Выбрать главу

„O bitte, bitte!“ unterbrach ihn Kunz. „Wollen Sie mir nicht vorher den anderen Herrn vorstellen?“

„Eigentlich wollte ich dies erst später tun, doch kann ich Ihnen den Namen meines Freundes sagen: Herr Kapitän Albin Richemonte.“

Goldberg fühlte sich einen Augenblick lang nicht imstande, sich zu bewegen oder einen Laut von sich zu geben; aber er war ein vollendeter Charakter und beim Militär so gut geschult, daß er seine Züge zu beherrschen verstand. Also das war der Mensch, welcher der Teufel der Familie Königsau genannt werden mußte.

Im Gesicht Goldbergs zuckte keine Miene. Sein Auge ruhte mit einem starren, fast totem Ausdruck auf dem Kapitän; nach einigen Minuten aber meinte er zu Rallion:

„Fahren Sie jetzt fort.“

„Das wird sofort geschehen. Herr von Königsau hat seine bisherigen Besitzungen an den Grafen von Smirnoff verkauft?“

„Ja.“

„Unter der Bedingung, diese Besitzungen mit seinem Privateigentum binnen eines Monats, vom Tag des Kaufabschlusses an gerechnet, zu verlassen?“

„Ja.“

„Nun, so teile ich Ihnen mit, daß ich in alle Rechte des Grafen Smirnoff getreten bin. Ich habe ihm die beiden Güter abgekauft.“

Zwischen Goldbergs Zähnen drang ein zischendes Pfeifen hervor, der einzige Laut, welchen er während einer ganzen Weile hören ließ. Tausend Gedanken und Vermutungen kreuzten sich in seinem Kopf.

„Ich hoffe, daß Sie gehört haben, was ich soeben sagte“, meinte Rallion.

Goldberg nickte leise und antwortete sodann:

„Ich habe Sie sehr wohl verstanden. Ich glaube sogar, daß Sie mir mehr, viel mehr mitgeteilt haben, als was Sie bezweckten. Ich ersuche Sie, mir in das Nebenzimmer zu folgen.“

Er stieß eine Tür auf und ließ die beiden vorangehen. Sie blieben wie gebannt am Eingang stehen. Das Gemach, in welchem sie sich befanden, war mit schwarzem Tuch ausgeschlagen; kein Tisch, kein Stuhl, kein Möbel war vorhanden. In der Mitte des Raums aber erhob sich ein imposantes Castrum doloris, ein mit schwarzem Krepp und Samt drapierter Katafalk, an dessen Seiten auf hohen Leuchten eigenartig duftende Walratskerzen brannten. Die Fenster waren verhangen, und das Licht der Kerzen fiel auf einen Sarg, welcher die Blicke der beiden Eingetretenen magnetisch auf sich zog. In demselben lag Margot, die einstige Liebe eines Kaisers, in helles, schimmerndes Weiß gekleidet. Der schöne Mund war scharf geschlossen, das herrliche Auge gebrochen, die gerundete Wange eingefallen. Auf der einst so elfenbeinernen Stirn spielten gelbgraue Töne, und das Grau des einst so herrlich blauschwarzen Haars hatte seinen Glanz verloren.

Niemand schien bei der Leiche zu sein, aber unten am Katafalk hatte ein vom vielen Weinen bleicher und matter Knabe gesessen und immerfort geschluchzt:

„Großmama, meine liebe, traute Großmama!“ Aber als sich die Tür geöffnet, da hatte er sich in die tiefen Falten des Samts versteckt.

Kunz von Goldberg stieg die Stufen empor und deutete mit der Rechten auf die Tote.

„Kennen Sie diese hier?“ fragte er mit tiefer Stimme, welcher man nicht abnehmen konnte, ob sie vor Rührung oder vor Gram zitterte. „Ich sagte vorhin, daß Sie mir mehr mitgeteilt haben, als Sie eigentlich beabsichtigten. Sie haben mir eingestanden, daß Sie das Eigentum dieser Hingemordeten durch einen Dritten kauften und den Kaufpreis durch einen Vierten rauben ließen, um ein Werk entsetzlicher Rache auszuüben. Die Hingegangene ist ein Opfer dieser Rache geworden, und auch der, mit welchem sie im Leben verbunden war, ringt mit dem Tod. Ich lege meine Hand auf das erstarrte Herz der Toten und schwöre bei Gott und bei allen Mächten seines Himmels, daß ich nicht ruhen und rasten werde, bis eure Taten an das Licht gebracht sind und ihren Lohn gefunden haben. Graf Rallion, feiger Mörder, wagen Sie es, Ihrem Opfer in das Angesicht zu blicken? Kapitän Richemonte, fühlen Sie beim Anblick Ihrer Schwester nicht den Brand einer Hölle in Ihrem Herzen? Nein, Sie sind ein Teufel und haben diesen Brand nicht zu fürchten. Aber es wird der Tag kommen, an welchem wir im Namen der ewigen Gerechtigkeit mit Ihnen abrechnen, und dann wird sich kein Engel finden, der um Erbarmen für Sie bittet. Gehen Sie, gehen Sie! Es ist hier nicht Raum für Sie und die Leiche dieser Reinen, deren Mörder Sie sind.“

Er zeigte mit der Linken nach der Tür. Rallion fühlte ein unendliches Grauen in allen seinen Gliedern und wendete sich zum Gehen. Richemonte aber faßte ihn am Arm.

„Warten Sie!“ sagte er zu ihm.

Dann ging er langsam näher, stieg die Stufen empor, trat ganz nahe zum Sarge hin und nahm die Leiche mit einem kalt musternden Blicke in Augenschein. Es zeigte sich in seinem Gesicht nicht die mindeste Spur einer Gefühlsregung. Dieser Mensch schien da, wo bei anderen das Herz klopft, welches man ja als Sitz der Empfindungen zu bezeichnen pflegt, eine leere Stelle zu haben. Er hatte die Tote, welche seine Schwester gewesen war, verfolgt, so lange er sie kannte. Und nun sie als Leiche vor ihm lag, war bei ihm von Reue nicht die Rede. Er hatte kein Gewissen.

Nachdem er sie betrachtet hatte, wie man eine Wachsfigur in Augenschein nimmt, wandte er sich ruhig ab, zuckte die Achsel und sagte:

„Sie ist nicht zu bedauern. Sie hat trotz aller Mühe, welche ich mir mit ihr gegeben habe, nie erkannt, was zu ihrem Besten dient. Ich habe es nicht glauben wollen, aber es gibt wirklich Menschen, welche alles wollen, alles, nur ihr eigenes Glück nicht.“

Das war eine Frechheit sondergleichen. Goldberg fühlte sich im tiefsten Inneren darüber empört.

„Schurke!“ stieß er zornig hervor.

Richemonte wendete sich an ihn und fragte:

„Meinen Sie etwa mich, Monsieur?“

„Ja, Sie! Keinen anderen.“

„Sie sind nicht zurechnungsfähig.“

„Und Sie würde ich niederschlagen und dann aus dem Haus werfen lassen, wenn mich nicht ehrfurchtsvolle Scheu vor dieser Toten abhielt, jetzt so etwas zu tun.“

Da ermannte sich auch Rallion wieder.

„Herr von Goldberg“, sagte er, „nehmen Sie sich in acht, daß nicht Sie es sind, welcher hier aus dem Haus geworfen wird!“

„Feigling!“

Dies war das einzige Wort, mit welchem Goldberg antwortete:

„Feigling?“ meinte Rallion. „Es hat ein jeder Mensch seine eigene Manier, zu kämpfen. Während andere im Kugelregen fechten, tut der Minierer seine Pflicht unter der Erde, und er ist nicht weniger mutig als die ersteren. Gebhard von Königsau war einst so toll, mich zu fordern. Ich habe diese Aufforderung angenommen, aber ich verzichtete darauf, mit Waffen zu kämpfen, welche ihm als Offizier geläufiger waren als mir. Die Partie wäre ungleich gewesen, und die Entscheidung würde eine ungerechte geworden sein. Ich habe nach anderen Waffen gegriffen; ich habe mit ihnen nicht um das Leben, sondern um seine Existenz gekämpft, und Sie sehen jetzt, daß ich Sieger bin.“

Da trat Goldberg rasch einen Schritt vor und rief:

„Ah, damit geben Sie zu, daß der Schlag, welcher die Familie Königsau getroffen hat, von Ihnen ausgeführt wurde.“

„Pah! Denken und vermuten Sie, was Sie wollen! Sollten Sie so sinnlos sein, anzunehmen, daß ich bei Ihnen eingestiegen bin und das Geld genommen habe, welches Ihnen abhanden gekommen ist, so habe ich nichts dawider. Ich begnüge mich damit, Herr der Besitzung zu sein, welche meinem Gegner gehörte. Wollen Sie den Kampf noch weiter treiben, so bin ich bereit, ihn wieder aufzunehmen. Ich teile Ihnen mit, daß ich hier nicht wohnen, sondern die Verwaltung der Besitzung einem Beamten anvertrauen werde. Glauben Sie vielleicht, irgendwelchen Rechtstitel geltend machen zu können, so bedienen Sie sich meinetwegen der Ihnen zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mittel, aber sorgen Sie dann dafür, daß ein Verwalter bei seinem Anzug niemand von denen vorfindet, welche zu lieben ich keine Veranlassung habe. Ich würde in diesem Fall in unnachsichtlicher und strengster Weise mein Hausrecht in Anwendung bringen. Adieu, Monsieur!“