seiner landschaftlichen Schönheiten wegen bekannt ist. Ich stieg hier aus, um das seltene Vergnügen zu haben, einmal ohne Schnee auf ebener Erde Schlitten zu fahren. Ich werde im Trompeterschlößchen logieren.“

„Ein Hotel?“

„Nein, sondern ein Gasthof.“

„Pah!“ sagte Haller verächtlich. „Wer verkehrt da?“

„Der Mittelstand.“

„Der Künstler gehört nicht zum Mittelstande. Ist Ihnen nicht ein vornehmes Haus bekannt?“

„Hotel de Saxe oder Stadt Rom am Neumarkt.“

„So fahren wir nach Hotel de Saxe.“

„Wie? Ich auch mit? Da soll mich Gott behüten!“

„Warum?“

„Weil leider mein Beutel zum Mittelstand gehört.“

„Das ist kein Grund. Wir bleiben zusammen, und die Rechnung werde ich begleichen.“

„Sapperlot, diese Ouvertüre ist famos komponiert! Aber bester Herr Kollege, haben sie denn wirklich ihren Narren so an mir gefressen, daß sie mir solche Opfer bringen?“

„Diese geringe Ausgabe ist gar nicht der Rede wert; ich bin sehr reichlich mit Reisegeld versehen. Sie gefallen mir, und zudem bin ich noch nie in Berlin gewesen und sage mir daher, daß sie mir dort vielleicht von Nutzen sein können.“

„Soll ich Ihnen dort auch neue Hosen besorgen? Ich stelle mich sehr gern zur Verfügung. Dabei ist es ein wahres Glück, daß es dort keine heiligen Hallen gibt. Ich liebe es zwar, zuweilen ein kleines Abenteuer zu erleben, aber eine Omnibusfahrt ohne Omnibus ist denn doch nicht gerade angenehm, zumal wenn man sich dabei vor zwei solchen Damen blamiert. Die Alte war interessant. Ein höchst feines, geistreiches, aristokratisches Gesicht! Die Gesellschafterin aber war noch bei weitem wünschenswerter. Hat sie Ihnen gefallen?“

Haller blickte nachdenklich vor sich hin, als ob er sich ihr Bild noch einmal vergegenwärtigen wolle. Dann antwortete er:

„Sie ist eine Schönheit ersten Ranges!“

„Jawohl, jawohl! Allerersten Ranges! Donnerwetter! Wenn ich erstens wüßte, wer sie ist, und zweitens – ah! Hm!“

„Was zweitens?“

„Ob – na, ob sie bereits einen Liebsten hat oder nicht!“

„Sacrée! Sind Sie verliebt in sie?“

Der Dicke fuhr sich mit beiden Händen über den Mund, schnalzte mit der Zunge und antwortete:

„Verliebt, sagen Sie? Das ist ein verteufelt unpoetisches Wort. Ich an ihrer Stelle würde mich etwas anders ausdrücken.“

„Wie denn zum Beispiel?“

„Nun, das kann ich augenblicklich auch nicht sofort sagen. Aber als ich da oben von der Höhe herabgesaust kam und gerade vor ihren Füßen halten blieb, da überkam es mich wie – wie – ja, jetzt habe ich es – wie Schiller in seiner Glocke. Sie stand da vor mir ‚herrlich in der Jugend Prangen, wie ein Gebild aus Himmelshöhen‘; ich lag vor ihr auf jener menschlichen Gegend, auf welcher ungeratene Buben die meisten Prügel zu erhalten pflegen, und in diesem feierlichen Augenblick hätte ich ausrufen mögen, wie Schiller in der Glocke: ‚O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen, der ersten Liebe goldne Zeit! Ich lieg vor dir, grad wie besoffen. Und du? Du lachst, wie nicht gescheit!‘“

Haller konnte sich bei dieser Auslassung nicht enthalten, auch zu lachen. Der Dicke war wirklich köstlich; er ließ den Gefährten auslachen und meinte dann mit der ernsthaftesten Miene von der Welt:

„Was lachen Sie? Glauben Sie etwa, daß meine Verse ein empfängliches, sehnsuchtsvolles Mädchenherz nicht zu rühren vermögen! Ich bin in Berlin als einer der größten Don Juans bekannt!“

Der andere musterte ihn mit einem ungläubigen Blick und fragte:

„Sie? Ah! Wie viele Erfolge haben Sie zu verzeichnen?“

„Sehr viele! Die eine lacht mich aus; die andere zuckt die Achsel; die dritte läßt mich stehen und rauscht davon, und die vierte, Donnerwetter, wer kann sich das alles merken. Na, sie werden mich schon noch kennenlernen. Aber diese Gouvernante, diese Gesellschafterin, zu deren Füßen ich vorhin niedergesäuselt bin, die hat mir's angetan. Sollte ich sie jemals wieder treffen, so lasse ich eine Liebeserklärung vom Stapel, die sich gewaschen hat!“

„Viel Glück dabei, mein Lieber. Aber da ertönt das Zeichen. Lassen sie uns aufbrechen; der Zug kommt.“

Sie begaben sich nach dem Perron und stiegen in ein Coupé erster Klasse.

Sie hatten gar nicht die beiden Damen bemerkt, welche ganz in ihrer Nähe das Einlaufen des Zuges beobachtet hatten. Es waren dieselben, mit denen sie im Wald auf eine so ungewöhnliche Weise zusammengetroffen waren.

„Nehmen wir Frauencoupé?“ fragte die jüngere.

„Nein, liebe Emma.“

„Aber man weiß nicht, welche Gefährten man trifft.“

„Ich bin Offiziersfrau, und als solche darf ich mich nicht fürchten.“

Sie sahen ein Coupé erster Klasse offen stehen und stiegen ein, die ältere voran, die jüngere dann.

„Donnerwetter, die sind's!“ tönte es ihnen entgegen.

Der Dicke war es, der aus Überraschung diesen Ruf ausgestoßen hatte. Die ältere Dame hörte es und erkannte ihn. Sie machte sofort Miene, wieder auszusteigen, aber ihre Gefährtin, welche weder etwas gehört noch gesehen hatte, stand bereits auf dem Trittbrett und der Schaffner rief:

„Bitte schnell, meine Damen! Es läutet zum dritten Mal!“

Unter diesen Umständen gab es keine Wahl; man mußte bleiben. Der Schaffner warf die Tür zu, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Jetzt sah nun auch die Jüngere, in welche Gesellschaft sie geraten war. Ein eigentümliches, ironisches Lächeln zuckte um ihren Mund; dann ließ sie den Schleier nieder, wie um anzudeuten, daß sie für niemand vorhanden sei.