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Fast so alt geworden wie der treue Kutscher Florian Rupprechtsberger, der ihm aus Jeanette nach Preußen gefolgt war, saß er mit diesem stundenlang beisammen, um über diesen unaufgeklärten Punkt zu verhandeln; aber vergebens, denn es war und blieb ihm unmöglich, sich auf den Ort zu besinnen, an welchem er die Kriegskasse vergraben hatte. Wenn dann Margot dazu kam, so ahnte sie stets, welches der Gegenstand des Gesprächs gewesen war. Sie legte ihm den Arm um den Nacken und meinte dann gewöhnlich in bittendem Ton:

„Ich vermute, daß du wieder über diese böse Kriegskasse nachgedacht hast. Ist es nicht so, lieber Hugo?“

„Leider, ja!“ pflegte er dann entweder trübe oder ärgerlich zu antworten.

„Laß das doch endlich auf sich beruhen! Wie oft habe ich dich schon darum gebeten, und doch willst du mir nicht diesen einzigen Gefallen tun!“

„Ich möchte wohl gern, das darfst du mir glauben; aber wenn der Gedanke kommt, so habe ich doch nicht die Macht, ihn von mir zu weisen.“

„Es ist aber überflüssig und vergeblich. Selbst wenn du dich auf den Ort besinnen könntest, dürftest du den Schatz ja doch nicht haben.“

„Warum nicht, meine Liebe?“

„Weil die Kriegskasse eine französische ist. Ihre Aneignung würde ja ein Diebstahl sein. Anders wäre es allerdings, wenn sie deutsches, oder überhaupt Eigentum der Verbündeten gewesen wäre.“

„Ich kann dir nicht unrecht geben. Aber wenn wieder einmal ein Krieg zwischen den Deutschen und Franzosen ausbrechen würde, wenn wir diese Gegend okkupierten, dann hätten wir das Recht, uns der Beute, welche uns damals entgangen ist, zu bemächtigen.“

„Hoffen wir nicht, daß sich jene Zeit des Blutvergießens wiederhole.“

„Ich stimme dir bei. Aber auch unter den gegenwärtigen Verhältnissen würde es vorteilhaft für mich sein, wenn ich mich auf den Ort besinnen könnte. Ich könnte eine bedeutende Gratifikation von Frankreich erlangen, wenn ich anzugeben vermöchte, wo eine solche Summe zu finden ist.“

„Laß das gut sein, lieber Hugo! Wir sind ja nicht in so bedrängter Lage, einer Gratifikation zu bedürfen.“

Auf diese Bemerkung pflegte der alte Rittmeister nicht zu antworten; er tat, als sei er beruhigt, aber im stillen sann und grübelte er weiter.

Margot hatte sehr recht, wenn sie sagte, daß sie sich nicht in einer bedrängten Lage befänden. Ihre beiden Güter brachten ihnen ein, was sie brauchten. Übrigens hatten sie ja den großen Meierhof Jeannette von der verstorbenen Baronin de Sainte-Marie geerbt. Diesen Besitz hatten sie im Laufe der Jahre sehr verbessert und dann einem tüchtigen Pächter übergeben. Er stand jetzt viel höher im Wert als vorher, obgleich sie dort, da der Hof ja in Frankreich lag, sich nur äußerst selten sehen ließen.

Ihr Sohn Gebhard war glücklich aus Afrika zurückgekehrt. Er hatte die Ergebnisse seiner Forschungen veröffentlicht und sich dadurch einen ehrenvollen Ruf erworben. Das veranlaßte ihn, auf diesem Feld weiterzuarbeiten. Er nahm zunächst Urlaub, um sich an weiteren Expeditionen zu beteiligen, welche ihm neue Ehren einbrachten. Darum kam er endlich um seinen Abschied ein. Da nicht die mindeste Aussicht auf einen Krieg war, so konnte er dies, ohne sich eine Blöße zu geben oder einen unwürdigen Verdacht auf sich zu laden. Er erhielt ihn sofort, da man gar wohl wußte, daß er dem Allgemeinen durch seine jetzige Tätigkeit weit mehr Nutzen bringe, als wenn man ihn auf eine enge Garnison beschränke. Und so war er von da an im Dienst der Wissenschaft oft lange Zeit von seinem Vaterland abwesend.

Ida de Rallion war seine Frau geworden. Sie liebten sich von ganzem Herzen und fanden in ihrer Ehe ganz dasselbe Glück, welches Gebhards Eltern in ihrer Vereinigung gefunden hatten. Freilich sah Ida es nicht gern, daß Gebhard so oft und so lange von der Heimat entfernt war; aber sie freute sich seines Ruhmes und fühlte doppelte Seligkeit, wenn er einmal zu ihr zurückkehrte. Während er in fernen Zonen weilte, fand sie Trost bei den geliebten Schwiegereltern, und als sie nun gar die Wonne hatte, erst einen Sohn und später auch eine Tochter zu haben, pflegte ihr die Zeit des Wartens nicht mehr so lang zu werden wie früher.

Ihr Sohn war Richard genannt worden. Vater und Mutter hingen in vereinter Liebe an ihm und dem kleinen Schwesterchen, und doch schien es beinahe, als ob ihre Zärtlichkeit von derjenigen der Großeltern fast noch überboten werde. Natürlich hatte der Knabe die Bestimmung, einst Offizier zu werden, und seine Erziehung erhielt eine streng nach diesem Ziel visierte Richtung. Bei der reichen Begabung, durch welche er sich auszeichnete, brachten die Bemühungen seiner Großeltern, Eltern und Lehrer überreichliche Früchte, und es ließ sich hoffen und erwarten, daß er einst dem Stand, für welchem man ihn bestimmt hatte, alle Ehre machen werde. –

Während so die Familie Königsau sich eines reinen und beinahe ungetrübten Glückes erfreute, zog sich im Südwesten von ihnen eine schwere Wetterwolke gegen sie zusammen.

Napoleon der Dritte war erst Präsident und dann Kaiser von Frankreich geworden. Dieses Ereignis kam zweien sehr gelegen, welche bisher vergeblich auf eine erfolgversprechende Gelegenheit gewartet hatten, ihre Pläne in Ausführung zu bringen: Kapitän Richemonte und sein Verwandter und Adoptivsohn, welcher sich in Afrika Ben Ali genannt hatte. Sobald der Neffe des Onkels Kaiser geworden war, ließ sich annehmen, daß für alle diejenigen, welche an den Traditionen des ersten Kaiserreiches festgehalten hatten und Anhänger Napoleons des Ersten gewesen waren, nun endlich die längst ersehnte Zeit gekommen sei, sich geltend zu machen. Und sie hatten recht. Der Neffe, welcher keineswegs den gewaltigen Geist des großen Korsen hatte, suchte doch ein Nachahmer desselben zu sein. Er schmeichelte sich, in dessen Fußstapfen treten zu können, und war doch nichts als ein Nachäffer der äußeren Eigentümlichkeiten und Gepflogenheiten des großen Korsen.

Aber der Stand der Dinge in Europa war ihm günstig. Das Flittergold seiner Krone schien echtes Metall zu sein, und die Glasflimmer, mit denen er sich schmückte, warfen einen Glanz, daß man sie für echte Diamanten hielt. Hatte der Onkel durch die Gewalt seines Genies sich zum Schiedsrichter der halben Welt gemacht, so gelang es dem Neffen, durch verschlagene Taschenspielerstückchen die Völker und sogenannte Diplomaten zu täuschen. Man staunte, man war verblüfft; man bewunderte ihn sodann, und das war es ja, was er beabsichtigte; denn vom Angestaunt- und Bewundertwerden bis zur wirklichen Herrschaft ist ja nur ein kleiner Schritt, und diesen zu tun versäumte er nicht.

Hatte Napoleon es verstanden, das Genie zu sich emporzuziehen, selbst wenn er es in der niedersten Klasse des Volkes gesucht hatte, so äffte ihm auch hier der Neffe nach, indem er nicht versäumte, sich Kreaturen zu schaffen, welche er für geeignet hielt, dem falschen Glanz seines Throns noch einen kleinen Strahl hinzuzufügen. Welchen Wert diese Männer hatten, zeigte sich erst, als der Thron zusammenbrach. Und vielleicht gab es nur zwei Männer, welche diesen Wert oder vielmehr Unwert erkannt hatten und richtig zu beurteilen verstanden – Bismarck und Moltke, unter deren Fausthieben der ganze Kartenbau des Kaiserreichs später zusammenfiel.

Seit einiger Zeit gehörte zu jenen Günstlingen des Kaisers und der Kaiserin ein Mann, der uns bereits begegnet ist, nämlich Graf Jules Rallion, welcher zu wenig Ehre besessen hatte, auf die Forderung Gebhards von Königsau mit der Waffe in der Hand zu antworten.

Er war damals feig entflohen, hatte sich aber nach Gebhards Entfernung sofort wieder eingefunden, um seine Bewerbung um seine Cousine Ida fortzusetzen. Er war aber mit Verachtung zurück- und zurechtgewiesen worden und hatte mit Grimm sehen müssen, daß der Deutsche seine schöne Verwandte als Frau in sein Vaterland führte.