Выбрать главу

„Warum gefällt mir diese Gesellschafterin doch nur weit besser als Ella von Latreau?“ fragte er sich. „Es gibt Menschen, die man schon beim ersten Zusammentreffen lieb haben muß. Ella ist ein Grafenkind, unendlich reich und eine Schönheit ersten Ranges. Diese kleine, nette Madelon stammt jedenfalls aus einer armen, bürgerlichen Familie und kann eine eigentliche Schönheit nicht genannt werden. Aber doch – aber doch! Als ich diese prächtige Gouvernante im Wald sitzen sah, entzückte sie mich; diese Madelon entzückt mich auch. Und doch wie verschieden ist dieses Entzücken. Die Gouvernante entzückte meine Augen, mein Schönheitsgefühl, da ich Maler bin; die Französin aber macht einen Eindruck, welcher nicht nur auf das Auge wirkt; er geht tiefer hinab. Hm, ich glaube, dieser süße Kolibri könnte einem gefährlich werden. Kolibri? Ja, bei Gott, das ist der richtige Ausdruck, um die Erscheinung dieses reizenden Mädchens zu kennzeichnen.“

Aber mit diesem Selbstgespräch war das Thema noch nicht beendet. Noch als er bereits im Bett lag, dachte er an sie, und als er dann eingeschlafen war, erschien sie ihm im Traum mit goldig schillernden Flügeln, über duftigen Blüten schwebend und von dem Honig nippend, der in den Kelchen lag.

„Wahrhaftig, sie ist mir im Traume erschienen“, sagte er, als er erwachte. „Es gibt Leute, welche dem Traum im neuen Logis eine große Bedeutung beilegen. Wenn sie recht haben, so darf ich vermuten, daß dieser Kolibri mich noch länger umflattern wird.“

Als er seinen Kaffee getrunken hatte, schickte er sich zu einem Morgenspaziergange an. Er mußte, um wirklich als Maler zu erscheinen, sich einige Requisiten beilegen, ohne welche die Künstler der Palette nun einmal nicht sein können. Eben als er die untere Treppe hinabsteigen wollte, kam Madelon die Stufen herauf. Sie hatte ein kleines elegantes Körbchen am Arm und sah so frisch und munter aus wie der junge Morgen selbst. Er zog höflich grüßend den Hut und blieb stehen, um sie an sich vorüber zu lassen; aber sie hemmte ebenso ihre Schritte und sagte:

„Guten Morgen, Herr Haller! Ich denke, wir können schon ein Wörtchen miteinander wechseln. Wir sind uns ja nicht ganz und gar fremd. Haben Sie eine angenehme Ruhe gehabt?“

„Ich danke, ja, mein Fräulein.“

„Das ist schön; das freut mich, denn es ist ein gutes Zeichen. Vielleicht haben Sie sogar geträumt?“

Sie blickte ihm fröhlich in das Gesicht und zeigte ihm dabei ein so kindlich herziges Lächeln, daß er sie gleich auf der Stelle hätte küssen mögen.

„Allerdings habe ich geträumt“, antwortete er.

„Wirklich? Wissen Sie, daß es Leute gibt, welche sagen, daß der erste Traum in einer neuen Wohnung stets in Erfüllung gehe?“

„Ich habe davon gehört.“

„Aber Sie glauben natürlich nicht daran! Die Herren sind ja meistens unverbesserliche Zweifler. War es etwas Angenehmes?“

„Ja. Ich träumte von einem kleinen reizenden Kolibri, der mich immer umschwirrte und gar nicht von mir lassen wollte.“

Ihr liebes Gesichtchen nahm plötzlich einen ernsten Ausdruck an. Ihr dunkles Auge schien größer zu werden, als sie sagte:

„Von einem Kolibri, einem becque-fleur, wie wir Franzosen den Vogel nennen? Dieses Wort hat eine nicht gewöhnliche Bedeutung für mich. Kolibri oder becque-fleur ist der Kosename meiner armen, verstorbenen Mutter gewesen. Mein kleiner, süßer Kolibri hat er sie genannt, wenn sein Auge liebevoll auf sie leuchtete. Sie ist nämlich auch so klein gewesen wie ich.“

Er sah ihr freundlich in das ernste Gesicht und antwortete:

„Vielleicht leuchtet einmal ein Auge ebenso auf Sie. Und vielleicht sagt dann auch eine liebevolle Stimme den Kosenamen becque-fleur zu Ihnen. Wissen Sie, Fräulein, daß der Kolibri, von welchem ich träumte, menschliche Gestalt hatte?“

„Menschliche? Ja, der Gott des Traumes zeichnet mit phantastischen Stiften. Aber, Herr Haller, wollen wir hier vor der Treppe stehenbleiben. Haben Sie es sehr eilig?“

„Nein, gar nicht.“

„Nun, ich möchte gern von meiner Schwester etwas hören. Wenn Sie nichts versäumen, so bitte ich Sie, für einige Augenblicke bei mir einzutreten.“

Sie sagte das so einfach, als sei es gar nicht gegen die Regeln der Gesellschaft, daß ein junges Mädchen einen Herrn, den sie noch dazu erst gestern kennengelernt hat, bei sich empfängt. Dem Reinen ist alles rein. Ihre Herrin war verreist. Madelon befand sich allein, aber dennoch fürchtete sie sich nicht, den Maler zu sich einzuladen. Es kam ihr ganz und gar nicht in den Sinn, dabei an eine Gefahr für ihren guten Ruf zu denken.

„Ich stelle mich sehr gern zur Verfügung“, sagte er, innerlich erfreut über das Vertrauen, welches ihm das liebe Mädchen erwies.

„So kommen Sie?“

Sie öffnete ein Entrée, und bald stand er in einem reich und vornehm ausgestatteten Salon. Sie winkte ihm, sich niederzulassen, und nahm selbst auf einem Diwan Platz.

„Jetzt sind wir einmal recht vornehme Leute“, sagte sie. „Ich empfange Sie in einem gräflichen Salon und gebe Ihnen Audienz, mit dem Gemüsekorb in der Hand. Ich bin jetzt allein und lebe als Garçon; da bin ich gezwungen, selbst für meine Küche zu sorgen. Gefällt Ihnen das Bild?“

Sie bemerkte nämlich, daß er unter einem eigentümlichen Ausdruck seines Gesichts ein Gemälde musterte, welches grad über ihr an der Wand hing. Es stellte einen jungen, bildschönen Mann in der Tracht eines Husarenoffiziers vor.

„Das Bild muß mir seiner meisterhaften Ausführung wegen auffallen, weil ich selbst Maler bin“, antwortete er. „Natürlich ist es nicht Phantasiestück, sondern Portrait?“

„Ja, es wurde vor kaum einem Jahr gefertigt.“

„Wen stellt es dar?“

„Den Herrn Rittmeister, den Sohn meiner Dame. Ah, ich muß ja den Namen sagen: Graf Arthur von Hohenthal.“

„Hm!“ sagte Haller nachdenklich. „Welche Ähnlichkeit.“

„Nicht wahr? Der Herr Rittmeister ist außerordentlich gut getroffen. Aber, Sie finden das Bild ähnlich! Ich muß also annehmen, daß Sie den Grafen kennen?“

„Nein; ich kenne ihn nicht, Fräulein. Ich habe ihn jedenfalls noch nie gesehen.“

„Aber dann ist es ja zu verwundern, daß Sie von einer Ähnlichkeit sprechen.“

„Ich meine eine andere. Ich habe vor kurzer Zeit einen Herrn gesehen, den man für das Original dieses Portraits halten könnte.“

„Wo?“

„In Paris, in der großen Oper. Ich begleitete zuweilen meine Ver – meine Verwandte, nämlich eine Cousine, in die Vorstellung, und da saß regelmäßig in der Nachbarloge ein Herr, welcher eine geradezu frappierende Ähnlichkeit mit diesem Portrait hat.“

Fast hätte er sich versprochen und das Wort ‚Verlobte‘ gesagt. Er zog sich durch das Wort ‚Verwandte‘, welches mit der gleichen Vorsilbe beginnt, noch rechtzeitig aus der Schlinge; aber seine Stimme hatte doch ein klein wenig gestockt, und sein Gesicht war, wenn auch nur für einen einzigen Moment, etwas röter geworden. Das war ihr zwar nicht entgangen, doch fiel es ihr ganz und gar nicht ein, dieser Kleinigkeit eine Bedeutung oder gar ein besonderes Gewicht beizulegen. Sie meinte unbefangen:

„In Paris war es? So ist diese Ähnlichkeit eine ganz zufällige. Es soll ja Menschen geben, welche man verwechseln könnte, und die trotzdem in keiner Beziehung zueinander stehen.“

„Welches ist die Garnison des Herrn Grafen?“

„Potsdam.“

„Dort befindet er sich?“

„Augenblicklich nicht. Er begleitet seine Mama auf einer Erholungsreise.“

„So kann er es doch gewesen sein. Es ist doch leicht möglich, daß ihn diese Reise mit der Gräfin nach Paris geführt hat.“

„Nein. Sie befinden sich gegenwärtig in Wien. Ich habe erst vorgestern von dort her die Befehle meiner Gebieterin erhalten.“