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Er blickte den Kapitän wie ratlos an. Dieser meinte:

„Das ist sehr deutlich. Oder verstehen Sie es vielleicht nicht?“

„Verstehen? Ah, der Schurke wird uns doch nicht betrogen haben!“

„Was sonst? Was anders? Da, lassen Sie uns einmal nachsehen!“

Sie besahen sich den Inhalt des Koffers; sie durchwühlten den letzteren und warfen alles heraus.

„Alle Teufel! Steine und Laub!“ rief der Graf.

„Laub und Steine!“ wiederholte der Kapitän im grimmigsten Ton.

„Er hat uns betrogen!“

„Betrogen und bestohlen! Aber ich werde den Schurken suchen; ich werde ihn ganz sicher finden und zermalmen!“

Sein Gesicht nahm einen schrecklichen Ausdruck an; sein Schnurrbart ging in die Höhe und ließ die langen gelben Zähne sehen.

„Oder handelt er im Einverständnisse mit Königsau?“ bemerkte Graf Rallion.

Richemonte fühlte sich von diesem Gedanken betroffen.

„Donner!“ meinte er. „Auch das ist möglich.“

„Vielleicht hat er geahnt und erraten, daß er nichts bekommen sollte, und Königsau alles mitgeteilt.“

„Das ist mir doch nicht sehr wahrscheinlich. Er hätte sich ja als Spitzbuben hinstellen müssen.“

„Das ist richtig!“

„Ja, er hat uns betrogen; er hat das Geld an sich genommen und uns diese Steine dafür gegeben.“

„Mineralproben!“ meinte der Graf mit einem bösen Fluch.

„Brechen wir auf! Kehren wir sofort zurück, um ihn zu fangen.“

„Pah! Wir bekommen ihn doch nicht! Er wird schon längst über alle Berge sein.“

„Aber ich suche seine Spur! Ich finde sie und bringe ihn zur Anzeige. Ich werde der Polizei melden, daß er der Dieb ist!“

Der Kapitän ließ sich von seinem Grimm hinreißen. Der Graf zeigte sich besonnener. Er entgegnete:

„Damit würden wir nur uns selbst schaden. Nimmt man ihn gefangen, so wird er alles gestehen, und es geht dann uns ebenso wie ihm an den Kragen!“

„Wir bestreiten alles! Er ist ein Lügner!“

„Man wird ihm dennoch glauben. Das klügste ist, daß wir heimlich nach ihm forschen. Meine Geschäfte hier sind abgemacht. Ich habe den Kauf in den Händen. Vernichten wir den Koffer und stecken ihn hier in den Ofen, um ihn zu verbrennen. Dann brechen wir auf. Die Güter sind mein; die Rache an Königsau ist gelungen; nur das ist verloren, was wir zu viel bezahlt haben. Und wenn wir es klug anfangen, wird es uns vielleicht doch gelingen, dieses Schurken habhaft zu werden und ihm seinen Raub wieder abzujagen.“

Die beiden Männer erkannten, daß sie betrogen worden seien und in dem ehemaligen Diener ihren Meister gefunden hatten. Die Gier nach Rache überstieg noch den Grimm über den Betrug, welcher an ihnen verübt worden war. Sie verbrannten den Koffer und saßen einige Stunden später im Bahnwagen, um den gegen Königsau gerichteten Schlag auszuführen und zugleich nach den Spuren dessen zu suchen, der sie um ihren Raub gebracht hatte. – – –

Was Königsau betrifft, so hatte er am Morgen nach dem Kauf Smirnoff und Samuel Cohn abfahren lassen, ohne eine Ahnung von dem schweren Verlust zu haben, welcher ihn betroffen hatte. Erst als beim Frühstück der Gerichtsamtmann, welcher die aktuelle Handlung geleitet hatte, die Bemerkung machte, daß vorsichtigermaßen ein Verzeichnis der Nummern der Staatspapiere anzulegen sei, öffnete er den Schrank und nahm den Koffer hervor.

Der Schlüssel fehlte. Das fiel ihm auf, denn er wußte ganz genau, daß er denselben stecken gelassen hatte. Da er ihn trotz alles Suchens nicht fand, so wurde ihm ängstlich zumute. Er ließ die noch anwesenden Herren rufen und teilte ihnen die beunruhigende Entdeckung mit, welche er gemacht hatte.

Es wurde beschlossen, gar nicht erst auf die Ankunft eines Schlossers zu warten, sondern den Koffer sofort aufzubrechen. Das geschah. Der Schreck und die Aufregung, welche sich nun aller bemächtigte, ist gar nicht zu beschreiben. Der Amtmann gab den Befehl, daß kein Mensch, welcher sich auf dem Schloß befinde, dasselbe ohne Erlaubnis verlassen dürfe. Ein sicherer Bote wurde nach der Polizei geschickt, und dann begann eine allgemeine Aussuchung. Die gestohlene Summe war so bedeutend, daß an eine Schonung der Gefühle des einzelnen gar nicht gedacht werden konnte. Diesem Schlag folgte ein zweiter, noch größerer.

Frau Margot hatte sich in ihrem Zimmer befunden, als die schlimme Entdeckung gemacht wurde. Sie war schon längere Zeit unfähig, allein zu gehen. Jetzt hörte sie ein Rennen und Rufen, ein Klagen und Fragen. Sie klingelte, sie rief nach Dienerschaft, aber vergeblich. Jetzt bemächtigte sich ihrer eine ungewöhnliche Angst, und diese Angst nahm zu, je lauter der Lärm wurde, und je weniger man sich um sie bekümmerte.

Sie versuchte, sich von ihrem Stuhl zu erheben. Es gelang ihr, aber unter großen Schmerzen. Sie griff sich an der Wand und an den Möbeln hin bis an die Tür, öffnete dieselbe und schob sich hinaus. Einer der Diener kam gerannt und wollte vorüber, ohne sie zu beachten.

„Wilhelm! Wilhelm!“ rief sie. „Was gibt's? Was ist geschehen?“

Erst jetzt bemerkte er sie.

„O Gott, gnädige Frau“, rief er ganz außer sich; „man hat eingebrochen; man hat Sie bestohlen, fürchterlich bestohlen!“

„Eingebrochen? Uns bestohlen? O Gott, was ist es denn, was man gestohlen hat?“

„Alles! Alles! Das ganze Vermögen!“

Es war ihr, als ob sie einen Keulenschlag auf den Kopf erhielte.

„Das ganze Vermögen?“ ächzte sie. „Wieso?“

„Das Kaufgeld, die ganze Kaufsumme, aus dem Koffer, in welchem sie verschlossen war.“

„O – Gott – Gott – Gott – ver – verkauft – ver – verloren – meine – Ah – Ah-Ahn-!“

‚Ahnung!‘ wollte sie sagen, aber sie vermochte nicht, das Wort vollständig auszusprechen; sie brach zusammen.

Der Diener rannte zu Königsau, welcher rat- und fast gedankenlos unter den Seinen stand.

„Gnädiger Herr“, rief er. „Schnell, schnell! Die gnädige Frau ist in Ohnmacht gefallen!“

Alles eilte mit ihm fort; aber Hugo vermochte nicht, ihm zu folgen. Hätten ihn nicht zwei ergriffen und gehalten, so wäre er zu Boden gesunken. Auf diese gestützt, vermochte er erst nach einiger Zeit fortzuwanken, um nach seiner Frau zu sehen. Man hatte sie auf das Ruhebett gebracht; sie schien tot zu sein; ihre Augen waren starr und offen, und vor ihrem Mund stand ein bräunlicher Schaum. Er brach mit einem lauten Aufschrei neben ihr zusammen.

Der Amtmann schickte sofort einen reitenden Boten nach dem Arzt. Als dieser kam, untersuchte er die beiden und erklärte, daß Frau Margot vom Schlag getroffen sei und nur noch einige Tage, vielleicht nur Stunden zu leben habe, bei Herrn Hugo aber sei ein hitziges Fieber im Anzug, welches sein Leben in die größte Gefahr bringen könne; nur die sorgsamste Pflege werde ihn zu retten vermögen.

In diesem Jammer zeigte es sich, was ein zartes Frauenherz vermag, wenn die Wolken des Unglücks sich zu entladen beginnen. Ida, die Schwiegertochter der beiden Kranken, hatte von dem Augenblick an, in welchem sie die Kunde von dem Unglück vernommen kaum ein Wort gesprochen. Ihr ganzes Wesen schien in Tränen erstarrt zu sein, und doch war sie die einzige, welche Ruhe und Fassung zeigte und durch entschiedene Winke erklärte, daß sie die Sorge um die Eltern nur allein auf sich nehme und einem jeden anderen verbiete, sich ihnen zu nahen.

In all diesem Jammer und Wehklagen, in diesem Schreck und dieser Angst war es keinem Menschen eingefallen, an den französischen Gast zu denken. Nur einer dachte an ihn, und der war – ein Kind.

Der kleine Richard hatte noch in seinem Bettchen gelegen, als sich das Rennen und Rufen erhob. Er war neugierig aufgestanden, hatte die Tür geöffnet und blickte auf das Durcheinander hin und her rennender Menschen, ohne zu wissen, was er davon halten solle. Da aber kam einer weinend den Seitenkorridor hervor, einer, von welchem er wußte, daß dieser mit ihm sprechen werde. Es war der alte Kutscher Florian, welcher, vom Schreck auch fast gelähmt, herbeigewankt kam in der Haltung eines Menschen, welcher Mühe hat, seine Gedanken in Ordnung zu halten.