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Das wurde natürlich nur für Ausflucht gehalten. Man holte mehr und mehr Männer aus dem Lager, bis endlich die ganze männliche Bevölkerung in Banden lag. Jetzt wurde das Urteil gefällt. Es lautete kurz und bestimmt auf Tod durch die Kugel.

Die Kunde davon rief ein geradezu unbeschreibliches Jammergeschrei unter den Weibern und Kindern des Lagers hervor. Sie wollten bitten und flehen, sie wollten sich den unmenschlichen Richtern weinend zu Füßen werfen, aber das Lager war mit Posten umstellt worden, so daß niemand es verlassen konnte.

Bereits zu Mittag, als die Sonne am höchsten stand, sollte die Vollstreckung des Todesurteiles beginnen. Um diese Zeit schritt der Cousin Richemontes durch die Postenkette in das Lager. Überall tönten ihm Jammergeschrei und Wehklagen entgegen; er hörte nicht darauf. In das Zelt des Scheiks trat er ein. Das Weib desselben und Liama lagen weinend am Boden. Sie sprangen empor, als sie ihn erblickten.

„Salam aaleïkum“, grüßte er.

„Wie, du bringst den Gruß des Friedens“, rief das arme Weib, „und draußen harrt der Tod unserer Männer und Söhne!“

„Es wird keiner entgehen; nur euch allein bringe ich Frieden. Ist Liama bereits das Weib Saadis geworden?“

„Ja“, antwortete ihre Mutter.

Liama war als Frau noch schöner denn als Mädchen. Vor Jammer hatte sie die gewohnte Sorgfalt für ihr Äußeres außer acht gelassen; ihr Gewand hatte sich verschoben, so daß das Auge des fast unsinnig verliebten Schurken genug Punkte fand, an denen sich seine Glut verdoppeln konnte.

„Der Scheik muß sterben und auch Saadi!“ sagte er.

„O Allah, gibt es keine Rettung für sie?“ rief Liama.

„Keine.“

Da näherte sie sich ihm und sagte, indem sie die Hände faltete:

„Du bist ein Freund der Franken. Unsere Männer sind unschuldig. Du vermagst viel. Vielleicht könntest du sie retten.“

„Es ist mir nur erlaubt, zwei zu retten.“

„Wen, wen?“ fragten die beiden Frauen schnell.

„Ich darf sie mir auswählen.“

„Oh, so rette den Scheik, meinen Mann!“ rief die Mutter.

„Und rette Saadi, welcher schuldlos ist!“ rief die Tochter.

„Welchen Dank erhalte ich?“ fragte er.

„Fordere alles, was du begehrst!“ sagte die Mutter.

„Nun wohl! Ich habe Liama zum Weib begehrt, und man hat sie mir verwehrt. Wenn sie einwilligt, mein Weib zu werden und mit mir zu ziehen, so sollen der Scheik und Saadi gerettet werden.“

Liama erbleichte. Ihre Mutter dagegen erschrak nicht so sehr. Einen anderen Schwiegersohn zu haben, das war nicht so schlimm als der Tod ihres Mannes.

„Wirst du Wort halten?“ fragte sie.

„Ja“, antwortete er.

„Schwöre es mir!“

„Ich schwöre es beim Barte des Propheten!“

Liama aber rang die Hände und rief:

„Er mag schwören, ich gehe doch nicht mit ihm!“

„Willst du die Mörderin deines Vaters sein?“ klagte ihre Mutter.

„Ich kann nicht! Ich liebe ihn nicht. Ich gehöre zu Saadi!“

„Nein; er gibt dich frei, um dich zu retten“, antwortete er.

„Beweise es!“ rief die Mutter.

„Auch der Scheik befiehlt euch, zu tun, was ich verlange, damit er sein Leben nicht verliere.“

„Beweise es!“

„Hier!“ sagte er.

Er zog aus der Tasche ein Stück beschriebenes Pergament hervor, welches in französischer Sprache und arabischer Schrift beschrieben war.

„Hier ist das Dokument, welches unser Kommandant und der Scheik und Saadi unterschrieben haben. Kennt ihr das Siegel des Scheiks?“

„Ja“, antworteten beide.

„So seht her und lest diese Schrift!“

Die Mutter konnte nicht lesen; aber Liama buchstabierte den Befehl ihres Vaters und ihres Mannes zusammen. Beide geboten ihr, augenblicklich mit dem Überbringer dieses Schreibens zu gehen, um Mann und Vater zu retten und so ein Allah wohlgefälliges Werk zu tun.

„Kennt ihr auch die Hamaïls des Scheiks und Saadis?“ fragte er weiter.

„Ja“, antwortete sie.

Unter Hamaïl versteht man ein Exemplar des in Mekka geschriebenen Koran, welches sich die Pilger dort kaufen und dann während der ganzen Lebenszeit am Hals tragen. Nur in der alleräußersten Not gibt der Moslem dieses Hamaïl von sich.

„Hier sind sie beide!“

Bei diesen Worten reichte er ihnen die zwei Koranexemplare hin, die sie sofort erkannten. Das war mehr als genug Beweis für sie.

„Ich glaube dir!“ sagte die Mutter.

Sie ahnte nicht, daß das Schreiben gefälscht war, und daß der unmenschliche Schurke den beiden Gefangenen Siegel und Hamaïl mit Gewalt entrissen hatte. Liama hatte sich schluchzend auf den Boden geworfen.

„O Allah, o Allah!“ rief sie. „Sie gebieten es mir; aber ich kann dennoch nicht! O Allah, Allah, was soll ich tun!“

„Gehorchst du nicht, so müssen sie sterben“, antwortete der Franzose kalt.

„Meine Tochter, gedenke deiner Pflicht!“ mahnte die Mutter ängstlich.

„Ja“, meinte der verkappte Franzose. „Ich werde vor das Zelt treten, um euch eine kleine Weile zur ruhigen Überlegung allein zu lassen. Beredet euch, und tut dann, was ihr beschlossen habt. Aber zögert nicht lange, die Zeit ist kostbar.“

Er trat hinaus. Im ganzen Zeltdorf ertönte lautes Wehklagen, und doch hörte er noch deutlich das verzweifelte Jammern im Inneren des Zelts. Harte Worte der Mutter ließen sich dazwischen vernehmen.

Da plötzlich krachte draußen vor dem Lager eine Gewehrsalve. Ein einziger, aber vielstimmiger, schriller Angstschrei ertönte durch das Lager. Er trat in das Zelt, dessen Tür das Weib des Scheiks soeben aufreißen wollte. Liama stand totenbleich inmitten des Raums.

„Wer hat geschossen? Was hat man getan?“ fragte die Mutter.

„Man hat die ersten fünf Mann soeben erschossen“, antwortete er.

„O Allah! Ist der Scheik dabei?“

„Noch nicht; aber in zwei Minuten werden wieder fünf Mann fallen, und der Scheik und Saadi werden dabei sein.“

„Liama geht mit!“ rief die Mutter in höchster Angst.

„Ist es wahr?“ fragte er die schöne, junge Frau.

„Ach ja“, hauchte sie, mehr tot als lebendig.

„So ziehe dich zur Reise an. Ich werde unterdessen das Zeichen geben, daß man die beiden verschonen soll!“

Einige Zeit später öffnete sich der Kordon, welchen die Chasseurs bildeten. Man ließ zwei Pferde und ein Kamel passieren. Auf den ersteren saßen Richemonte und sein Kumpan, und das letztere trug eine Atuscha, in welcher ein wunderbar schönes Weib unter heißen Tränen vor Leid und Weh zu sterben meinte. Es war Liama, die spätere Bewohnerin des schwarzen Turms in der Nähe vom Schloß Ortry.

Auch von den beiden Löwenzähnen, welche Kunz von Goldberg dem ‚Herrn des Erdbebens‘ ausgebrochen hatte, ist der Leser dem einen bereits begegnet. Fritz, der Diener des verkleideten Doktor Müller, trug ihn an seinem Hals. –

ZWEITES KAPITEL 

Ein teuflischer Plan

Seit den letzterzählten Ereignissen war eine Reihe von Jahren vergangen. Noch lebte Hugo von Königsau, der einstige Liebling des alten Feldmarschalls ‚Vorwärts‘, in stiller Zurückgezogenheit auf seinen beiden nebeneinanderliegenden Gütern. Er genoß an der Seite seiner treuen Margot ein Glück, wie es nur wenigen Irdischen beschieden ist.

Ein einziges Mal wurde dasselbe getrübt, als Margots Mutter, Frau Richemonte, starb. Wäre außerdem eine Trübung desselben möglich gewesen, so hätte das nur dadurch geschehen können, daß er sich noch immer mit jener leeren, dunklen Stelle beschäftigte, welche infolge des empfangenen Hiebes in seinem Gedächtnis zurückgeblieben war.