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Und doch war es sehr leicht zu begreifen. Einer reinen, keuschen Weiblichkeit gegenüber fühlt ein mutloser Bösewicht sich ohne Macht. Das konnte der Kapitän, welcher doch ein Menschenkenner war, sich leicht sagen.

Diese beiden Menschen hatten Liama aus ihrer Heimat durch einen gräßlichen Betrug hinweggelockt. Sie hatte ihnen vertraut und war ihnen in der Überzeugung gefolgt, dadurch ihren Vater und den geliebten Mann zu retten. Später hatte sie Gelegenheit gehabt, ihr Tun und Treiben zu beobachten, und war mißtrauisch geworden. Es war ihr der Zweifel gekommen, ob das ihr gegebene Versprechen erfüllt worden sei. Sie hatte nach Beweisen verlangt, daß ihr Mann und ihr Vater am Leben geblieben seien, diese Beweise waren ihr nicht geliefert worden. Hatte sie die beiden bereits früher gehaßt, so haßte sie dieselben jetzt noch viel mehr. Es kam ihr der Gedanke an Flucht; aber wie sollte sie diese bewerkstelligen? Sie verstand kein Wort Französisch, sie wurde in Jeanette fast wie eine Gefangene gehalten und bemerkte, daß sie keinen einzigen Augenblick ohne Aufsicht gelassen wurde. Der Kapitän war von allem Anfang an gegen die wahnwitzige Liebe seines Verwandten gewesen, er hatte dennoch Gründe gehabt, derselben zu willfahren, aber er sah gar wohl ein, in welcher Gefahr er Liama gegenüber sich stetig befand, und so war es kein Wunder, daß er ihr feindlich gesinnt blieb und sie fest im Auge behielt.

Dennoch aber hätte das arme, betrogene Weib seinen Entschluß, zu fliehen, ausgeführt, wenn nicht ein Ereignis eingetreten wäre, welches sie zwang, noch auszuhalten. Sie wurde nämlich Mutter und gab einem Mädchen das Leben, in dessen liebem Gesicht sie die Züge ihres Saadi wiederzusehen glaubte. Dieser ihr von dem Kadi angetraute Mann war der Vater des lieblichen Kindes. All ihre Liebe, welche sie dem ersteren nicht mehr zu widmen vermochte, konzentrierte sich auf das letztere. Sie vergaß ihr Elend und lebte nur in dem Wesen, welchem sie das Leben gegeben hatte.

Diese Liebe war es auch, welche ihr die Kraft und Ausdauer verlieh, sich den Ansprüchen und Liebkosungen des Barons zu widersetzen. Er besuchte sie täglich wiederholt in den Räumen, welche ihr ausschließlich angewiesen waren und welche sie nicht verlassen durfte. Er knüpfte an die Erhörung seiner Wünsche die Erlaubnis zu einer freieren Bewegung; aber mit dem Scharfsinn des Naturkinds erkannte sie seine Schwäche und erriet, daß er dem Kapitän gegenüber vollständig machtlos war, in dessen Händen auch sie sich befand.

Je länger und fester sie widersprach, desto mehr steigerte sich die Gier des Barons. Es gab Augenblicke, in denen er sich fast sinnlos gebärdete. Dazu kamen Bilder aus der Vergangenheit, welche ihn des Nachts beängstigten. Finstere, drohende Schatten bewegten sich in seinen Träumen, Schüsse knallten, blutige Tropfen umspritzten ihn, und wenn er dann erwachte, war es ihm, als ob er mit wirklichen Gestalten zu kämpfen gehabt hätte; er stöhnte und wimmerte leise vor sich hin, und es gab nur einen, der ihn zum Schweigen brachte – der alte Kapitän, welcher erst zu Drohungen, dann aber zu Tätlichkeiten griff, um die Geister zu bannen, die sich des Barons bemächtigt hatten.

Diese Anfälle traten je länger, desto öfter ein. Es kam vor, daß der Baron selbst durch die angegebenen Mittel nicht zur Ruhe und zum Schweigen gebracht werden konnte. In diesem Zustand der Angst, Furcht und Verzweiflung verlangte er nach Liama, und der alte Richemonte war klug genug, sich diesem Wunsch nicht zu widersetzen. Liama, die Betrogene, wurde die Trösterin des Betrügers. Ihr bloßer Anblick genügte, ihn zu beruhigen und ihm den Gebrauch seiner Sinne zurückzugeben.

Dies rettete ihr vielleicht das Leben. Der Kapitän kannte ihren glühenden Wunsch nach Befreiung aus ihren Fesseln. Ihr Entkommen aber wäre sein Verderben gewesen, und da ihre immerwährende unausgesetzte Bewachung keine leichte war, so ließ sich bei seiner Rücksichts- und Gewissenlosigkeit wohl vermuten, daß er zu dem Entschluß kommen könne, sich durch eine Gewalttat seine Sicherheit wiederzugeben. Aber ebenso gefährlich war ihm der Wahnwitz des Barons, und da die Ausbrüche desselben nur durch Liama gemildert und beruhigt werden konnten, so war es notwendig, sie leben zu lassen.

Das Kind der Baronin, von welchem der Baron wohl wußte, daß es nicht das seinige sei, wurde schweigend von ihm anerkannt und auf den Namen Marion getauft. Sein junges Leben bildete die Kette, durch welche die unglückliche Mutter in ihrer Gefangenschaft festgehalten wurde. Es wäre ihr niemals in den Sinn gekommen, ohne dasselbe zu fliehen; das erkannte der Kapitän, und daher bewachte er die kleine Marion noch sorgfältiger als ihre Mutter, und bedeutete der letzteren übrigens noch, daß der geringste Ungehorsam gegen ihn dem Mädchen das Leben kosten werde. Das war mehr als genug, jeden Fluchtgedanken von Liama fernzuhalten.

Was die Bevölkerung der Umgegend betrifft, so war derselben wohl bekannt geworden, daß der Baron verheiratet sei, das Weitere ging ja keinem Menschen etwas an. Zwar gelang es zuweilen einem Auge, die schöne, geheimnisvolle Frau zu erblicken, aber warum dieselbe sich in so außerordentlicher Verborgenheit halte, das versuchte man gar nicht zu ergründen. Vornehme Herrschaften haben ja ihre Schrullen.

Selbst wenn Graf Rallion nach Jeannette kam, wurde Liama nicht zur Gesellschaft gezogen. Ein kleiner Umstand hätte ja leicht alles verraten können. Daß der Graf einmal energisch nach der Baronin verlangen könne, stand gar nicht zu erwarten. Er erkundigte sich in höflicher, aber gleichgültiger Weise nach ihr, wenn er kam; er ließ sich ihr empfehlen, wenn er wieder abreiste, das war alles, was er tat.

Dieses Verhalten war zwar seltsam, aber dennoch leicht zu erklären.

Die beiden, er und der Kapitän, hatten sich nach und nach immer besser kennengelernt. Jeder erblickte ein höchst brauchbares Werkzeug in dem anderen. War der Graf feig und gewissenlos, so war der Kapitän frech und rücksichtslos. Der erstere hielt es am liebsten mit der weniger gefährlichen Hinterlist, während der letztere vor keiner Gefahr, vor keiner Tat zurückbebte, wenn es galt, seinen Zweck zu erreichen. So ergänzten sich beide, sobald ihre Zwecke dieselben waren, und dieser Fall kam nicht sehr selten vor.

Wenn sie beieinander saßen, kam die Rede stets auf die Familie Königsau. Beide fühlten sich sehr befriedigt darüber, daß es ihnen gelungen war, ihr den Meierhof Jeanette zu entreißen; aber noch weit größere Freude hätten sie empfunden, wenn ihnen die Mittel gegeben wären, diese verhaßte Familie ganz und vollständig zu verderben.

So befanden sie sich einst bei einer abermaligen Anwesenheit des Grafen in dem Zimmer des Kapitäns und unterhielten sich über dieses Thema. Sie suchten mit wahrhaft diabolischem Scharfsinn nach einem Weg, auf welchem es möglich sei, eine vollständige Rache auszuüben, aber all ihr Sinnen und Forschen führte zu keinem befriedigenden Resultat. Darum gingen sie mißmutig auseinander, um sich schlafen zu legen.

Der Kapitän hatte die Gewohnheit, stets, bevor er sich zur Ruhe begab, seine geschäftlichen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Er hatte heute von einem Getreidehändler eine größere Summe Geld geschickt bekommen, welche von ihm noch nicht gebucht und nachgezählt worden war. Darum schloß er den Laden, setzte sich an den Schreibtisch und zog das Geld hervor.

Die leichte Arbeit war bald getan, und eben hatte er das Geld in Beutel gegeben, wieder verschlossen und den Schlüssel zu sich gesteckt, als es ihm war, als ob er draußen auf dem Gang leise Schritte vernehme.

Er lauschte. Ja, wirklich! Da draußen schlich sich jemand näher und hielt vor seiner Tür an. Wer war das? Was wollte man? Kam ein Diener, um ihm noch etwas Notwendiges mitzuteilen? Das war sehr unwahrscheinlich. Er hatte Geld gezählt; der Gedanke an einen Dieb lag ihm daher nahe. Rasch entschlossen, wie er war, löschte er sein Licht aus, nahm das Terzerol, welches stets geladen neben seinem Bett hing, und legte sich in das Bett. Er deckte sich so zu, daß nur sein Kopf zu sehen war, so, daß man nicht bemerken konnte, daß er noch angekleidet sei.