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Das klang so warm, so herzlich, als ob der Franzose bereits seit Jahren Bekannter der Familie sei. Er schritt auf Margot zu, küßte ihr die Hand und sagte:

„Ich würde es sehr beklagen, wollten Sie sich meinetwegen auch nur eine Spur von Schmerz bereiten, Madame. Gott lasse Sie gesunden durch die Freude, welche Sie an dem herzlieben Bild haben müssen, eine Freude, an welcher die Mama dieser reitenden Kavallerie sicherlich teilnehmen wird.“

Dabei deutete er mit der Linken auf die beiden Kinder und ergriff mit der Rechten auch die Hand Idas, um sie zum chevaleresken Gruß an seine Lippe zu ziehen.

Das alles geschah so gewandt, so ungesucht, daß es auf die Familie den besten Eindruck machte.

„Nehmen Sie Platz“, meinte Königsau. „Und denken Sie, bei Freunden oder Bekannten zu sein.“

Der Fremde verbeugte sich dankend und antwortete deutsch:

„Unter Bekannten pflegt man sich der Sprache des Hauses zu bedienen. Gestatten Sie mir, in der Ihrigen zu sprechen und verzeihen Sie mir die Regelwidrigkeiten, welche zu unterlassen ich nicht vermögen werde.“

„Wir werden möglichst milde Richter sein“, meinte Margot, indem sie ihm mit einem freundlichen Lächeln zunickte.

„Davon bin ich überzeugt“, antwortete er. „Ich werde ja bereits im ersten Augenblick von der angenehmsten Gewißheit berührt, mich einem Familienkreis genähert zu haben, in welchem Liebe, Güte und Milde das Zepter führen. Dies ist mir um so wohltuender, als ich wirklich in der Überzeugung, hier einen Freund zu finden, um Erlaubnis zum Zutritt ersuchte.“

„Einen Freund?“ fragte Ida. „Oh, da ist es ja nicht anders möglich, als daß Sie meinen Gatten meinen.“

„Gebhard?“ fragte die Matrone. „Solltest du richtig raten?“

„Die gnädige Frau hat sich nicht geirrt“, sagte Henry. „Ich berührte auf meiner Reise nach Petersburg diese Gegend und erinnerte mich dabei der Heimat meines Freundes Gebhard von Königsau, welchen ich in Algerien kennengelernt habe.“

„In Algerien?“ fragte Hugo. „Herr de Lormelle, Sie bereiten uns da eine höchst angenehme Überraschung. Mein Sohn ist leider gegenwärtig von der Heimat abwesend, aber Sie sollen trotzdem in Ihrer Überzeugung, hier Freunde zu finden, nicht getäuscht werden. Ich heiße Sie nochmals, und zwar von ganzem Herzen willkommen.“

Er gab ihm die Hand zum zweiten Mal und fuhr dann fort:

„Sie lassen uns doch hoffen, daß Petersburg Sie nicht gar zu sehnlichst erwartet?“

„Ich reise allerdings nur zum Vergnügen“, antwortete Henry, „werde aber in der Stadt an der Newa bereits erwartet.“

„Oh, was das betrifft, so hat man jenseits der Grenze genügend gelernt, sich in Geduld zu üben. Eine kurze Ruhepause auf Breitenheim wird Ihnen wohl erlaubt sein. Nicht wahr, Richard?“

Diese letztere Frage war lächelnd an den Knaben gerichtet worden, welcher sein Schwesterchen abgeworfen hatte, um herbeizutreten und, die Hände auf den Rücken gelegt, mit komisch wirkender Kennermiene den Fremden zu betrachten.

„Es wird sich gleich finden, ob ich es ihm erlaube, lieber Großpapa“, antwortete der Knabe wichtig.

„So, so“, lachte der Großvater, und alle stimmten in sein Lachen ein.

Der kleine Richard aber blieb ernsthaft stehen und fragte:

„Sie haben meinen Papa gesehen, Monsieur?“

„Ja“, antwortete Henry, sich zu gleichem Ernst zwingend.

„Hat er Sie lieb gehabt?“

„Ja, und ich ihn auch, wie ich gern gestehen will.“

„Nun, das ist die Hauptsache, und so können Sie also hier bleiben.“

Gerade der gravitätische Ernst, mit welchem diese Worte ausgesprochen wurden, wirkte so Heiterkeit erregend, daß es gar nicht möglich war, an Worte wie ‚kindlich vorlaut‘ oder ‚von den Eltern verzogen‘ zu denken. Die ausdrücklich gegebene Genehmigung des Kindes, daß der Gast dableiben dürfe, bildete den Ausgangspunkt eines sehr animierenden Gespräches, an welchem alle gleichen Anteil nahmen. Das kleine Mädchen war in den Schoß der Mama geklettert; Richard aber hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und sich auf die unterste Stufe einer Treppenleiter gesetzt. Indem er dort eine Bildermappe durchstöberte, schien es, als ob er seine Aufmerksamkeit ganz allein auf diese richte, aber doch schweiften seine Augen häufig zu dem Gast hinüber und blieben an dem Gesicht desselben hängen. Niemand bemerkte dies, als der allein, dem diese Blicke galten.

Später wurden dem Franzosen zwei Zimmer angewiesen, wobei man ihn bat, sich zunächst von der unbequemen Fahrt auszuruhen. Als er sich dort allein und ungestört wußte, trat er an den Spiegel, um sein Ebenbild zu studieren.

Der Gast der Familie Königsau schien mit der Musterung seiner äußeren Erscheinung sehr zufrieden zu sein; denn ein siegesbewußtes Lächeln spielte um seine Lippen, als er sich vom Spiegel wandte.

„Hm!“ brummte er. „Ich finde gar nichts Auffälliges an mir. Ich bin vollständig überzeugt, bei allen einen recht guten Eindruck hervorgebracht zu haben, und da man sagt, daß der erste Eindruck maßgebend sei, so kann ich mit meinem hiesigen Debüt sehr zufrieden sein. Warum aber brachte dieser Knabe die Augen gar nicht von mir weg? Ist es wahr, was man sagt, daß das Ahnen des Kindes in der Beurteilung des Menschen glücklicher sei als oft der Scharfblick eines Menschenkenners? Der Junge scheint intelligent zu sein; er kann mich nicht leiden. In seiner Naivität erlaubte er mir nur aus dem Grund dazubleiben, weil sein Vater mich lieb gehabt habe. Es ist klar: Er hat eine Antipathie gegen mich, und da es Eltern gibt, welche gern auf sympathische Regungen ihrer Kinder achten, ja sogar nach diesen Regungen handeln, so ist der Junge das einzige Glied dieser Familie Königsau, welches Besorgnis einflößen könnte. Ich werde ihm mehr Aufmerksamkeit schenken müssen, als seinen Verwandten.“

Nach diesem Selbstgespräch begann er, es sich bequem zu machen; doch war die Einsamkeit, in welcher er sich befand, von keiner langen Dauer, denn er wurde bereits nach kurzer Zeit zum Mahl gebeten, welches man des Gastes wegen auf eine andere Stunde, als üblich, verlegt hatte. Er war Diener vornehmer Häuser gewesen und hatte sich als solcher genug Gewandtheit und Lebensanschauung angeeignet, um die Rolle eines Mannes der vornehmen Gesellschaft spielen zu können. Es gelang ihm auch, das Vertrauen der Familie zu gewinnen, mit alleiniger Ausnahme des Knaben, welcher sich den Liebkosungen und geschickt angebrachten Schmeicheleien gegenüber sehr abweisend verhielt.

Der Tag wurde im Familienkreis verbracht, da anzunehmen war, daß der Gast von der Reise ermüdet sei. Aber bereits am anderen Vormittag fragte Königsau ihn, ob es ihm angenehm sei, einen kleinen Ritt mitzumachen, da er im Begriff stehe, die Feldarbeit zu inspizieren. Natürlich schloß der Franzose sich ihm an. Er hoffte, daß während des Rittes das Gespräch auf das Thema kommen werde, welches bisher noch nicht berührt worden war, obgleich Henry sehr viel daran lag, den Gegenstand zur Sprache gebracht zu sehen.

Großvater Königsau erwies sich trotz seines Alters als ein noch sehr guter und sicherer Reiter. Der Franzose, welcher in dieser Kunst keine sehr große Übung besaß, hatte Mühe, mit ihm gleichen Schritt zu halten und eine Blamage zu vermeiden.

In einem kleinen Vorwerk wurde haltgemacht und ein Imbiß eingenommen. Im Verlauf des beinahe frugalen Dejeuners meinte Henry:

„In der Bewirtschaftung größerer Komplexe sind die Deutschen den Franzosen doch entschieden überlegen. Finden Sie das nicht auch, Herr von Königsau?“

Der Gefragte antwortete langsam und bedächtig: