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Aber der Portier war nun doch mißtrauisch geworden. Er betrachtete sich den Dicken genau und fragte dann:

„Danke. Womit also kann ich dienen?“

„Mit einer Auskunft. Nicht wahr, es wohnt eine Generalin von Goldberg bei Ihnen?“

„Ja.“

„Mit ihrer Vorleserin?“

„Vorleserin? Nicht daß ich wüßte.“

„Aber ich weiß es sehr genau. Das Mädchen ist blond und hat eine bedeutende Figur.“

„Hm! Ah! Gut!“ lächelte der Mann. „Also das ist die Vorleserin? Ja, die ist mit hier.“

„Ist noch jemand dabei?“

„Ein Diener.“

„Der war aber heute ja nicht mit in Tharandt.“

„Nein, er blieb zurück. Haben Sie die Damen in Tharandt getroffen?“

„Ja. Ich hatte die Ehre, ihnen in der schmeichelhaftesten Weise vorgestellt zu werden. Wissen Sie vielleicht, wie lange sie noch hier in Dresden bleiben?“

„Sie reisen, so viel ich weiß, bereits morgen Vormittag ab.“

„So, so. Weshalb sind sie nach Dresden gekommen?“

„Wie soll ich das wissen? Glauben Sie, daß ich mir erlauben darf, hochgräfliche Herrschaften nach dem Zweck ihres Hierseins auszufragen?“

„Muß dieser Zweck nicht im Fremdenbuch bemerkt werden?“

„Das Fremdenbuch ist nicht mein Ressort.“

„So sind Sie vielleicht mit der hübschen Vorleserin zu sprechen gekommen?“

„Allerdings, sogar einige Male.“

„Das ist schön, sehr schön. War sie freundlich mit Ihnen? Vielleicht sogar vertraulich?“

Der Portier bekam eine Ahnung dessen, was der Dicke bezweckte.

„Ziemlich vertraulich“, antwortete er.

„Schön, schön! Wissen Sie vielleicht, wo sie her ist?“

„Das weiß ich sogar sehr genau. Ich kenne sie bereits seit mehreren Jahren.“

„Prächtig. Also woher ist sie?“

„Aus Dresden.“

„Donnerwetter. Hat sie einen Liebsten?“

„Gehabt. Sie war verlobt.“

„Hm. Mit wem denn?“

„Mit einem pensionierten Seminardirektor.“

„Alle Teufel! Das muß doch ein sehr alter Kerl gewesen sein.“

„Dreiundsiebzig Jahre.“

„Was? Dreiundsiebzig? Und in den ist sie verliebt gewesen?“

„Warum nicht? Frauen haben ihre Mucken. Die eine will einen jungen und die andere einen alten. Es gibt blutjunge Mädels, welche geradezu dafür schwärmen, einen Mann mit grauem Haar zu bekommen.“

„Ja, ja, das habe ich auch erfahren. Ein volles, rotes, gesundes Gesicht mit grauem Haar ist pikant. Also sie hat ihn nicht mehr?“

„Nein. Er ist ja tot!“

„Nicht schade um den Mann! Pensionierte Seminardirektoren können abkommen, besonders wenn sie rüstigen und unpensionierten Leuten die hübschesten Mädchen vor der Nase wegschnappen wollen. Drum trauert sie.“

„Sie hat auch alle Ursache dazu. Er muß ein sehr guter Kerl gewesen sein und sehr viel auf sie gehalten haben, denn er hat ihr sein ganzes Vermögen vermacht.“

„Das wäre! Sie hat ihn beerbt?“

„Sie ist seine Universalerbin. Er starb an den Masern.“

„Gott hab ihn selig! Er ruhe mit seinen Masern ewig in Frieden. Wie viel hat sie denn geerbt?“

„Sechzigtausend Taler in Gold, Silber und Staatspapieren, ein Haus in der Zahnsgasse, eine Villa in Niederpoyritz und die Hälfte von einer Papierfabrik in der Nähe von Markneukirchen im Gebirge.“

Der Dicke sperrte den Mund vor Erstaunen auf:

„Alle Wetter!“ sagte er. „Ist der Kerl reich gewesen. Seminardirektors sind doch gewöhnlich arme Teufel.“

„Er soll das alles in der Hamburger und Braunschweiger Lotterie gewonnen haben.“

„Ja, dann läßt es sich erklären. Also, das alles, alles hat sie geerbt? Das ist der schönste Pudding, den es gibt.“

„Sie ist ja eben gerade dieser Erbschaft wegen von Berlin hierher gekommen. Die Generalin hat sie begleitet, weil sie viel auf sie hält. Gestern vormittag ist das Geld ausgezahlt worden.“

„Und morgen schleppen sie es wohl nach Berlin?“

„Jedenfalls.“

„Hat sie denn keine Verwandte?“

„Weder Kind noch Kegel.“

„Na, Kinder wollte ich mir verbitten, und Kegel sind auch nicht notwendig. Wenn sie gar niemand hat, so ist sie ja eine Partie, nach der man sich die Finger lecken möchte.“

„Lecken Sie vielleicht auch?“

„An allen zehnen.“

„Das glaube ich. Wer sind Sie denn eigentlich?“

„Sehen Sie mir denn das nicht an?“

„Hm! Sie sehen ganz aus wie ein Schnapsdestillateur.“

„Unsinn! Ich bin fürstlich reußischer Generalsuperintendent jüngerer Linie; derjenige von der älteren Linie ist etwas dünner als ich. Adieu, guter Freund.“

Er ging. Der Portier blickte ihm kopfschüttelnd nach.

„Der? Ein Generalsuperintendent? Der sieht mir ganz und gar nicht nach so etwas aus“, murmelte er. „Aber in dem Ländchen Reuß könnte es schon möglich sein. Vermeiert habe ich ihn ordentlich.“

Und der Dicke dachte bei sich:

„Ob das alles wohl auch wirklich wahr ist? Der Kerl sah ganz so aus, als ob er flunkerte. Na, ich werde wohl Gelegenheit finden, dahinter zu kommen.“

Und als ihn dann Haller nach dem Erfolg seiner Erkundigung fragte, antwortete er:

„Morgen vormittag fahren sie nach Berlin.“

„Und wir auch? Hm, ich möchte es jetzt allerdings vermeiden, mit ihnen zusammen zu treffen. Unsere Schlittenpartie hat uns sehr blamiert. Am besten ist's, wir fahren bereits mit dem Frühzug.“

Da schüttelte der Berliner sehr energisch den Kopf und widersprach:

„Das fällt mir gar nicht ein! Ich bin gewohnt, auszuschlafen. Bei dem zu frühen Aufstehen geht die Gesundheit flöten.“

„Morgenstunde hat Gold im Munde!“

„Was nützt es mir, wenn sie es bloß im Maul hat, und ich bekomme nichts davon in meinen Beutel.“

„Aber wenn wir vormittag fahren, riskieren wir, auf dem Bahnhof und im Coupé mit ihnen zusammen zu treffen.“

„So fahren wir am Nachmittage. Berlin läuft uns nicht fort; das ist so sicher wie Pudding.“

„Das mag sein. Auf einige Stunden kommt es nun wohl auch nicht an. Aber womit vertreiben wir uns die Zeit?“

„Wir gucken zum Fenster hinaus. Da wird auf dem Markt Gemüse und verschiedenes andere verkauft.“

„Danke. Machen wir lieber einen Ausflug.“

„Wohin?“

„Ich kenne die Umgebung Dresdens nicht.“

„Vielleicht nach Blasewitz?“

„Was ist da zu sehen?“

„Da gibt es Käsekäulchen und das Schillerdenkmal.“

„Schön. Teilen wir die Genüsse; Sie die Käulchen und ich das Denkmal.“

„Schön. Mein Anteil ist jedenfalls leichter zu verdauen als der Ihrige. Übrigens brauchen wir ja nicht zu laufen, sondern wir können per Droschke fahren.“

„Das ist kein Vergnügen. Ich möchte am liebsten – hm, das geht nicht, da Sie dabei sind.“

„Was?“

„Ich bin seit einiger Zeit nicht im Sattel gewesen. Ich möchte am liebsten reiten: Sie aber können das nicht.“

Der Dicke fühlte sich durch die letzten Worte stark beleidigt. Dieser Kollege behauptete so ganz ohne weiteres etwas, worüber er noch gar keine Kenntnis haben konnte.

„Ich nicht reiten?“ meinte Schneffke. „Wer hat Ihnen denn das weisgemacht?“

„Sie, bei Ihrer Figur!“

„Oho! Meine Figur ist ganz genau diejenige eines tüchtigen Kavalleristen. Es haben bereits Dickere geritten.“

„Wo haben Sie es denn gelernt?“

„Schon als Kind auf dem Karussell.“

„Unsinn! Auf hölzernen Pferden. Wo denken Sie hin?“

„Und dann war ich sehr oft in Berlin im Hippodrom.“

„Das läßt sich schon eher hören. Sitzen Sie fest im Sattel?“