„So war es auch, wenigstens in dem Sinn, welchen Sie meinen.“
„Jetzt aber lieben Sie eine Pariserin?“
„Ja.“
„Ich will nicht weiter in Sie dringen, als unbedingt nötig ist. Ist es ein Mädchen aus anständiger Familie und Ihnen ebenbürtig?“
„Vollständig.“
„Sie erwidert Ihre Liebe?“
„Herzlich.“
„Es ist also keine Vernunftheirat, welche Sie beabsichtigen.“
„Nein, sondern eine Herzensverbindung.“
„Ich beneide Sie.“
Sie blieb stehen und blickte zum Fenster hinaus, welches sie geöffnet hatte. Der Schein des Lichtes erhellte ihr Profil, und Gebhard meinte, dasselbe noch nie so weich gesehen zu haben. Welche Gedanken mochten jetzt durch ihre Seele gehen!
Da trat sie zurück, öffnete ein Pult und zog eine Mappe hervor. Aus derselben nahm sie ein Aquarellporträt und gab es ihm.
„Sehen Sie diesen Mann. Kennen Sie ihn?“
Gebhard ahnte, wer es sei, doch antwortete er wahrheitsgemäß:
„Ich habe ihn nie gesehen.“
„Das weiß ich, und dennoch steht er Ihnen nahe, viel näher, als Sie es denken.“
Sie blieb vor ihm stehen, kreuzte die Arme über der Brust, wie es willenskräftige Frauen gern zu tun pflegen, und fuhr fort:
„Auch ich war einmal jung; auch ich liebte – diesen da. Mein Vater war Baron, der seinige jedoch ein einfacher Bürgersmann, dessen Vorfahren auf ihr ‚von‘ verzichtet hatten. Man trennte uns. Es war ein Herzeleid. Ich wurde Gräfin Rallion, und er nahm sich auch ein Weib. Wir sahen uns nicht, aber wir vergaßen uns auch nicht. Er war Bankier und wurde der finanzielle Rat meines Mannes. Nun sahen wir uns öfter. Die alte Liebe erwachte, aber wir mußten uns fremd bleiben. Eins nur habe ich gerettet außer der Erinnerung – dieses Porträt. Es ist mir mehr wert, als manches Juwel, welches ich besitze. Er starb. Auch mein Mann starb, und ich wurde Witwe. Ich war reich gewesen, aber nicht glücklich; ich blieb reich, aber auch unglücklich. Da begegnete mir ein Nachkomme dieses Mannes, und sofort erwachte das alte Gemüt und das alte Herz, welches ich tot und verknöchert wähnte. Raten Sie, wer der Nachkomme ist.“
Gebhard sah sich gezwungen, eine kleine Unwahrheit zu sagen.
„Ich habe keine Ahnung“, antwortete er.
„Sie sind es, Sie selbst.“
„Ich?“ fragte er im Ton des höchsten Erstaunens.
„Ja, Sie! Sie sehen hier das Porträt von Ihrem Großvater, dem Bankier Richemonte, dem Vater Ihrer Mutter.“
„Ah! Das wäre er? Das wäre er?“ rief er aus.
Er hatte es vorher geahnt und das Bild doch nur oberflächlich betrachtet, da seine Hauptaufmerksamkeit auf die Gräfin gerichtet war. Jetzt aber trat er mit dem Bild näher zum Licht.
„Ja, betrachten Sie ihn“, sagte sie. „Er war ein schöner Mann und ist elend zugrundegegangen, wie Sie ja wissen. Ich lernte Sie kennen; ich prüfte Sie und war mit Ihnen zufrieden. Wir hatten die gleichen Liebhabereien und Sympathien. Sie waren es wert, und so beschloß ich, Ihr Glück zu machen.“
„Mein Glück?“ fragte er, ziemlich betreten.
„Ja. Oder meinen Sie, daß ich nichts hätte für Sie tun können?“
„Gnädige Frau, Sie haben bereits genug an mir getan.“
„Ich hatte noch mehr vor, viel mehr und Besseres. Sie haben es mir aber unmöglich gemacht.“
„Wieso, Madame?“
„Durch – ja, durch Ihre so unerwartete Liebe.“
„Durch meine Liebe, gnädige Frau?“
„Ja. Ich will aufrichtig sein. Ich wollte Sie verheiraten.“
Das hatte er nicht erwartet; er war so überrascht, daß ihm wirklich der Mund für einige Augenblicke offenstand.
„Sie staunen?“ fragte sie. „Es ist dennoch wahr. Sie wissen, daß ich eine Sympathie für weitgereiste Leute hege. Sie gehen nach der Wüste; Sie besitzen Mut und Kenntnisse; Sie werden ein berühmter Mann werden. Das ist es, was mich im stillen entzückte. Wenn Sie als Kapitän wiederkehren, wollte ich Ihnen das Kostbarste geben, was ich besitze.“
„Was, Madame?“ fragte er, noch immer wie auf Wolken schreitend.
„Ich sagte bereits, das Kostbarste, was ich habe, nämlich meine Nichte.“
„Sie haben deren zwei.“
„Ich meine Ida, meine stille, gute Ida, welche ich zärtlich liebe, ohne daß ich es mir so anmerken ließ.“
Er hätte am liebsten grad hinausgejubelt. Aber die Situation war eine so glückliche und interessante, daß er sich beherrschte.
„Ida?“ fragte er. „Komtesse Ida, sagen Sie? Wären Sie dieser Dame denn auch sicher gewesen?“
„Ich bin überzeugt davon.“
„Wußte Mademoiselle Ida von Ihrem Plan?“
„Kein Wort. Ich hoffte, Ihre Herzen sollten sich gegenseitig finden.“
„Leider kann dies nicht mehr stattfinden“, sagte er im Ton des innigsten Bedauerns.
„Ja, Sie haben Ihr Herz verschenkt.“
„Ida das ihrige auch.“
Sie machte eine Bewegung des Erschreckens.
„Wie? Was sagen Sie? Ida – Ida liebt – und wen?“
„Einen Offizier, einen Deutschen.“
„Mon dieu! Sie meinen doch nicht etwa Herrn von Goldberg?“
„Madame, Sie wissen, daß Goldberg mein Freund ist. Ich werde niemals das Geheimnis eines Freundes verraten.“
„Ah, er ist's, er ist's! Er ist ja noch da! Er ist ja noch anwesend. Kommen Sie, Herr von Königsau, kommen Sie rasch! Ich werde – – –“
Sie wollte forteilen. Es hatte sich ihrer ein außerordentlicher Zorn bemächtigt. Gebhard ergriff sie bei der Hand.
„Bitte, Madame! Warten Sie noch. Ich muß Ihnen sagen, daß – – –“
„Nichts will ich hören, nichts, gar nichts! Kommen Sie schnell!“
Sie riß sich los und eilte fort. Er folgte ihr, innerlich die folgende Szene bereits ausmalend.
Die beiden Schwestern saßen mit Goldberg am Tisch, als die Gräfin die Tür aufriß und hereingestürmt kam. Bei ihrem Anblick erhoben sich alle drei. Sie erkannten sofort, daß sie sich im Zustand zorniger Aufregung befand.
„Herr von Goldberg, ich habe mit Ihnen zu sprechen!“ rief sie.
„Ich stehe zur Verfügung, gnädige Frau“, antwortete er.
„Das erwarte ich. Ich verlange von Ihnen, daß Sie mir die volle Wahrheit sagen.“
„Gewiß.“
Er hatte nicht die mindeste Ahnung, worüber er überhaupt die reine Wahrheit sagen solle. Sie stellte sich mit zornig funkelnden Augen vor ihn hin und fuhr fort:
„Sie sind ein Verführer!“
Er war wie aus den Wolken gefallen und fragte:
„Ein Verführer? Ich? Madame, ich bitte Sie.“
„Ja, ein Verführer sind Sie. Ich habe die Beweise in den Händen.“
„Welche Beweise?“
„Sie leugnen noch? Wollen Sie leugnen, daß Sie lieben?“
Er fuhr ganz erstaunt zurück.
„Ich, lieben? Ich, gnädige Frau?“
„Ja, Sie. Sie lieben.“
„Wen denn, gnädige Frau?“
„Meine Nichte!“
Der also Interpellierte wußte in dem ersten Augenblick nicht, wie er dieser Anklage zu begegnen habe; er blickte verwundert auf die Dame, die wie eine Richterin vor ihm stand.
Goldberg ging ein Licht auf. Die Gräfin war mit Gebhard allein gewesen. Sie hatten miteinander gesprochen, und jetzt kam sie zurück, von Zorn erfüllt.
„Ah, du hast es verraten?“ fragte er den Freund.
„Verraten hat es niemand“, antwortete die Gräfin; „aber erraten hat es jemand, Ihr Freund ist verschwiegen; er hat mir Ihren Namen nicht genannt; ich aber habe es dennoch erfahren. Wollen Sie noch leugnen?“
Er glaubte sich wirklich verraten; er sah ein, daß kein Leugnen helfen könne; darum antwortete er:
„Madame, die Stimme des Herzens ist oft übermächtig; es ist ganz –“