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Sein Gesicht nahm eine leichte Röte an; er selbst war ja der, nach dem sie fragte. Doch antwortete er unbefangen:

„Lemarch? Nein. Ich bin ihm nicht vorgestellt worden.“

Damit hatte er nun freilich keine Unwahrheit gesagt, denn er war ja niemals sich selbst vorgestellt worden. Madelon fuhr fort:

„Dieser Offizier ist Ellas bestimmter Bräutigam. Die Väter sollen das bereits seit langer Zeit bestimmt haben.“

„Haben Sie ihn gesehen?“ fragte er gespannt.

„Ein einziges Mal. Ich war damals noch ein Kind, und er besuchte bereits die Kriegsschule. Er war ein sehr hübscher, kräftiger Knabe. Er müßte sich jetzt eigentlich zu ihrer Gestalt und Größe entwickelt haben. Ja, wenn ich ihnen recht aufmerksam in das Gesicht blicke, so ist es mir, als ob sie sogar einige Ähnlichkeit mit ihm hätten.“

„Wieder einer!“ sagte er lächelnd.

„Wieso?“ fragte sie.

„Gestern war ich dem Diener des Rittmeisters von Königsau ähnlich, und heute, was mir allerdings schmeichelhafter ist, dem Grafen de Lemarch.“

„Das ist wahr, wenigstens ist Ihre Ähnlichkeit mit dem guten Wachtmeister Fritz geradezu eklatant. Aber, entschuldigen Sie, bei welchem Thema haben wir vorhin an der Treppe unser Gespräch unterbrochen?“

„Beim Kolibri.“

„Richtig! Sie hatten von einem Kolibri geträumt.“

„Der mich ruhelos umschwirrte und dabei Honig aus den Blüten trank.“

„Und der eine menschliche Gestalt hatte.“

„Das erwähnte ich bereits. Und jetzt bin ich es, der von einer Ähnlichkeit zu reden hat. Wissen Sie, wem dieser kleine Kolibri so außerordentlich ähnlich sah?“

„Nun?“

„Sein Gesicht war ganz und gar das Ihrige, Fräulein.“

Da errötete sie. Doch schlug sie leise die Hände zusammen und sagte:

„Also von mir, von mir haben Sie geträumt? Wie spaßhaft!“

„Finden Sie das wirklich nur spaßhaft?“

„Ja, wie sonst?“

„Nun, Sie selbst sagten ja vorhin, daß der erste Traum in der neuen Wohnung stets eine Bedeutung für die Zukunft habe!“

Jetzt errötete sie tiefer als vorher; sie wandte ihr hübsches Köpfchen ab und antwortete:

„Das ist ja wirklich nur Scherz gewesen. Ich bin keineswegs abergläubisch. Was kann ein Traum für eine Bedeutung haben?“

„Oh, eine doch!“ sagte er langsam und mit hörbarer Betonung. „Er hat die Bedeutung eines Beweises.“

„Was für eines Beweises?“

„Daß der Träumende, bevor er einschlief, an den Gegenstand gedacht hat, von welchem er träumte.“

„Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß Sie gestern abend noch an mich gedacht haben?“

„Ja, gerade das will ich sagen. Fräulein Madelon, erlauben Sie mir etwa nicht, Ihrer zu gedenken?“

Er stand bei diesen Worten auf, trat zu ihrem Sitz und ergriff ihr kleines, feines Händchen. Sie ließ es ihm und antwortete in völlig unbefangenem Ton:

„Kann ich die Assoziation der Ideen, das heißt, den Gedankengang eines Menschen, der mich gesehen hat und sich folgerichtig meiner erinnert, verhindern oder verbieten?“

„Nein. Aber gleichgültig kann es Ihnen nicht sein, was und wie er von Ihnen denkt.“

„Vielleicht.“

„Und ob er gern an Sie denkt?“

„Ebenso vielleicht.“

Er stand im Begriff, dieses Thema weiter zu verfolgen, als die Klingel ertönte. Sie entfernte sich, indem sie sich entschuldigte. Als sie nach einigen Minuten zurückkehrte, hatte ihr Gesicht einen sehr ernsten, fast traurigen Ausdruck angenommen.

„Wovon haben wir soeben gesprochen?“ fragte sie. „Hier, mein Herr, lesen Sie!“

Sie hielt ihm eine geöffnete Depesche entgegen. Er las:

„Soeben telegrafierte man, daß der Pflegevater gestorben ist. Schnell! Damit du noch zur rechten Zeit eintriffst!“

„Ich kondoliere aus aufrichtigem Herzen, mein Fräulein!“ sagte Haller. „Nun werden Sie schleunigst abreisen?“

„Ja. Ich habe mich, den Todesfall erwartend, bereits nach dem vorteilhaftesten Zug erkundigt. Ich packe sofort.“

„Wird man Sie bald wiedersehen?“

„Ich folge meiner Pflicht, werde dann aber gleich zurückkehren. Ich darf diese Wohnung nicht lange Zeit ohne Aufsicht lassen.“

„Ich wollte, ich dürfte Sie begleiten. Für eine junge Dame ist es ein Wagnis, eine so weite Reise zu unternehmen.“

„Oh“, lächelte sie, „ich fürchte mich nicht. Jetzt adieu, Herr Haller. Bevor ich abreise, sehen wir uns aber wohl noch einmal. Ich muß doch droben Abschied nehmen.“

Er drückte ihr freundschaftlich das kleine Händchen und ging.

„Ein herziges Wesen“, murmelte er, indem er die Treppe hinabstieg. „Geradeso fein, lieblich und zutraulich wie ein Kolibri, von dem man doch auch erzählt, daß er die Nähe der Menschen nicht fürchtet.“

Er machte seine Einkäufe, und da er sich dann in der Nähe der Wohnung seines dicken neuen Bekannten befand, so suchte er diesen auf, um sich dessen ‚Bude‘ anzusehen.

Die Wohnung des guten Hieronymus zeigte das Bild einer echten, richtigen Junggesellenwirtschaft. Die Staffelei stand hinter dem Bett; auf dem Waschtisch lag ein Stiefel und auf dem Ofen eine alte Geige. Es herrschte die schönste Unordnung, welche man sich nur denken kann. Der Kleine saß auf der Diele, hatte eine Menge alter Bilder um sich liegen und machte sich mit ihnen und einem riesigen Schwamm zu schaffen, den er abwechselnd in Wasser und andere Flüssigkeiten tauchte, um dann damit über die Gemälde zu wischen. Er blickte bestürzt auf, als Haller eintrat; sobald er aber diesen erkannte, sagte er:

„Gott sei Dank! Ich dachte, es wäre jemand anders! Ich bin gerade nicht in meinem Paradeanzuge. Donnerwetter, wo sind meine Hosenträger!“

Er war nämlich vom Boden aufgestanden und kam dabei in Gefahr, seine Beinkleider zu verlieren. Haller warf einen raschen Blick umher, deutete dann nach dem Waschbecken und sagte:

„Dort im Waschbecken, im Wasser liegen sie.“

„Dort? Wirklich? Alle Wetter, ja! Wie sind sie nur da hineingekommen! Na, lederne Hosenträger und in Wasser eingeweicht! Tut aber nichts. Und die Weste? Wo in aller Welt mag diese stecken!“

„Guckt sie nicht dort aus dem Stiefelschaft heraus?“

„Ja, richtig! Ich wußte wohl, daß ich sie sehr gut aufgehoben hatte! Na, während ich mich ankleide, lassen Sie sich nieder, mein lieber Herr Kollege! Freut mich, daß Sie mich so bald besuchen. Haben Sie Logis gefunden?“

„Ja, sogleich.“

„Also das, was im Blatt angekündigt war?“

„Dasselbe. Ich wohne bei einer Witwe. Ihr verstorbener Mann war Ministerialbeamter.“

„Äußerer oder innerer?“

„Innerer. Sein Sohn aber ist im äußern angestellt.“

„Das bleibt sich Pudding! Minister ist Minister. Gefällt Ihnen die Wohnung?“

„Ja. Die Leute scheinen anständig zu sein.“

„Gut geschlafen?“

„Ja.“

„Geträumt?“

„Sehr. Von einem hübschen jungen Mädchen, welches ich gestern abend kennengelernt habe.“

Der Dicke hatte unterdessen die Weste und den Rock angezogen. Jetzt stellte er sich vor Haller hin und sagte:

„Wunderbar! Ganz auch mein Fall! Habe auch von einer jungen Dame geträumt. Was ist die Ihrige?“

„Gesellschafterin.“

„Donnerwetter! Die meinige ist Gouvernante.“

„Doch nicht etwa die aus dem Tharandter Wald?“

„Natürlich die! Welche denn sonst! Dieses Weibsen hat mir's angetan. Das Herz hängt mir wie ein gewaltiger Pudding zwischen den Rippen. Es schwillt auf, es wird von Minute zu Minute größer, als wenn ich für zwanzig Taler Hefe verschlungen hätte. Habe gar nicht geglaubt, daß die Liebe gradso wie Hefe wirken kann.“

„Poetischer Vergleich!“ lachte Haller.

„Und zutreffend, außerordentlich zutreffend! Wie gesagt, es treibt und bläst mich auf. Ich muß dieses Mädchen kriegen; es muß Frau Hieronymus Aurelius Schneffke werden, sonst falle ich wieder zusammen wie ein Dudelsack, der ein Loch bekommen hat!“