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„Was geht, in aller Welt, Ihnen denn mein Handschuh an?“

„Ein Versehen!“ stammelte er.

„Unsinn! Sie haben glänzen wollen. Diese Vorleserin hat Ihnen den Kopf verdreht, so daß Sie schließlich noch Filzschuhe an die Finger stecken.“

„Halten Sie nur jetzt den Mund! Ich will – ach, Gott sei Dank, sie stehen auf! Sie gehen nach dem Foyer! Ich gehe auch!“

Die Damen hatten sich erhoben und verließen die Loge.

„Sie wollen ihnen nach?“ fragte Haller.

„Fällt mir gar nicht ein!“

„Wohin denn sonst?“

„Ich mache, daß ich fortkomme. Ich verschwinde; ich verdufte mich. Hier ist eine Hitze von sechsundneunzig Grad Reaumur, und das ist für meine jugendliche Konstitution zu viel. Bleiben Sie noch hier?“

„Ja. Ich brauche nicht auszureißen; ich habe ein gutes Gewissen.“

„Wohl Ihnen! Viel Vergnügen!“

Er ging und kehrte in sein Hotel zurück, wo er sich schleunigst zu Bett legte, um Haller bei dessen Heimkehr keine Gelegenheit zu irgendwelchen unangenehmen Folgen und Bemerkungen zu geben.

Dieser letztere hatte, als die Damen vorhin in die Loge getreten waren, sich höflichst verbeugt, dann aber scheinbar gar keine weitere Notiz von ihnen genommen, außer da, als Emma ihn auf den defekten Handschuh aufmerksam machte. Er blieb auch weiterhin scheinbar teilnahmslos gegen sie und beachtete sie erst am Schluß der Vorstellung wieder mit einer Verbeugung.

Als die Generalin mit der Nichte zu Hause angekommen war, sagte sie:

„Weißt du, daß du ein kleiner Kobold bist? Oder denkst du, daß ich die Handschuhaffäre nicht bemerkt habe?“

„Ich interessiere mich ganz außerordentlich für diesen Spinnenmaler, liebe Tante!“

„Der sein Herz an dich verloren hat!“

„So, daß er einen linken Handschuh borgt und ihn an die rechte Hand zieht. Er hält mich wirklich für deine Vorleserin!“

„Ich interessiere mich weit mehr für den anderen. Er hat das Äußere und das ganze Wesen eines Mannes aus vornehmen Kreisen.“

„Auch als er von der Höhe herabrutschte und vor Verlegenheit die Flucht ergriff?“

„Das war ein tückischer Zufall, welcher ihm in meinen Augen gar nichts schadet. Die beiden sind Maler. Sie haben uns bemerkt. Sie haben beschlossen, uns zu skizzieren; das Erdreich, auf welchem sie saßen, hat nachgegeben, und sie sind herabgerutscht. Dabei ist gar nichts Ehrenrühriges zu finden.“

„Aber sehr viel Lächerliches!“

„Dieser Mann hat etwas in seinen Augen, was mich wunderbar berührt. Es ist mir, als ob ich seit Jahren mit ihm bekannt gewesen sei. Er gab sich heute den Anschein, uns gar nicht zu beachten, und doch habe ich bemerkt, daß er uns weit mehr Aufmerksamkeit schenkte als der Bühne.“

„So haben wir beide eine Eroberung gemacht, ich den Hieronymus und du den – ach, wie mag er heißen?“

„Vielleicht erfahren wir es noch.“

„Du willst doch nicht sagen, daß du dich so für ihn interessierst, daß es dich verlangt, seine Verhältnisse kennenzulernen?“

Die Generalin schwieg eine Weile und antwortete dann:

„Ja, gerade das will ich sagen. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der einen ähnlichen Eindruck auf mich gemacht hätte. Ich weiß nicht, was es ist, wodurch ich bei seinem Anblick so tief ergriffen wurde. Eine innere Stimme sagt mir, daß ich ihn näher kennenlernen werde. Sein Kollege ist ein Berliner; sie gehen nach Berlin; der Zufall wird es fügen, daß ich ihn dort wiedersehe. Er ist mir ein Geheimnis, ein Rätsel, von welchem ich fühle, daß ich es zu lösen haben werde.“

„Ich begreife das nicht!“

„Ich ebensowenig. Begreift die Schwalbe den Drang, der sie zur Herbstzeit nach dem Süden zieht? Begreift der Mensch die Zuneigung, welche er für den einen, und die Abneigung, welche er gegen den anderen hegt, ohne daß diese beiden etwas getan haben, sich diese Sympathie und Antipathie zu verdienen? Ich verlasse morgen Dresden mit der Überzeugung, daß ich diesen Maler nicht zum letzten Mal sehe.“

„Wann reisen wir?“

„Es war für früh bestimmt.“

„Ist nicht ein kurzer Aufschub möglich, liebe Tante?“

„Wozu? Hast du noch etwas zu besorgen?“

„Eigentlich nicht. Ich wünsche nur, einen Spaziergang zu machen.“

„Wegen eines Spazierganges die Abreise verzögern? Jetzt bist du es, die mir unerklärlich wird!“

„Erlaube mir, dir das Rätsel zu lösen. Es gilt dem Andenken meines Bruders.“

„Das klingt nur noch rätselhafter!“

„Weil du nicht weißt, daß Richard eine Liebe hat.“

„Eine Liebe? Kind, das ist mir allerdings im höchsten Grad interessant! Richard, der ernste Offizier, der Frauenfeind, der keine Gesellschaft besuchte und nur seinem Dienst und seinen Büchern zu leben schien? Der Heuchler!“

„Verzeih, liebe Tante. Es hat eine eigentümliche Bewandtnis um diese Liebe. Du weißt doch, daß er einige Zeit in dienstlichen Angelegenheiten in Dresden war?“

„Ja. Er hat ja den Auftrag zu dieser Reise von meinem Mann erhalten.“

„Nun, auf einem Spazierritt nach Blasewitz ist ihm eine Dame begegnet – –“

„In welche er sich augenblicklich verliebt hat?“ fiel die Generalin ein.

„Allerdings. Es ist kaum glaublich. Sie im Wagen und er zu Pferd, sind sie schnell, gedankenschnell aneinander vorübergeflogen; er hat sie nur mit einem flüchtigen Blick gestreift, und doch ist er seit diesem Moment nicht mehr Herr seines Herzens gewesen.“

„Ja, ja, so ist die Liebe! So ging es auch mir, und so ging es auch Kunz, als wir uns in Paris zum ersten Mal erblickten. So ist es auch meiner Schwester Ida und deinem Vater ergangen. Die Liebe ist eine Macht, welcher niemand zu widerstehen vermag. Sie bedarf nur eines Augenblicks, um zu siegen.“

„Er hat natürlich nicht gewußt, wer sie ist“, fuhr Emma von Königsau fort; „aber sie ist ihm keinen Augenblick aus dem Sinn gekommen.“

„Hat er nicht nach ihr geforscht?“

„Es ist vergeblich gewesen. Aber jetzt, jetzt hat er sie gefunden, ganz plötzlich und unerwartet, wie er mir schreibt.“

„Wo?“

„Ja, liebes Tantchen, weißt du denn eigentlich, wo er sich befindet?“

„Nein.“

„Und der Onkel hat es dir auch nicht mitgeteilt?“

„Er hat mir kein Wort gesagt. Ist Richard in dienstlichen Angelegenheiten abwesend?“

„Ja. Der Ort, an welchem er sich befindet, muß ein tiefes Geheimnis bleiben.“

„So will ich dich auch nicht fragen, denn ich weiß, daß du doch nichts ausplaudern würdest. Aber was hat dieses alles mit deinem Spaziergang nach Blasewitz zu schaffen?“

„Sehr viel. Dieser Spaziergang ist eine Art der Pietät, der schwesterlichen Teilnahme. Ich will einmal den Weg gehen, den er damals geritten ist. Ich will den Ort sehen, an welchem er sein Herz verloren hat.“

„Ah, das ist es? Nun, da darf ich dir nicht widerstreben. Gehen wir also nach Blasewitz; wir erreichen Berlin ja immer noch bei guter Tageszeit.“

Der nächste Morgen war schön, so daß die Damen beschlossen, den Weg zu Fuß zu machen. Einige Zeit darauf brachte ein Reitknecht zwei Pferde geführt, mit denen er bei dem Hotel der beiden Maler anhielt. Schneffke hatte bereits gewartet, und die Tiere infolgedessen sofort bemerkt. Er kam eiligst zu Haller und rief bereits während des Türöffnens:

„Sie sind da, Herr Kollege. Es kann losgehen.“

„Wer ist da?“

„Die Pferde.“

„Ach so! Wie ich sehe, sind Sie bereit! Sapperlot, wo haben Sie denn diese fürchterlichen Sporen her?“

Der Dicke hatte den unteren Teil der Hosen in die Stiefelschäfte gesteckt und ein Paar ungeheure Sporen angeschnallt.

„Von dem Antiquar da drüben in der Frauenstraße. Sie gefielen mir. Natürlich habe ich sie mir bloß geliehen. Zum Kaufen sind sie mir zu teuer. Es sind nämlich echte mexikanische; der Antiquar sagte, daß sie einst dem König Quatemozin gehört hätten.“