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„Florian, Florian!“ rief der Knabe. „Komm her, Florian! Warum eilen diese Leute so?“

Der Alte trat herbei, nahm den Kopf des Knaben zwischen seine Hände, beugte sich nieder, küßte ihn auf das weiche Haar und antwortete weinend:

„Richard, lieber Richard, es ist dir ein großes, sehr großes Unglück geschehen! Die Großmama und der Großpapa –“

Er hielt inne; besann sich, ob es denn auch klug und erlaubt sei, dem Kleinen alles zu sagen.

„Der Großpapa und die Großmama?“ fragte Richard. „Was ist mit ihnen, lieber Florian?“

„Nichts, o nichts! Sie schlafen. Aber man hat ihnen Geld gestohlen, viel Geld, alles Geld!“

Da richtet der Kleine die klugen Augen auf den Sprecher und fragte:

„Deshalb weinst du wohl, Florian?“

„Ja.“

„Man wird das viele Geld wieder bringen müssen!“

„O nein; der Dieb wird es behalten.“

„Wer ist der Dieb?“

„Wir wissen es nicht, aber wir suchen ihn.“

„Wo hat sich das Geld befunden?“

„In dem Zimmer deines Großpapas.“

Da schlug der Kleine vor Freude jauchzend die Hände zusammen und rief aus:

„Oh, Florian, dann weiß ich, wer der Dieb ist!“

Der alte Kutscher glaubte, daß es sich hier auch, wie so oft, um einen kindlichen Einfall handle, und antwortete:

„Das wirst du wohl nicht wissen, Richard!“

„Gerade weiß ich es! Ich weiß es sehr genau!“

„Nun, wer ist es?“

„Herr de Lormelle.“

„Um Gottes willen!“ rief Florian. „Laß das ja niemand hören!“

„Warum denn nicht?“

„Weil der Herr de Lormelle ein vornehmer Herr ist und ein Freund deines guten Papas, aber kein Dieb!“

„Er ist ein vornehmer Herr, aber ich habe ihn nicht lieb. Er ist gestern abend ganz allein im Zimmer des Großpapas gewesen.“

Jetzt wurde der Diener aufmerksam.

„Hast du das gesehen?“ fragte er.

„Ja.“

„Wann war es?“

„Als die vielen Herren im Saal speisten und ich schlafen gehen mußte.“

„So ist er mit dem Großpapa im Zimmer gewesen.“

„Nein. Großpapa war mit den Herren im Saal. Ich konnte nicht schlafen; ich war so allein, denn mein Schwesterchen schlief. Ich wollte auch mitspeisen im Saal, und da stand ich auf und wollte dich rufen. Du solltest mich ankleiden. Aber als ich die Tür öffnete, da sah ich Herrn de Lormelle kommen. Er trat so leise auf, als ob er mich fangen wolle, und da zog ich die Tür heran und ließ nur ein ganz, ganz kleines Lückchen.“

Der alte Diener lauschte beinahe atemlos.

„Und was sahst du da?“

„Ich sah, daß er einen Schlüssel aus der Tasche nahm und Großpapas Tür aufschloß; er trat ein und kam erst nach langer, langer Zeit wieder heraus.“

„Hatte er etwas in der Hand.“

„Nein, lieber Florian; ich habe nichts gesehen.“

„Merkwürdig, sehr merkwürdig! Würdest du das auch anderen so erzählen, wie du es mir erzählt hast?“

„Wem denn?“

„Dem Onkel Kunz.“

„Ja, dem werde ich es erzählen.“

„Auch wenn der Herr Gerichtsamtmann dabei ist, lieber Richard?“

„Auch dann.“

„So warte einmal. Ich werde die beiden sogleich holen.“

Er ging und brachte Kunz von Goldberg nebst dem Amtmann herbei, denen der Knabe seine Entdeckung in kindlich stolzer Weise mitteilte. Der Jurist folgte der Erzählung mit aller Aufmerksamkeit und fragte dann Herrn von Goldberg:

„Haben Sie diesen Herrn de Lormelle heute bereits gesehen?“

„Nein. Ich denke erst jetzt an ihn.“

„Ich ebenso. Merkwürdig ist es, daß er sich bei diesem Lärm noch nicht hat sehen lassen. Gehen wir nach seinem Zimmer.“

Dort angekommen, fand man dasselbe verschlossen. Das war im höchsten Grad auffällig. Als auch auf wiederholtes Klopfen nicht geöffnet wurde, befahl der Amtmann, die Tür aufzubrechen. Dies geschah, und als man nun eintrat, fand man das Bett noch unberührt. Der Franzose mußte sich durch das Fenster entfernt haben, denn die Tür war von innen verschlossen gewesen. Das Fenster stand offen, und als man hinabblickte, bemerkte man die Leine, welche unten lag.

Nun wurden zunächst die Habseligkeiten des Verdächtigen untersucht. Sein Koffer stand offen. Er enthielt etwas Wäsche und einige Kleidungsstücke, die aber weiter keinen Anhalt boten. Aber zwischen dem Koffer und der Wand lag – ein Bund falscher Schlüssel. Henry hatte vergessen, gerade die Hauptsache mitzunehmen.

„Er ist der Dieb“, rief der Amtmann. „Diese Nachschlüssel erklären alles. Er hat mit einem derselben das Zimmer Herrn von Königsaus geöffnet und dann auch den Schrank, in welchem sich das Geld befand. Er hat das Köfferchen gerade so gut öffnen können wie der Besitzer, da dieser letztere den Schlüssel stecken ließ. Mit dem Geld in den Taschen hat er sich dann entfernt. Ich werde sofort seine Verfolgung veranlassen.“

Die Kombinationen des Beamten waren nicht vollständig richtig, aber der Schuldige war doch entdeckt. Es wurden schleunigst alle möglichen Maßregeln ergriffen, seiner habhaft zu werden, doch vergeblich. Er war und blieb für jetzt und lange Zeit verschollen.

Die Vorhersage des Arztes ging in Erfüllung; Hugo von Königsau wurde von einem hochgradigen, hitzigen Fieber ergriffen, währenddessen er nur von Gutsverkäufen, Einbrechern und Kriegskassen phantasierte. Bei seinem hohen Alter war wenig Hoffnung vorhanden, ihn genesen zu sehen. Frau Margot starb am vierten Tag, ohne wieder in den Besitz der Sinne gekommen zu sein. Es waren in dem Haus langjährigen Glücks tiefe Trauer und großer Jammer eingekehrt; Armut, Krankheit und Tod hatten jählings ihren Einzug gehalten, und keiner machte sich solche Vorwürfe wie Kunz von Goldberg, welcher sich einbildete, daß aus dem Verkauf nichts geworden wäre, wenn er sich nicht so warm dafür erklärt hätte.

Man hatte natürlich sofort an Gebhard telegraphiert, und die Antwort lautete, daß er schleunigst kommen werde, er kenne keinen Freund namens de Lormelle. Goldberg ließ sich Urlaub geben, um der verwaisten Familie Helfer sein zu können. Auch Hedwig, seine Frau, rief er herbei.

Aber ehe beide eintrafen, nämlich Hedwig und der Urlaub, stellten sich zwei andere ein. Am fünften Tag nach dem Unglücksfall meldete ein Diener Kunz von Goldberg, daß zwei Fremde angekommen seien, welche mit Herrn Hugo von Königsau zu sprechen verlangt hätten.

„Du sagtest doch, daß dieser krank sei und unfähig, jemand zu empfangen?“

„Allerdings. Darum wünschten sie, bei Ihnen eintreten zu dürfen.“

„Ihre Namen?“

„Sie wollten dieselben Ihnen selbst sagen.“

„Eigentümlich! Aber führe sie zu mir.“

Nach einigen Augenblicken traten die Angemeldeten ein. Kaum hatte Kunz einen Blick auf sie geworfen, so sprang er von seinem Stuhl auf. Nicht Rallion rief seine Aufmerksamkeit hervor, sondern Richemonte, dessen Antlitz er mit seinem Blick durchbohren zu wollen schien. Wer dieses Gesicht einmal gesehen hatte, der war nicht imstande, es wieder zu vergessen. Und er hatte es gesehen, drüben in Afrika, kurz nach der Löwenjagd.

Die beiden verbeugten sich, aber auf eine Weise, welche die Absicht erkennen ließ, das gerade Gegenteil von Höflichkeit erkennen zu lassen.

„Sie sind Herr von Goldberg?“ fragte Rallion.

„Wie Sie wissen!“ antwortete Kunz. „Sie kommen jedenfalls, um mir Ihr Verschwinden aus dem Postwagen zu erklären.“

„Oh, ich werde Ihnen noch ganz andere Sachen zu erklären haben.“

„Vielleicht werden Sie mir endlich auch Satisfaktion geben wollen!“ meinte Kunz in verächtlichem Ton.

„Gewiß! Das ist ja gerade der Grund meiner Anwesenheit. Ich komme nämlich, um Ihnen mitzuteilen –“