Выбрать главу

„Jawohl. Diebe, Räuber und Mörder. Man macht sie nicht bloß zu Soldaten, sondern sogar zu Offizieren. Es ist möglich, daß es der größte Spitzbube bis zum Kapitän und Ehrenlegionär, vielleicht noch höher bringen kann.“

Jetzt endlich zeigte sich jenes gefährliche Zähnefletschen, welches dem Alten in Augenblicken des höchsten Zorns eigen war.

„Wie meinst du das, oder wen meinst du?“ fragte er.

„Wen? Hm. Das ist vielleicht nicht ganz gleichgültig. Ich will nur erwähnen, daß ich die angedeutete Erfahrung in Afrika, in Algerien gemacht habe.“

Der Schnurrbart des Alten sank augenblicklich herab, und das Fletschen der Zähne war verschwunden.

„Wie? Was?“ fragte er. „In Afrika, in Algerien warst du? Hast du dort gestanden? Als was?“

„Nur als Chasseur d'Afrique“, lachte der Diener.

Da entfärbte sich der Kapitän. Sein Gesicht war leichenblaß geworden. Er begann zu ahnen, daß Henry ihn selbst gemeint habe, als er sagte, daß der größte Spitzbube es bis zum Kapitän und Ehrenlegionär bringen könne.

„Mensch, warum hast du mir das nicht früher gesagt?“

Der Diener zuckte die Achsel und antwortete:

„Weil ich nicht glaubte, daß es Sie interessieren würde.“

„Wie lange warst du dort?“

„Lange genug, um ein wenig Arabisch verstehen zu lernen.“

Der Alte fuhr zurück. Erst bei diesen Worten Henrys begann er das Richtige zu ahnen.

„Ah!“ fragte er in tief grollendem Ton. „Du verstehst Arabisch?“

„So ziemlich.“

„Du hast die Baronin bewachen sollen, und sie hat Arabisch mit dir gesprochen?“

„Nein, kein Wort.“

„Mit wem sonst?“

„Mit der kleinen Komtesse Marion.“

„Lüg nicht.“

„Warum sollte ich lügen? Ich ersehe keinen Grund dazu!“

„Wie könnte sie mit dem Kind sprechen, welches ja kaum zu lallen versteht!“

„Hm! Haben Sie noch keine Mutter beobachtet? Haben Sie noch nie gesehen oder gehört, daß eine Mutter bereits mit ihrem Neugeborenen spricht, um ihm süße Namen zu geben und ihm allerlei mitzuteilen, wie's eben nur ein Mutterherz versteht?“

„Unsinn. Kinderei!“

„Nein, kein Unsinn. Das Mutterherz quillt über von Glück und Liebe; es will sich mitteilen, und daher spricht die Mutter mit dem Kind, obgleich sie weiß, daß dasselbe kein Wort versteht. Aber wenn die Augen des Kindes offen und lächelnd auf die Mutter gerichtet sind, so versenkt sich die letztere in die süße Täuschung, von dem kleinen Liebling verstanden worden zu sein.“

„Nichts als Schwätzerei!“

„Wohl nicht. Was da gesprochen wird, ist nicht immer unsinniges Zeug. Und wenn eine Frau, welcher es an Umgang und Gesellschaft keineswegs mangelt, mit ihrem Kind redet, was wird dann eine andere, welche wie die Frau Baronin gefangen gehalten wird, erst recht tun? Mit ihrem Kind reden. Und was wird sie mit ihm sprechen? Was wird sie ihm erzählen?“

Das Auge des einstigen Chasseur d'Afrique und jetzigen Einbrechers war scharf triumphierend auf den Alten gerichtet.

„Nun, was?“ fragte dieser stockend.

„Sie wird ihm erzählen, warum sie so arm, so elend ist. Sie wird ihm erzählen von der Wüste, von den hingemordeten Stämmen der Beni Hassan, von Saadi, dem richtigen Vater des Kindes –“

„Tausend Donner!“

„Von dem Fakihadschi Malek Omar“, fuhr der Diener unbeirrt fort, „und von dessen Sohn oder Gefährten Ben Ali, der aber gar nicht sein Sohn sein kann.“

„Mensch, du faselst!“

„Ich wiederhole nur das, was ich gehört habe.“

„Du träumst – oder hast geträumt!“

„Oh, ich war im Gegenteil sehr wach und munter. Aber in diesem Augenblick ist ja alles gleichgültig; es würde seine Bedeutung erst vor dem Richter erhalten. Für jetzt frage ich Sie bloß, ob Sie geneigt sind, mich als Einbrecher anzuzeigen.“

Der Alte steckte die Hände in die Taschen, als ob, wenn er ihnen die Bewegung raube, auch sein Innerstes zur Ruhe kommen müsse.

„Setz dich!“ gebot er.

Er schritt, als Henry gehorchte, mehrere Male im Zimmer auf und ab, trat dann zur Tür, schob den Riegel vor und wendete sich dann mit weit gedämpfterer Stimme als vorher an den anderen:

„Es ist also wahr, daß du die Baronin in ihrem Arabisch belauscht hast?“

„Ja, Herr Kapitän.“

„Und sie hat wirklich das gesagt, was du vorhin erwähntest?“

„Wüßte ich sonst davon?“

„Wovon hat sie sonst gesprochen?“

Das Gesicht des Dieners nahm einen unbeschreiblich schlauen, aber ebenso zurückhaltenden und berechnenden Ausdruck an. Wäre ein Zeichner zugegen gewesen, so hätte er diesen Menschen als die Personifikation der größten Verschlagenheit in die Mappe bringen können.

„Von sehr vielem noch“, antwortete er.

„Ich will das hören! Verstehst du? Ich muß es wissen!“

„Hm! Ich kann es nicht sagen.“

„Warum nicht?“

„Weil es mir augenblicklich nicht einfällt.“

„So besinne dich. Denke nach.“

„Das geht nicht so schnell und auf Kommando, wie Sie es wünschen und verlangen. Es können Tage, ja Wochen vergehen, ehe ich mich klar und deutlich erinnern kann.“

„Ich verstehe dich, Halunke. Aber glaube ja nicht, daß die dunklen Andeutungen, welche du doch nur gehört haben kannst, imstande sein werden, mich in Verlegenheit zu bringen.“

„Oh, es waren mehr als dunkle Andeutungen! Warum erhält übrigens die Frau Baronin keine Gelegenheit, Französisch zu lernen? Warum darf niemand mit ihr sprechen?“

„Das geht dich den Teufel an! Du hast mir zu antworten, nicht aber zu fragen! Also gestehe, ob du mit der Baronin gesprochen hast!“

„Kein Wort!“

„Das lügst du! Ich glaube dir nicht!“

„Dann halten Sie mich leider für dümmer, als ich bin. Es lag mir natürlich daran, so viel wie möglich zu hören und zu erlauschen; darum mußte ich so tun, als ob ich kein einziges Wort verstehe. Hätte die Baronin das Gegenteil bemerkt, so hätte ich wohl vergebens gewartet, meine Neugierde befriedigt zu sehen.“

„Du hattest nicht zu lauschen und nicht hinzuhören!“

„Sollte ich mir die Ohren verstopfen?“

Der Kapitän war für den Gegenstand ihres Gesprächs so außerordentlich interessiert, daß er es gar nicht beachtete, welch ein Spiel sein Diener mit ihm trieb und in welchen Ausdrücken dieser sich bewegte. Er drohte nur:

„Ich werde mich bei meiner Schwiegertochter erkundigen, und ich befinde mich im Besitz der nötigen Mittel, sie zum Geständnis zu bringen, ob du mit ihr gesprochen hast.“

„Tun Sie das! Ich kann ruhig sein.“

„Ich hoffe es. Aber nun sage mir, was du getan hättest, wenn dir der jetzige Raub geglückt wäre?“

„Was hätte ich tun sollen? Ich hätte das Geld einstweilen vergraben.“

„Aber der Verdacht hätte auf dich kommen können!“

„Das glaube ich nicht.“

„Der Dieb konnte nur im Haus sein.“

„Pah! Man hätte keine Spur entdeckt. Es war kein Schloß verletzt. Sie hatten Ihr Geld gezählt und sich dann eingeriegelt. Der Diebstahl wäre vollständig unerklärlich geblieben und auch niemals aufgeklärt worden. Das Geld hätte ich, wie gesagt, an einem sicheren Ort einstweilen vergraben.“

„Aber man hätte die Nachschlüssel bei dir finden können. Ich hätte natürlich Haussuchung halten lassen.“

„Man hätte nichts gefunden. Auch sie wären vergraben worden.“

„Aber der Zufall und der Teufel treiben oft ihr Spiel. Am sichersten für dich wäre doch die Flucht gewesen.“

Bei diesen Worten hielt er sein Auge forschend auf Henry gerichtet. Dieser bemerkte den lauernden Blick und antwortete:

„Halten Sie mich für unzurechnungsfähig? Ich hätte ja gerade durch diese Flucht den Verdacht auf mich gelenkt!“