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„Nein. Ein Löwe ist doch nur eine etwas größere Katze!“

„Hm. Eine etwas sehr große Katze sogar. Es geht mir gerade wie dir, ich habe auch noch keinen wirklich wilden Löwen gesehen. Vielleicht wäre es gut, wenn wir während des Mittags die Gegend einmal rekognoszierten.“

„Das Seitenteil, wo das Vieh stecken soll?“

„Ja. Natürlich zu Fuß. Wir hätten nur eine halbe Stunde bis hinüber.“

„Ich stehe zu Befehl, Herr Hauptmann.“

Einige Zeit später brachen sie auf, geradeso, als ob sie einen Gang auf Hasen oder Hühner unternehmen wollten. Die Beduinen sahen ihrem Beginnen mit Kopfschütteln zu; es war ihnen ein wahnsinniges Wagstück.

Die beiden wanderten über die Breite des Haupttals hinüber und schritten dann das weit engere Nebental empor. Es war mit Mimosen und Terebinthen bestanden und mit wirrem Fels und Geröll angefüllt. In diesem Tal sollte, wie sie bereits gestern erfahren hatten, ein männlicher Löwe sein Lager haben. Sie hofften, seine Fährte zu finden und so den Ort zu entdecken, wo sie ihn morgen bei Tagesgrauen aufsuchen wollten.

Es ist wahr, daß der Löwe sich nur selten zur Mittagszeit zeigt. Indessen, durch irgendeinen Umstand aus seiner Ruhe aufgescheucht, kann er doch einmal zum Vorschein kommen, und dann ist es gefährlich, ihm zu begegnen. Er rächt sich für die ärgerliche Störung.

Indem sie so zwischen Busch und Felsen emporstiegen, blieb der Diener plötzlich stehen und faßte den Herrn am Arm.

„Um Gottes willen, was ist das?“ fragte er, empor nach der Talwand deutend.

Der Hauptmann folgte mit dem Blick der angedeuteten Richtung und zuckte zusammen, ob vor Überraschung oder Schreck, das war schwer zu unterscheiden.

„Tausend Donner! Ein Löwe!“ flüsterte er. „Ja, das ist ein echter, richtiger Löwe und nicht so einer, wie man in der Menagerie findet. Was tun wir? Wagen wir es?“

Seitwärts vor ihnen, und zwar etwas über ihnen, kam ein riesiges Tier talabwärts geschritten, langsam und majestätisch im Bewußtsein seiner Riesenkraft. Noch zwei Minuten, so mußte der Löwe die beiden sehen. Der Diener war ein waghalsiger Patron. Er antwortete:

„Der Kerl ist gerade noch einmal so groß, als ich mir ihn vorgestellt habe; aber geschossen wird er. Wer weiß, ob wir ihn morgen so vor die Büchse bekommen. Wohin schießt man ihn?“

„In das Herz. Nur im Notfall zielt man in das Auge.“

„Gut. Ducken wir uns hier hinter die Büsche nieder. Da sieht er uns nicht. Jeder hat zwei Kugeln, das gibt vier und wird genügen.“

Gesagt, getan! Sie knieten hinter den Büschen nieder und legten die Gewehre an. Das Tier befand sich jetzt wohl dreißig Schritt vor ihnen und zwanzig Fuß höher als sie.

„Schieß du zuerst“, befahl der Hauptmann. „Ich bleibe zur Sicherheit in Reserve.“

Er tat recht daran, wie sich sofort zeigte. Der Diener zielte und drückte ab. Der Schuß krachte, allein der Löwe blieb unversehrt. Die zweite Kugel traf ihn in den Leib, ohne ihn tödlich zu verletzen.

Jetzt aber hatte er auch die Stelle bemerkt, von welcher aus er angegriffen worden war. Er stieß ein tiefes, fürchterliches Brüllen aus und kam herbeigesprungen. Dazu genügten ihm fünf Sprünge.

„Um Gottes willen, wir sind verloren!“ schrie der Diener und warf sich zu Boden. Vorher so verwegen, war es jetzt mit seinem Mut vorüber.

Der Hauptmann blieb unbeweglich knien. Als der Löwe im Sprung sich in der Luft befand, drückte er zum ersten Mal ab, und gleich darauf folgte auch die zweite Kugel. Das gewaltige Tier machte mitten im Sprung eine Wendung seitwärts und stürzte zur Erde nieder. Ein kurzes, dumpfes Brüllen und Röcheln, ein krampfhaftes Schlagen und Zucken der Pranken; dann war es tot.

„Gott sei Dank. Das waren zwei Meisterschüsse!“ meinte der Diener. „Ich glaubte bereits, mein Ende sei gekommen.“

Der Hauptmann sagte gar nichts. Er trat an das Tier heran und betrachtete es. Dann strich er sich den Angstschweiß von der Stirn und meinte:

„Zum ersten und zum letzten Mal! Es waren nur drei Sekunden; aber ich bin während ihrer Dauer fünfmal gestorben. Was werden die Araber sagen! Jetzt das Fell herunter und die Reißzähne heraus.“

Besonders die letztere Arbeit war eine außerordentlich schwierige. Sie nahm einige Stunden in Anspruch. Eben waren die beiden fertig und schickten sich an, aufzubrechen, als sie Pferdegetrappel vernahmen. Sie lauschten und sahen bald, daß sich zwei Reiter näherten, welche das Tal herunterkamen. Die Löwenjäger konnten nicht gesehen werden, da sie ebenso wie der Kadaver des erlegten Tiers hinter dem Busch versteckt lagen.

Die Reiter kamen rasch näher und hielten gerade vor dem Busch an. Der Ältere von ihnen trug einen langen, grauen Bart. Beide schienen Beduinen zu sein; aber der Graubärtige sagte im reinsten Französisch zu seinem Gefährten, welcher noch ziemlich jung zu sein schien:

„Dort geht das Wadi zu Ende. Wir müssen vorsichtig sein. Reite vor und kundschafte aus, ob es dort Leben gibt.“

Der Jüngere gehorchte. Als er nach kurzer Zeit zurückkehrte, meldete er:

„Fünf Zelte im Wadi Guelb.“

„Viele Leute dabei?“

„Nein.“

„Wir dürfen uns dennoch nicht sehen lassen. Wenn der Handstreich gelingt, wird er großes Aufsehen erregen, und man wird sich nach jedem einzelnen Passanten erkundigen, um die Täter zu entdecken.“

„Wo hat dieser Deutsche sein letztes Nachtlager gehalten?“

„Wir werden gegen Abend im Osten des Brunnens Saadis auf ihn stoßen. So meldeten gestern die Kundschafter. Wir beide entfernen uns so schnell wie möglich mit unserem Anteil. Die Beni Hassan aber wird man als Täter festnehmen und bestrafen.“

„Wie reiten wir jetzt?“

„Schnell zurück und dann einen Bogen nach Osten hinüber. Wir müssen wirklich eilen, sonst entkommt uns dieser Königsau mit seinen ganzen Schätzen doch vielleicht noch.“

Sie wendeten ihre Tiere und eilten zurück. Es war niemand anderer als Kapitän Richemonte und sein Verwandter.

Die beiden Lauscher blickten einander erschrocken an.

„Was war das, Herr Hauptmann?“ fragte der Diener. „Überfallen wollen diese Kerls jemand, wenn ich recht gehört habe?“

Der Gefragte war aufgesprungen und hatte sein Gewehr ergriffen.

„Herrgott“, sagte er, „mein Freund Königsau soll überfallen und ausgeraubt werden. Dieser gefährliche Löwe hat uns doch noch Glück gebracht. Auf, auf! In vollstem Lauf nach den Zelten zurück! Wir müssen diesen Menschen zuvorkommen.“

Der Diener hatte gar keine Zeit zu weiteren Erkundigungen und Fragen. Sie rafften das Fell des Löwen empor und eilten trotz der glühenden Hitze im hastigen Lauf das Tal hinab und den Zelten zu.

Als sie dort ankamen, wollten die Araber gar nicht glauben, daß sie einen Löwen erlegt hätten, und als sie es dennoch glauben mußten, sollte ein großes Freudengeschrei erhoben werden; aber der Hauptmann machte dem ein rasches Ende, indem er sich an seinen Führer wendete.

„Kennst du den Brunnen Saadis?“ fragte er.

„Ja, Herr“, lautete die Antwort.

„Wie weit ist es bis dorthin?“

„Es ist der fünfte Teil einer Tagesreise.“

„Wir müssen sofort aufbrechen.“

„Herr, das halten meine Tiere nicht aus.“

„Ich zahle dir, was du verlangst.“

„Ist es notwendig?“

„Ja. Es hängen vielleicht Menschenleben von unserer Eile ab.“

„Gibst du sechzig Münzen, welche ihr Franken nennt?“

„Ja, du sollst sechzig Francs erhalten.“

„So werde ich sogleich satteln.“

Eine Viertelstunde später flogen sie auf ihren tüchtigen Kamelen weiter. Die Tiere hatten sich nicht einmal ausgeruht; aber es hätte sie doch kein frisches Pferd einzuholen vermocht.

Wüste und immer wieder nur Wüste war zu sehen, bis endlich kurz vor Einbruch des Abends sich am Horizont einige Palmen zeigten.