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Die beiden Herren saßen an dem einen und die Damen an dem anderen Fenster.

„Glückliches Omen!“ flüsterte der Berliner. „Soll ich?“

„Was?“ flüsterte sein Gefährte zurück.

„Na, die Liebeserklärung.“

„Unsinn. Wollen Sie die Damen beleidigen?“

„Keineswegs. Ich verstehe mich ganz gut auf solche Sachen.“ Er setzte sich in Positur, drehte sich nach den Damen hin, zupfte sich die Weste, welche ein wenig emporgerutscht war, zurecht, räusperte sich verheißungsvoll und sagte:

„Darf ich Ihnen vielleicht meinen Platz anbieten, gnädige Frau? Sie fahren wohl nicht gern rückwärts?“

Hätte sie angenommen, so wäre er vis-á-vis der Jüngeren zu sitzen gekommen. Seine Frage war in einem höflichen Ton gesprochen worden. Die Dame konnte also nicht umhin zu antworten. Sie neigte den Kopf ein wenig und sagte:

„Ich danke! Ich bin nicht nervös!“

„Oh, ich auch nicht!“ fügte er sehr geistreich hinzu, indem er einen triumphierenden Blick auf seinen Gefährten warf.

„Das habe ich bemerkt“, antwortete sie, indem ein feines, satyrisches Lächeln über ihr Gesicht glitt.

„Sehr freundlich. Wo haben Sie das bemerkt, gnädige Frau?“

„Im Wald. Es ist Ihnen ganz gleich, auf welche Weise Sie fahren.“

„Nicht wahr?“ lachte er. „Ich brauche dazu weder Kutscher, noch Pferde und Wagen, nicht einmal eine Lokomotive. Ganz gewiß haben Sie unsere Fertigkeit bewundert. Ich muß allerdings annehmen, daß Ihnen das Vorkommnis ein wenig unerklärlich gewesen ist?“

„Ich gestehe das allerdings ein.“

„Darf ich Ihnen die Erklärung geben?“

„Ich bitte darum.“

Es hatte eigentlich gar nicht in ihrer Absicht gelegen, auf eine Unterhaltung einzugehen, aber ein Blick in das offene, ehrliche und gutmütige Gesicht des Dicken, brachte sie zu dem Entschluß, ihm nicht wehe zu tun.

„Nun sehen Sie, gnädige Frau“, sagte er; „wir haben uns nämlich entschlossen, per Veloziped zu fahren, haben aber die Maschinen noch nicht erhalten. Um nun keine Zeit zu verlieren, sind wir in den Wald gegangen, um uns einstweilen einzuüben. Der Mensch muß praktisch sein. Wenn wir dann später die Velozipeds erhalten, besitzen wir bereits so viel Fertigkeit, daß wir uns sofort aufsetzen können. Ich hoffe, daß sie das sehr zweckmäßig finden.“

„Allerdings ebenso zweckmäßig wie außerordentlich!“ lachte sie.

„Das kann nicht auffallen; wir sind ja zwei außerordentliche Menschen. Wir sind Künstler. Wenn ich mich nicht irre, habe ich bereits im Wald die Ehre gehabt, mich Ihnen vorzustellen?“

„Ja, mein Herr; aber Ihr Name ist ebenso außerordentlich wie Ihre Person; ich muß Ihnen daher gestehen, daß ich ihn leider nicht behalten habe.“

„Sie haben ihn vergessen? Dieses Schicksal haben die meisten irdischen Größen zu erdulden; erst nach ihrem Tod setzt man ihnen Denkmäler. Ich werde mir aber erlauben, mein Andenken bereits jetzt zu Ehren zu bringen, indem ich Ihnen wiederhole, daß ich Hieronymus Aurelius Schneffke heiße.“

„Ich danke.“

Sie hielt die Sache für abgemacht, er aber blickte ihr so erwartungsvoll in das Gesicht, daß sie, innerlich im höchsten Grad belustigt fortfuhr:

„Mein Name ist Goldberg.“

Das war ihm nicht genug; darum fragte er: „Auch Künstlerin? Vielleicht Malerin?“

„Leider nicht. Mein Mann ist General.“

Er fuhr zurück und rief dabei:

„Sapristi. General von Goldberg etwa?“

„Ja.“

„Der ist ja Graf.“

„So viel ich weiß, ja!“ nickte sie.

„Habe die Ehre, gnädige Frau Gräfin. Und wie es scheint, steht dieses Fräulein als Vorleserin und Gesellschafterin in Ihrem Dienst?“

Über das fein gezeichnete Gesicht der Generalin glitt ein schalkhaftes Lächeln. Sie antwortete:

„Sie haben es erraten. Fräulein Emma ist meine Vorleserin, meine liebste Gesellschafterin. Darf ich vielleicht fragen, welche Genre Sie als Maler bevorzugen?“

Er nahm eine höchst wichtige Miene an, und erklärte:

„Ich bin zoologischer Künstler, und habe mich ganz besonders für diejenigen Erscheinungen des Tierreiches entschieden, durch welche die Natur den Gedanken der höchsten Schönheit, der ästhetischen Vollkommenheit verkörpert.“

„Ah, welche Tiere sind das?“

„Die Krebse, Spinnen und Tausendfüßler.“

Sie warf einen Blick auf ihn, in welchem sie die deutliche Besorgnis aussprach, ob er bei Sinnen sei; er aber machte ein Gesicht, welchem sie anmerkte, daß es sich nur um einen Scherz handle. Bereits wollte sie antworten, aber da kam ihr die Gefährtin zuvor, denn hinter dem Schleier heraus erklang die Frage:

„Gehörte Ihre heutige Leistung auch diesem Genre an?“

„Welche, mein Fräulein?“

Man sah ihm die Befriedigung an, sie zum Sprechen gebracht zu haben. Sie antwortete:

„Als Sie vor mir parterre ausruhten, lag neben Ihnen das Portrait eines Wesens, von welchem es mich interessieren würde, zu erfahren, ob sie dasselbe auch zu den Spinnen und Tausendfüßlern rechnen, Herr – Herr Schneffke.“

Er wußte, daß sie die Skizze ihrer eigenen Person meinte, doch brachte ihn das nicht im mindesten in Verlegenheit. Er antwortete:

„Das ist ein ganz anderes Genre, und nicht ich bin es, der dieses Portrait gezeichnet hat.“

„Ah! Wer sonst?“

„Ich habe meinem Herzen den Bleistift borgen müssen.“

Da, endlich war sie heraus, die Liebeserklärung! Er strampelte vor Freude mit den dicken Beinen, faltete die Hände befriedigt über dem Bauch, und warf seinen Gefährten einen höchst stolzen, siegreichen Blick zu.

Ein kurzes goldenes Lachen erscholl hinter dem Schleier.

„Ihr Herz zeichnet auch Figuren?“ fragte sie.

„Wie es scheint“, antwortete er. „Ich habe allerdings bisher davon noch nichts gewußt. Sie sind die erste Figur, an welche es sich gewagt hat.“

„Ich fühle mich ganz beglückt davon, Herr – Schneffke! Nicht wahr, so hießen Sie doch wohl?“

„Ja, Hieronymus Aurelius Schneffke. Das ist so gewiß und sicher wie Pudding. Sapperlot, das ist jammerschade!“

Die Unterhaltung war nicht ungestört geführt, sondern oft durch das Geräusch der Räder und das Anhalten des Zuges an den kleinen Stationen unterbrochen worden. Jetzt nun waren sie auf dem böhmischen Bahnhof angelangt. Die Tür wurde geöffnet, und man stieg aus.

Der Dicke wäre gern den Damen behilflich gewesen, saß aber leider auf der verkehrten Seite des Coupés. Doch sprang er, so rasch es ihm seine Korpulenz gestattete, ihnen nach und fragte den Hut ziehend:

„Befehlen die gnädige Frau vielleicht eine Droschke?“

Sie wollte diese Höflichkeit, welche man vielleicht mit eben demselben Recht eine Zudringlichkeit nennen konnte, zurückweisen, brachte dies aber bei den guten, treuen Augen, deren Blick er auf sie richtete, nicht fertig.

„Mein Herr, ich darf Sie doch nicht bemühen!“ meinte sie.

„Warum nicht?“

„Hm!“ lächelte sie, indem sie ihn vom Kopf bis zu den Füßen betrachtete. „Ihr Äußeres ist zu einer solchen Anstrengung wohl schwerlich prädestiniert!“

„Weil ich nicht ganz und gar hager bin? Oh, meine Taille geniert mich nicht im mindesten. Einer, welcher im Wald so außerordentlich hurtige Velozipedistenübungen fertig bringt, wird wohl auch nach einer Droschke springen können. Sie sollen sehen, wie ich fliege!“

Er eilte davon, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die sie ihm gar nicht zugetraut hätte. Er ließ sich von dem Polizisten, welcher am Ausgang stand, eine Nummer geben und suchte dann nach der Droschke, welche diese Nummer führte. Dabei brummte er befriedigt vor sich hin:

„Auf diese Weise erfahre ich, nach welchem Gasthof oder Hotel sie fahren. Ein gescheiter Kerl darf kein dummer Esel sein; das ist so gewiß wie Pudding. Diese Gesellschafterin lasse ich mir auf keinen Fall entlaufen.“