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Er sah zwei große Tropfen in ihren Augen stehen. Die echte, wahre Liebe ist unüberwindlich. Er zweifelte nicht an seinem Glück; aber er begriff die gewaltige Aufregung, welche seine Worte in dieser reinen, bisher so ruhigen Mädchenseele hervorbringen mußten. Nicht Leid und Weh, sondern dieser Sturm des Herzens war es, welcher die Tränen emporgetrieben hatte, daß sie nun als Perlen an den Wimpern glänzten, beredte Zeugen einer Gemütstiefe, welche noch andere Schätze bergen mußte, als nur diese Perlen. Es wurde ihm so wunderbar zumute. Es wäre ihm unmöglich gewesen, die Aufregung der Geliebten zu benutzen, um sich einen Beweis der Zärtlichkeit zu erlauben. Die Nähe einer reinen, unbefleckten Seele wirkt heiligend. Er hielt nur immer noch ihre Hände in den seinigen und sagte bittend und in beruhigendem Ton:

„Sie können sprechen, Ida! Haben Sie nicht Angst und Furcht! Es ist mir, als stehe meine Mutter neben uns und höre ein jedes meiner Worte. Ich spreche aus der tiefsten Tiefe meines Herzens zu Ihnen, aber ich habe die Kraft, die Pforte dieses Herzens augenblicklich zu schließen, wenn Sie meine Worte nicht hören wollen. Ich würde unendlich traurig von Ihnen scheiden; aber ich würde das Bewußtsein mitnehmen, zwar aufrichtig gewesen zu sein, Sie aber nicht gekränkt zu haben. Nur diese lieben, lieben Händchen will ich halten; nur in Ihre Augen will ich blicken, und Ihre Stimme will ich hören. Können Sie mich lieben, so bin ich selig und unendlich beglückt; aber ich werde nichts, nichts weiter von Ihnen verlangen und erbitten, als nur dies eine Wort, welches zwischen uns entscheidet. Ich werde meinem Beruf folgen und in die Fremde gehen; ich werde das Andenken an Sie und meine gute Mutter mitnehmen als das Doppelgestirn, zu dem ich voller Dank und Ehrfurcht emporblicke, und dann, wenn ich zurückkehre und Sie die Überzeugung gewonnen haben, daß ich Ihrer würdig bin, dann erst werde ich mir eine süße Gabe von Ihnen erbitten, eine Gabe, welche mir bisher nur von der Mutter wurde – einen Kuß, den ersten Kuß der Liebe.“

Da plötzlich entzog sie ihm die Hände. Schon glaubte er, sie beleidigt zu haben; aber er sah den eigentümlich seligen Blick, mit welchem sie ihre Augen groß und voll auf sein Antlitz richtete.

„Dann, nach so langer Zeit erbitten Sie den Kuß?“ fragte sie.

„Ja“, antwortete er.

„Und jetzt genügt Ihnen das Wort, daß ich die Ihrige bin?“

„Genügen? Ida, welch ein Wort! Die Überzeugung, daß Sie mir gehören wollen, wiegt ja alle Schätze der Erde auf.“

Das vorhin so ängstliche Mädchen war plötzlich ganz anders geworden. Die Liebe ist allmächtig. Ein süßer, unwiderstehlicher Drang trieb Ida, die Arme um den Hals des Geliebten zu legen. Sie schlang sie um seinen Nacken, legte das Köpfchen an seine Brust und flüsterte:

„Hier hast du diese Schätze, und hier hast du auch den Kuß, nicht nach Jahren, sondern bereits heute!“

Und ehe er es sich versah, fühlte er ihren warmen Mund auf seinen Lippen.

Er legte voller Wonne die beiden Arme um sie, erwiderte den Kuß und fragte:

„Ist es wahr, du Holde, du Reine, du liebst mich wirklich?“

„Oh, wie sehr, wie innig!“ hauchte sie.

„Und kennst mich doch erst seit Stunden?“

„Sagtest du nicht selbst, daß die Liebe so mächtig, so unwiderstehlich – so schnell sei?“

„Ja, das sagte ich, denn ich hatte es an mir selbst erfahren. Und dir ist es ebenso ergangen?“

„Ganz so wie dir, Geliebter. Die Sage von den beiden Seelen ist wahr.“

„Sie ist wahr. Die Seelen haben sich gefunden, und nun sollen sie nicht mehr zwei, sondern eine Seele sein.“

So standen sie innig aneinandergeschmiegt am Fenster beisammen, bis Kunz von Goldberg und Hedwig herbeitraten. Wie anders war Ida als Hedwig, und doch waren beide Schwestern. Und doch fühlte auch Goldberg sich beglückt. Die letzten Worte der schönen ‚Unbezähmbaren‘ hatten ihm Hoffnung gemacht, daß sein Herzenswunsch sich doch noch erfüllen werde.

„Ah, Vorstudien!“ sagte er munter.

„Wieso?“ fragte Gebhard, indem er sich zwang, auf seinem Gesicht nichts von dem Glück, welches ihn beseligte, merken zu lassen.

„Du stehst mit deiner Dame am Fenster und zählst die Sterne. Das soll in der Wüste noch viel leichter und interessanter sein. Ist nicht der Sirius dort dreimal so groß, als hier bei uns der Mond?“

„Das glaube ich kaum; aber in meinem ersten Brief, den du erhältst, werde ich dir darüber eine ganz genaue Auskunft erteilen.“

„Ich hoffe es. Jetzt hätten wir auch keine Zeit zu so himmlischen Betrachtungen, denn da kommt die gnädige Frau zurück.“

Die Gräfin trat wieder ein, und gleich darauf wurde gemeldet, daß angerichtet sei. Nun während der Tafel erst brachte die Dame des Hauses das Gespräch auf ihr Lieblingsthema, auf das Reisen und die Erforschung fremder Kontinente und Länder. Sie war auf diesem Gebiet außerordentlich belesen und hatte sich geographische Kenntnisse angeeignet, welche man nicht bei einer Dame zu finden gewöhnt ist.

Gebhard konnte ihr treulichst sekundieren, was sie in ein wahres Entzücken versetzte. Und als er nun gar sich innig vertraut mit den Erlebnissen von Gérard, dem Löwenjäger, zeigte, da hatte er ihre vollständige Zuneigung sich erobert.

„Sonst sind die Deutschen große geographische Ignoranten“, meinte sie. „Wie kommt es, daß Sie eine so rühmliche Ausnahme machen?“

Gebhard hütete sich, zu verraten, daß er ihrer Behauptung nicht beipflichte, sondern vollständig anderer Meinung sei. Er antwortete:

„Ich interessierte mich schon als Knabe für dieses Fach und habe mir wirkliche Mühe gegeben, mir einige Kenntnisse anzueignen.“

„Einige? Sie sind sogar sehr gut bewandert, und ich glaube, daß selbst ich nicht viel vor Ihnen voraus habe. Ihre Sprachkenntnisse besitze ich nicht. Sagen Sie, ob Sie auch Arabisch verstehen. Sie brauchen doch dasselbe bei Ihrer Reise durch die Wüste.“

„Ich hatte mich bislang noch nicht mit dieser Sprache beschäftigt; aber nachdem ich meine gegenwärtige Bestimmung erhalten, habe ich schleunigst ihr Studium begonnen. Wir werden übrigens gute Dolmetscher haben.“

„Besuchen Sie mich täglich. Ich werde Professor Grénaux einladen: Er ist Lehrer der arabischen Sprache und wird Ihnen nützlich sein können.“

Das war außerordentlich viel. Kunz von Goldberg sprach sich ganz verwundert darüber aus, als sie auf dem Heimweg begriffen waren.

„Glückskind!“ sagte er. „Wer hätte das gedacht?“

„Ich selbst nicht“, antwortete Gebhard.

„Ich kann dir aufrichtig sagen, daß ich dich erst für etwas verrückt hielt.“

„Als ich der Gräfin meine Meinung sagte?“

„Ja. Das war mehr als verwegen.“

„Hat aber gewaltig imponiert“, lachte Königsau vor sich hin.

„Und dann dieser Graf Rallion. Ich glaube, daß er sich nicht wieder bei der Tante sehen läßt, sobald wir bei ihr sind.“

„Ich hoffe, daß du mir morgen zu Diensten sein wirst.“

„Gewiß. Ich werde zur angegebenen Zeit bei ihm vorsprechen und dir das Resultat mitteilen. Wie gefällt dir die Gräfin?“

„Sehr gut.“

„Ah, weil du Hans im Glück bei ihr gewesen bist. Sieh zu, daß du es auch ferner bleibst. Und was sagst du zu den Nichten?“

„Hm. Junge Mädchen.“

„Was?“ fragte Goldberg erstaunt. „Junge Mädchen? Weiter nichts?“

„Was weiter?“

„Hübsch.“

„So la la!“

„Geistreich.“

„Aber unbezähmbar.“

„Große Erbschaft zu erwarten.“

„Haben sie aber noch nicht.“

„Erlaube mir, dich nicht zu begreifen.“

„Ist dir sehr gern gestattet.“

„Erst branntest du vor Begierde, die Familie kennenzulernen, und nun ich dich eingeführt habe, bist du die personifizierte Gleichgültigkeit.“