Ihr zur Rechten und zur Linken standen zwei Wesen, welche von der dunkel gekleideten Gräfin sich hell und sympathisch hervorhoben. Die Rechte war jedenfalls Hedwig, die Unbezähmbare. In graue Seide gekleidet, glich sie einer Sylphide, welche darauf wartet, von Zeus zur Venus umgewandelt zu werden, bewegungslos stand sie da. Blitzende Augen, neckische Grübchen in Wangen und Kinn, ein spöttisches Mündchen und das leise zurückgeworfene Köpfchen gaben ihr etwas Kampfbereites, welches allerdings verführen konnte.
Ganz anders dagegen die Schwester. Obgleich ein Jahr jünger, war Ida doch mehr entwickelt als Hedwig. Ihre wohl gerundeten Glieder waren in rosa Seide gehüllt. Das Köpfchen senkte sich unter der Fülle des Haares. Sanfte, seelenvolle Augen, von langen Wimpern halb und züchtig verhüllt, zart rosig angehauchte Wangen, ein feines Kinn und volle schön gebogene Lippen bildeten mit der elfenbeinernen Stirn und den lieblich geschweiften Brauen ein Ganzes, welches auf Gebhard den Eindruck machte, als müsse er sogleich nahetreten, um die Hand des holden Wesens mit den Worten zu ergreifen: „Wie schön und gut bist du. Wer dich nicht liebt, der ist ein böser Mensch!“
Die vierte Person war einige Schritte seitwärts getreten, um unter dem Schutz des Halbdunkels Beobachtungen anzustellen, ohne selbst scharf beobachtet werden zu können. Graf Rallion, der ‚Neffe‘, war jedenfalls bereits dem dreißigsten Jahre nahe. Lang und hager gebaut, war auch sein Kopf aus der Breite in die Höhe gedrückt. Das schmale, scharfe Gesicht glich dem Kopf eines Raubvogels. Die Augen waren stechend, die Brauen buschig und an der Nasenwurzel zusammenstoßend; die Lippen waren schmal, und das Kinn machte über dem langen, dünnen, aus einer hohen Krawatte hervorschießenden Hals, wie es schien, eine Bewegung nach seitwärts, als erheische es der aristokratische Stolz seines Besitzers, sich nicht berühren zu lassen. Das war Graf Jules Rallion.
Vielleicht erinnert sich der freundliche Leser, daß im Jahre 1870 ein Graf Jules Rallion nach Ortry zu dem alten Kapitän Richemonte kam, um seinen Sohn mit der schönen Marion zu verheiraten, welche Doktor Müller, der verkleidete deutsche Offizier liebte. Und ebenso wird wohl noch erinnerlich sein, daß die sterbende Seiltänzerin damals, als sie vom Seil gestürzt war, dem braven Diener Fritz Schneeberg die Worte in das Ohr flüsterte: „General – Kunz von Goldberg – Vater – rauben lassen Graf – Jules Rallion – Cousin Hedwig – Bajazzo – bezahlt.“ Es schürzt sich hier eben der Knoten, von welchem die Fäden nach verschiedenen Richtungen auseinandergehen, um in dem angegebenen Jahr in Ortry zusammenzulaufen.
So spinnt das Leben seine wunderbaren Gewebe, und der schwache Mensch steht staunend vor der Weisheit des Schicksals, dessen tief und scharf berechnendes Walten eine jede irdische Tat mit untrüglicher Genauigkeit abzuwägen und mit wunderbarer Gerechtigkeit zu belohnen oder zu bestrafen weiß.
Die beiden Offiziere, welche hier allerdings in Zivil gekleidet gingen, verbeugten sich vor den Anwesenden, und Kunz von Goldberg sagte:
„Meine Damen und mein Herr, ich stütze mich auf die mir heute gewordene Erlaubnis, Ihnen meinen Freund, den Lieutenant Gebhard von Königsau, vorzustellen!“
Die Gräfin trat einen Schritt näher, betrachtete den Genannten mit kalten und scharfen Augen und antwortete:
„Ich heiße Sie willkommen, Lieutenant von Goldberg. Herr Lieutenant von Königsau, Sie sehen hier zwei Komtessen von Rallion, meine Nichten, und da den Grafen Jules de Rallion, meinen Neffen.“
Sie hatte also nur Kunz willkommen geheißen, nicht aber auch Gebhard. Dieser tat, als ob er diese Unhöflichkeit gar nicht bemerkt habe, verbeugte sich und antwortete im höflichsten Ton:
„Ergebensten Dank, gnädige Frau! Ich kam erst heute in Paris an; dieser erste Tag mußte meinem Freund gewidmet sein, und da er Ihnen den Abend zu widmen hatte, so sah ich mich leider gezwungen, mich ihm anzuschließen, wenn ich nicht auf seine Gesellschaft verzichten wollte.“
Das war natürlich mit anderen Worten gesagt: Ich komme nicht um Euretwillen, sondern meines Freundes wegen, Gebhard hatte also der Unhöflichkeit der Gräfin eine zweite entgegengesetzt, die aber in ein besseres Gewand gekleidet war als die ihrige.
Die Gräfin warf einen erstaunten Blick auf den jungen Menschen, welcher dieses wagte. Die Lider Idas hoben sich einen kurzen Augenblick empor, um einen warnenden Blick passieren zu lassen. Hedwig legte das Köpfchen sofort noch etwas weiter nach hinten und schnipste leise mir den rosigen Fingerchen; Graf Rallion ließ ein halblautes, indigniertes Hüsteln hören, und selbst Kunz von Goldberg konnte nicht umhin, dem Freund einen warnenden Blick zuzuwerfen.
„Setzen Sie sich!“ sagte die Gräfin kurz und scharf. Und als dies geschehen war, fuhr sie, zu Kunz gewendet fort: „Also, Monsieur, Ihr Freund wollte heute abend Ihnen gehören?“
„Allerdings“, antwortete der Gefragte gewandt; „aber nicht so ausschließlich, wie es die Herrschaften nach seinen Worten meinen könnten.“
„So mag es gelten“, erwiderte sie in einem ironischen Ton. „Vielleicht ist er des Französischen nicht so mächtig, als notwendig ist, sich präziser Ausdrücke zu bedienen.“
Der Graf nahm augenblicklich diese Gelegenheit wahr, seinem Ärger Luft zu machen, indem er meinte:
„Die Deutschen sprechen nie ein gutes Französisch. Und was haben sie für unbequeme Namen. Der Vorname des Lieutenants ist Gepar; wie sinnlos! Wie schwer auszusprechen.“
„Sie irren, Graf“, entgegnete Königsau. „Nicht Gepar, sondern Gebhard ist mein Name. Und wenn unsere deutschen Worte Ihnen so schwer fallen, so beweist dies nur, daß Sie des Deutschen nicht so mächtig sind, wie wir des Französischen. Ich muß nämlich auch die Frau Gräfin dahin berichtigen, daß ich des Französischen so vollständig Herr bin wie ein geborener Franzose, und daß ich auch in dieser Sprache gerade nur sage, was und wieviel ich will.“
Da war es gerade, als sei ein Stück der Decke eingefallen. Die Rallions blickten einander mit großen Augen an. Kunz stieß den kühnen Sprecher mit dem Fuß, und nur Ida ließ keinen Unwillen bemerken. Sie wußte, daß der Deutsche zuerst von ihrer Tante beleidigt worden sei und bewunderte den Mut und die Kaltblütigkeit, mit welchen er diesen gesellschaftlichen Fehler zurechtwies.
„Pah!“ schnarrte der Graf zornig. „Gebhard ist doch ein schlechter Name. Blücher hieß so.“
„Mich hat man so genannt, weil der Feldmarschall von Blücher der Freund meines Vaters und mein Pate war“, antwortete Königsau.
„Wie, Monsieur, Blücher war Ihr Pate?“ fragte der Graf.
„Ja, Monsieur.“
„Dann werde ich Ihnen raten, hier diesen Umstand zu verschweigen oder gar keine Pariser Gesellschaft zu besuchen, weil Blücher ein Ungeheuer war; er hat das schöne Frankreich unendlich unglücklich gemacht.“
„So meinen Sie wohl, daß Napoleon ein Engel war, der das häßliche Deutschland unendlich glücklich gemacht hat? Ehe Sie mir einen Rat geben, lernen Sie erst, Nationen und weltgeschichtliche Personen gerecht beurteilen. Ich bin hier mit ausgesuchter Unhöflichkeit empfangen worden, Herr Graf und Madame. So etwas könnte bei den Deutschen, welche Sie Barbaren nennen, niemals vorkommen. Meine Mutter ist eine geborene Pariserin: ich bin also Ihrer Nation, welche ich achte, nicht fremd und weiß ihre Fehler und Vorzüge genau zu beurteilen. Man hat mich bisher überall, wo ich eingeführt wurde, willkommen geheißen, nur hier bei Ihnen nicht, wo man sich im Gegenteil sogleich im ersten Augenblick über meinen Namen und mein Französisch, welches doch dem Ihrigen vollständig ebenbürtig ist, mokierte. Ich reise von hier nach der Sahara und bin überzeugt, daß der wilde Tuba oder Tuareg, in dessen Zelt ich trete, mir sein ‚Habakek îa Sihdi, sei willkommen, o Herr‘, zurufen wird. Wünschen Sie, daß ich diesen räuberischen Nomaden erzählen soll, daß in Paris, der großen Metropole der Zivilisation, diese schöne Sitte noch nicht herrsche, oder daß selbst hochgräfliche Personen Frankreichs es darauf anfangen, von einem bildungslosen Kamelhirten an Höflichkeit übertroffen zu werden?“