„Warum, mein Fräulein?“
„Sie ist leidenschaftlich Französin.“
„Und da meinen Sie, müsse sie die Deutschen hassen?“
„Nicht meine Meinung ist es, sondern die ihrige, mein Herr.“
„Sie würden also keinen hassen aus dem einzigen Grund, daß er ein Deutscher ist?“
„Nein, nie! Sie haben mir vielmehr ganz aus der Seele gesprochen, als Sie jenes schöne Gebot des Erlösers erwähnten und die Stimme des Herzens, welche –“
Sie stockte. Dachte sie, zuviel gesagt oder überhaupt ein Gebiet berührt zu haben, welches zu betreten sie keine Berechtigung hatte? Er hielt ihre Hand noch immer in der seinigen. Sie machte nicht die leiseste Anstrengung, sie ihm zu entziehen. Es war beiden, als ob es so sein müsse und nicht anders sein könne. Ein süßer Schauer durchrieselte ihren Körper, als sie jetzt von ihm einen leisen Fingerdruck fühlte und dann die Worte hörte:
„Die Stimme des Herzens, welche –? O bitte, fahren Sie fort.“
„Nein, nein, ich weiß es nicht“, flüsterte sie verlegen.
„Ich glaube es Ihnen“, antwortete er zart. „Auch ich wußte es nicht, bin aber so glücklich, es erfahren zu haben.“
Es war ihm, als ob er ein ganz, ganz wenig bemerkbares Zucken ihrer Hand empfinde. War das infolge seiner Worte? Er konnte dies nicht erfahren, denn sie brachte ein anderes Thema, indem sie fragte:
„Sie erzählten von jener bösen Hiebwunde, welche Ihr Papa empfangen hat. Leidet er jetzt noch daran?“
„Sie verursacht ihm zuweilen Schmerzen.“
„Wie leid, wie sehr leid mir das tut. Ihr Vater muß ein außerordentlich angelegter Charakter sein.“
„Ich bin allerdings überzeugt, daß er schnell Karriere gemacht hätte, wenn jene Verwundung nicht dazwischen gekommen wäre.“
„Das ist lebhaft zu bedauern. Glauben Sie, daß ich Ihre Eltern persönlich kenne?“
„Wie? In Wirklichkeit persönlich?“ fragte er, im höchsten Grad überrascht.
Sein Staunen erheiterte sie, und ein leises Lächeln glitt über ihre schönen, sanften Züge.
„Ich bitte es nicht so ganz wirklich zu nehmen“, sagte sie. „Sie sind ein sehr guter Erzähler. Sie schildern so lebhaft und anschaulich, daß man die Personen, von denen Sie sprachen, gewissermaßen vor sich sieht und so liebgewinnt. Das ist es, was ich sagen wollte, und so habe ich es gemeint.“
„Sie haben meine Eltern lieb?“
„Ja, wer könnte das Bild Ihrer Mama sehen, ohne ihr die wärmste, vollste Sympathie zuzuwenden? Und derjenige, dem sie sich für das Leben anvertraut hat, muß ihrer würdig sein.“
Wie wohl taten diese Worte dem Lieutenant! Sie liebte seinen Vater und seine Mutter. War er nicht berechtigt, folgendermaßen weiter zu schließen: Sie liebt meinen Vater, weil er der Mutter würdig ist; nach den Gesetzen der Natur und Erfahrung, werde ich der Eltern nicht unwert sein, folglich kann auch mir die Liebe zu eigen werden. Sie fuhr fort:
„Ihr Vater ist ein sehr mutiger, sogar verwegener Mann gewesen. Ich bin überzeugt, daß Sie sein Ebenbild sind.“
„Woher vermuten Sie das?“ fragte er.
„Es ist keine Vermutung, sondern Überzeugung. Wer in die Sahara geht, der hat ein mutiges Herz. Und daß Sie ein solches besitzen, haben Sie ja auch heute wiederholt und zur Genüge bewiesen. Werden Sie mir glauben, daß ich für Sie gezittert habe?“
„Dieses Duells wegen?“
„O nein, Herr Lieutenant, sondern der Tante wegen.“
„Ist sie so schlimm?“ fragte er in einem scherzhaften Ton.
„Schlimm nicht, aber sehr eigen. Fast befürchtete ich, daß sie dem Diener Befehl geben werde, Sie fortzuführen. Sie hat das bereits öfters getan. Wegen des Duells aber befürchte ich nicht das geringste.“
„Das ist ein Beweis, daß auch Sie ein mutiges Herz besitzen.“
„O nein; ich bin im Gegenteil ein ganz und gar zaghaftes Wesen.“
„Aber, Mademoiselle, ein Duell ist eine sehr ernsthafte Sache!“
„Ich weiß das, mein Herr.“
„Man kann verwundet werden, man kann sogar fallen.“
„Wie sehr haben Sie recht! Deshalb habe ich es auch nie begreifen und verstehen können, daß gewisse Gesellschaftsklassen gezwungen sein sollen, ihre Differenzen auf eine so rohe, meist auch ungerechte Weise beizulegen, während andere Kreise die Wohltat einer geordneten Gesetzgebung genießen.“
„Es mag sein, daß die Angehörigen der ersten Klasse vielfach von Gebrauch, Herkommen und Vorurteil fortgerissen werden. Aber ich bitte Sie, mir zu sagen, wie anders ich Ihrem Cousin hätte antworten dürfen?“
„Sie mußten ihn allerdings fordern, um nicht als Feigling zu gelten. Das ist, wie ich gehört habe, in Offizierskreisen die Gepflogenheit.“
„Es war sogar das wenigste, was ich tun konnte.“
„Noch mehr also?“
„Ja. Wäre er mir an einem anderen Ort und nicht in Ihrer Gegenwart in dieser Weise entgegengetreten, so hätte ich ihn an Ort und Stelle, und zwar augenblicklich persönlich gezüchtigt.“
„Mon dieu!“ rief sie erschrocken. „Wie gut, daß das nicht stattgefunden hat.“
„Ich begreife die Rücksicht, mit welcher die Frau Gräfin diese unangenehme Angelegenheit mit Schweigen übergangen hat; aber aufrichtig muß ich Ihnen gestehen, daß ich diese Ruhe deshalb bewundere, weil es sich dabei doch um einen so nahen Verwandten handelt.“
„Daran ist nichts zu bewundern“, lächelte sie. „Ich hörte, daß Sie ein so guter Schütze und Fechter sind?“
„Oh, das war nur Redensart, die ich in Anwendung brachte, weil Ihr Cousin behauptete, mich in Grund und Boden hauen oder schießen zu wollen.“
„Und doch weiß ich, daß Sie die Wahrheit gesagt haben. Aber all Ihre Kunst und Geschicklichkeit wird hier vergeblich sein.“
„Ah, Sie meinen, daß mein Gegner mir überlegen sei?“
„Ganz und gar nicht. Ich meine vielmehr, daß das Duell gar nicht stattfinden wird.“
„Ich habe eine andere Überzeugung.“
„Ich spreche aus Erfahrung.“
„So hat der Graf schon einmal oder mehrere Male sich geschlagen?“
„Oh, nicht ein einziges Mal. Er schlägt sich ja überhaupt nie.“
„Aber, ich denke, daß Sie aus Erfahrung sprechen?“
„Allerdings. Er war schon öfters gefordert, hat aber nicht angenommen.“
„Ah, wissen Sie, daß dies ehrlos ist?“
Sie schwieg ein Weilchen und antwortete dann:
„Sie haben recht. Er ist ein großer Feigling. Tante verachtet ihn, und wir –“
„Und Sie –?“ fragte er, als sie fortzufahren zögerte.
„Wir können ihn weder lieben noch anbeten.“
„Ich werde ihn veranlassen, ehrenvoll zu handeln.“
„Wieso?“
„Indem ich ihn zwinge, sich mit mir zu schlagen?“
„Das wird Ihnen auf keinen Fall gelingen.“
„Dann werde ich Sie, Mademoiselle, wohl niemals wiedersehen dürfen.“
„Niemals? Warum?“ fragte sie rasch.
„Weil ich etwas tun werde, was mir Ihren Zorn zuziehen wird.“
„Dürfen Sie mir dies mitteilen?“
„Ja, ich will, ich muß es Ihnen sagen. Vielleicht besitzen Sie soviel Einfluß auf Ihren Cousin, das drohende Unheil von ihm abzuwenden.“
„Ah, Sie machen mich wirklich fürchten.“
Er mußte leise lächeln, als er ihr mit der Frage antwortete:
„So lieben Sie also das Gruseln nicht so wie Komtesse Hedwig?“
„O nein, nein; ich fürchte es. Aber welches Urteil droht dem Grafen?“
„Wenn er meine Forderung zurückweist, werde ich ihn öffentlich demütigen.“
„Muß das denn geschehen?“
„Ja. Wenn ich mich ohne dieses abweisen lasse, würde der Vorwurf der Feigheit auf mich fallen.“
Sie schüttelte mißbilligend das schöne Köpfchen.
„Ich mache Ihnen keine Vorwürfe“, sagte sie; „aber ich beklage Sie und alle Ihre Standesgenossen, welche von derartigen Anschauungen und Herkömmlichkeiten abhängig sind. Doch sehe ich ein, daß Sie den Vorwurf der Feigheit auf keinen Fall auf sich laden dürfen. Darf ich wissen, auf welche Weise Sie in diesem Fall die Demütigung des Grafen vornehmen würden?“