„Gut, daß du das einsiehst. Das sind Vorteile, welche man nicht genug berücksichtigen kann.“
„Wo aber treffe ich Sie dann später?“
„Es ist gar nicht nötig, dir einen Ort dazu anzugeben.“
„Ah! Wieso?“
„Graf Rallion kauft diesem Smirnoff alles ab und tritt sodann als Besitzer auf. Du brauchst also gar nicht nach ihm und mir zu suchen. Verstanden?“
„Das ist nun allerdings zu verstehen.“
„Gut also. Wann bringst du das Geld herunter?“
„Das kann ich jetzt unmöglich wissen. Ich muß den geeigneten Augenblick abwarten.“
„Wo ist der Koffer?“
„Im Zimmer des Alten.“
„Die Nachschlüssel hast du jedenfalls probiert?“
„Ja, sie passen. Aber sehen Sie da oben die beiden erleuchteten Eckfenster?“
„Ich sehe sie. Was ist mit ihnen?“
„Das ist das Zimmer des Alten. Die Kinder sind mit der Gouvernante darin, und ich muß warten, bis sie fort sind.“
Das war eine Lüge. Das Zimmer Hugos lag auf der anderen Seite der Vorderfront.
„Das ist unangenehm“, meinte der Kapitän. „Ich werde wohl lange warten müssen.“
„Hoffentlich nicht so sehr lange. Übrigens wenn es sich um eine solche Summe handelt, so ist es nicht zu viel verlangt, sich ein wenig in Geduld zu fassen.“
„Predige keine Moral, Spitzbube, sondern gehe jetzt. Ich lege mich hier in das Gras und bin bei deiner Geschicklichkeit überzeugt, daß alles gelingen wird. Gib dir Mühe.“
„Das versteht sich von selbst.“
Henry ging. Der Kapitän streckte sich auf den Boden nieder und vertrieb sich die Langeweile, welche allerdings nicht ohne Spannung war, damit, daß er an seinem Schnurrbart herumkaute.
„Ein dummer Kerl, dieser Henry!“ dachte er. „Er ahnt gar nicht, daß er von dem Geld nicht einen Heller erhalten wird. Er muß froh sein, unerwischt davonzukommen. Habe ich erst den Koffer, so hat er auch etwas, nämlich das Nachsehen. Und diese guten Königsaus sind dann ruiniert fürs ganze Leben. Da oben befindet sich meine liebe, gute Schwester Margot, die letzte Liebe Napoleons. Wenn sie wüßte, daß ich hier unten liege und auf ihr Geld lauere! Ihre Verwandten wissen nichts davon, aber ich habe doch erfahren, daß ihr Arzt von einem Leiden gesprochen hat, welches innerlich an ihr zehrt. Kommt der Schreck über den Verlust des ganzen Vermögens hinzu, so ist es leicht möglich, daß sie den Tod davon trägt. Darüber wollte ich mich freuen! Das wäre eine Rache, wie ich sie mir besser und leichter gar nicht wünschen könnte. Ich würde sogar noch fürstlich dafür bezahlt sein!“
Und Henry, welcher betrogen werden sollte, schlich sich vorsichtig nach dem Schloß zurück und lachte:
„Der alte Schlaukopf will mich betrügen; aber das soll ihm nicht gelingen. Wie würde er lachen, wenn er das Geld hätte und mir nichts davon zu geben brauchte. Ich könnte kein Wort dagegen sagen, denn ich bin der Dieb, der Einbrecher, und würde nur mich selbst in Strafe bringen. Dieser alte Kapitän weiß gut zu rechnen; aber dieses Mal soll er sich doch getäuscht haben.“
Er gelangte in sein Zimmer zurück und zog ein Fläschchen hervor, um die beiden Nachschlüssel einzuölen. Dabei schritt er nachdenklich in der Stube auf und ab. Plötzlich flog ein lustiges Lächeln über sein Gesicht.
„Donnerwetter“, murmelte er; „da kommt mir ein famoser Gedanke! Ja, der wird ausgeführt! Alle Teufel! Ich möchte das Gesicht des Alten sehen, wenn er den Koffer öffnet und den Zettel zu sehen bekommt!“
Er setzte sich an den Tisch, nahm ein Stück Papier und schrieb mit Tinte in großer Schrift darauf:
„Seinem lieben Freund und Kollegen Richemonte zum Andenken an den lieben Schatz, nach welchem ihm umsonst der Mund gewässert hat.
Henry de Lormelle.“
Nachdem die Schrift getrocknet war, legte er das Blatt zusammen und steckte es zu sich. Dann begab er sich nach dem Speisesaal, wo man ihn nicht vermißt zu haben schien. Hier blieb er eine ganze Weile, bis er die Überzeugung hegen durfte, daß jetzt niemand den Saal verlassen werde. Dann kehrte er in sein Zimmer zurück und nahm eine sehr lange und feste Schnur und das Köfferchen. Dann steckte er alles zu sich, was beim Auffinden ihm hätte schädlich werden können, und verließ das Zimmer. Er schloß die Tür zu und steckte den Schlüssel ein.
Auf dieser Seite des Korridors war alles still und ruhig. Der Speisesaal lag auf der anderen Seite des Hauses.
Rasch und unhörbar huschte er bis an die Tür, welche in das Zimmer Königsaus führte. Ein leises Klirren, und sie war geöffnet. Er trat ein und riegelte hinter sich zu. Er war auf diese Weise sicher, daß er nicht erwischt werden könne. Selbst wenn jemand kam, konnte er die Flucht durch das offene Fenster ergreifen.
Es brannte kein Licht in dem Raum. Ein Streichholz flackerte in seinen Fingern auf. Beim Schein desselben bemerkte er, daß der gesuchte Koffer nicht zu sehen war und also eingeschlossen sein mußte. Er zog den zweiten Schlüssel hervor und öffnete mit demselben den bewußten Schrank. Richtig, er fühlte den gesuchten Gegenstand mit der Hand und nahm ihn heraus. Er stellte dafür den mitgebrachten kleinen Koffer hinein, welcher von derselben Schwere war. Dann verschloß er den Schrank wieder.
Nun entrollte er die mitgebrachte Leine, band den gestohlenen Koffer daran und ließ ihn zum Fenster hinab. Er hatte sich am Tag genau orientiert und wußte, daß derselbe auf diese Weise hinter ein kleines Nachtschattengesträuch zu liegen komme. Es war so finster, daß selbst jemand, der sich nicht in ganz unmittelbarer Nähe befand, nichts bemerkt hätte.
Jetzt zog er den Türriegel wieder zurück. Ein Blick durch die nur einen Spalt breite Türöffnung belehrte ihn, daß niemand zugegen sei, und so trat er heraus auf den Korridor, schloß zu, steckte den Schlüssel ein und begab sich hinab vor das Fenster.
Der Raub war gelungen. Der Schlüssel steckte im Köfferchen. Er trug denselben nach dem hintersten Teil des Gartens, öffnete ihn, nahm den Inhalt heraus und versteckte ihn sorgfältig in die Ecke der Mauer. Dort lagen mehrere Steine, welche von schadhaften Stellen derselben gefallen waren. Mit diesen und mit herumliegendem Laub füllte er den Koffer, tat den Zettel dazu, welchen er geschrieben hatte, und verschloß ihn dann.
Erst nun trug er ihn nach dem entgegengesetzten Teil des Gartens, wo unter der Kastanie der Kapitän auf ihn wartete. Dieser hörte ihn kommen und zog sich hinter den Stamm des Baums zurück. Der Nahende konnte ja auch ein anderer sein.
„Pst!“ machte Henry.
Der Alte regte sich nicht.
„Pst, Herr Kapitän!“
„Wer ist da?“ fragte dieser leise.
„Ich, Henry!“
„Ah“, atmete Richemonte erleichtert auf. „Nun? Gelungen?“
„Ja.“
„Wo ist das Geld?“
„Hier habe ich es!“
„Zeig her.“
Henry gab ihm den Koffer in die Hände. Als der Kapitän denselben fühlte, mußte er sich Mühe geben, nicht laut aufzujubeln.
„Donner!“ meinte er. „Also wirklich gelungen!“
„Wirklich und vollständig.“
„Hat niemand etwas bemerkt?“
„Kein Mensch. Aber, Herr Kapitän, ich werde das Versprochene doch auch wirklich erhalten?“
„Natürlich! Oder traust du mir etwa nicht?“
„Warum sollte ich Ihnen nicht trauen? Es war nur so ein Gedanke, welcher mir plötzlich kam. Aber ich wünschte doch, ich könnte, da Sie so viel in den Händen haben, wenigstens einen kleinen Abschlag auch in meine Hand bekommen. Mein Geld ist fast alle; wer weiß, was passiert, und es wird immerhin einige Zeit vergehen, ehe ich zu Graf Rallion kommen kann.“
Der Kapitän fühlte ausnahmsweise auch einmal ein leichtes menschliches Rühren. Er wähnte sich im Besitz des Reichtums; es war, als sei eine Art von Rausch über ihn gekommen, und im Eindruck desselben griff er in die Tasche, zog seine Börse hervor, gab sie Henry und sagte: