Выбрать главу

Er ging und Richemonte folgte ihm.

Der Schlag war gefallen und traf alle Beteiligten schwer. Wie gut, daß Margot von Königsau durch den Tod verhindert worden war, ihn mitzufühlen. Sie wurde begraben. Alle ihre einstigen Untergebenen betrauerten in ihr eine Herrin, welche wie eine Mutter auf das Wohl aller bedacht gewesen war.

Hugo von Königsau hatte seine kräftige Natur bis in sein gegenwärtiges Alter bewahrt. Er war von dem Fieber zwar niedergeworfen worden; es hatte ihn dem Tode nahegebracht, aber er starb nicht, sondern er genas.

Als er das erstemal das Lager verlassen konnte, befand er sich bereits seit langer Zeit nicht mehr auf der verlorenen Besitzung, sondern in Berlin, wo Kunz von Goldberg ihm eine Wohnung gemietet hatte. Seine Schwiegertochter und seine beiden Enkel waren bei ihm, aber er fühlte sich trotz ihrer Gegenwart einsam und fast verlassen. Ihm fehlte das treue Weib, Margot, die seine Seele gewesen war. Man hatte ihm ihren Verlust natürlich erst dann mitteilen können, als die Ärzte es gestatteten; aber dennoch war es, als ob diese Schreckenskunde ihn wieder auf das Lager werfen wollte. Es bedurfte der ganzen Liebe und Anhänglichkeit der Seinigen, seine Gedanken von diesem Verlust wenigstens zeitweilig abzulenken.

Besser wurde dies, als Gebhard endlich eintraf. Er war zwar von allem unterrichtet worden; er wußte, daß seine Mutter tot und sein Vater schwer krank sei; er wußte auch, daß ihr Vermögen verloren sei und daß ihr Feind sich auf ihrem Eigentum eingenistet habe, er hatte darum seine Rückkehr nach Kräften geeilt, aber es war ihm nicht möglich gewesen, eher zu kommen.

Jetzt nahm er das Werk in die Hand, an welchem bereits Goldberg und die Polizei vergeblich gearbeitet hatten, nämlich die Erforschung dessen, was damals geschehen war.

Bei reiflicher Erwägung schien es fast sicher, daß zwischen jenem Diebstahl und dem Ankauf der Güter durch Rallion ein Zusammenhang stattfinde; aber war die Lüftung des darüber ausgebreiteten Schleiers bisher eine Unmöglichkeit gewesen, so blieben auch alle weiteren Nachforschungen ohne Erfolg. Dieser letztere war nur denkbar, wenn der Dieb, der sogenannte Henry de Lormelle, entdeckt und ergriffen wurde, aber es gelang nicht, auch nur die leiseste Spur von ihm aufzufinden.

Inzwischen war zu dem bereits erlebten Unglück auch noch ein weiteres gekommen. Eines Tages nämlich traf ein schwarzgeränderter und ebenso schwarzversiegelter Brief aus Paris bei Gebhard von Königsau ein, welcher folgendermaßen lautete:

„Mein Herr!

Hierdurch wird Ihnen mitgeteilt, daß Ihre entfernte Verwandte, die hochselige Frau Gräfin Juliette de Rallion, infolge eines plötzlichen Schlaganfalles mit dem Tod abgegangen ist und kein Testament hinterlassen hat.

Aus diesem letzteren Grund und ebenso zufolge des Umstandes, daß Ihre Frau Gemahlin und deren Schwester, Frau Hedwig von Goldberg, an Ausländer verheiratet sind und auch über die gesetzlich hier einschlagende Frist im Ausland gewohnt haben, fällt das Ganze der Hinterlassenschaft dem einzigen männlichen Erben der Verstorbenen, dem Herrn Grafen Jules Rallion, zu. Ergebenst

Erneste Vafot,

Öffentlicher Notar und Nachlaßverwalter.“

Die gute Tante Rallion war hochbetagt gewesen, und Gebhard machte kein Hehl daraus, daß er gehofft habe, es werde ihm bei ihrem Ableben ein Teil ihres Nachlasses zufallen. Das wäre in seiner gegenwärtigen Lage eine große Hilfe für ihn gewesen. Nun war selbst diese Hoffnung vernichtet. Ihr Feind, der Graf Jules Rallion, war auch hier vom Glück begünstigt worden.

Nun galt es, zu arbeiten und zu schaffen, damit die nackte Armut nicht ihren Einzug halte.

Zwar hatte Gebhard an seinem Schwager Goldberg einen Freund, dessen ganzes Eigentum ihm zur Verfügung gestanden hätte, aber er zog es vor, sich selbst seinen Unterhalt zu verdanken. Er versuchte, die Erfahrungen und Anschauungen, welche er sich auf seinen Reisen gesammelt hatte, zu verwerten. Er schrieb Bücher, Berichte und Gutachten und hatte die Freude, seine Mühen anerkannt und belohnt zu sehen. Es gelang ihm, sich mit der Feder eine, wenn auch nicht glänzende, so doch zufriedenstellende Existenz zu erobern.

Aber die Zeit rückte vor, und mit ihr stiegen die Ansprüche, welche das Leben und die Sorge für die Seinen an ihn machten. Der kleine Richard hatte das Alter erreicht, in welchem er als Kadett eintreten sollte; dazu waren Mittel erforderlich, welche Gebhard leider nicht besaß. Zwar griff Kunz von Goldberg ein; aber es war vorauszusehen, daß die Ausgaben von Jahr zu Jahr steigen würden. Schwager Goldberg sollte nicht gewohnheitsmäßig in Anspruch genommen werden; man mußte daran denken, sich irgendeine Hilfsquelle zu öffnen.

So saßen Großvater, Vater und Mutter oft sorgend beisammen, um zu beraten und Pläne zu entwerfen, welche sich aber stets als nicht wohl ausführbar erwiesen.

Ein einziger unter diesen Plänen gab, so abenteuerlich er auch auf dem ersten Blick erschien, doch eine kleine Hoffnung des Gelingens. Und stets war es Großvater Hugo, welcher die Rede auf ihn brachte.

„Die Kriegskasse“, meinte er, „könnten wir doch die Kriegskasse finden!“

„Sie gehört nicht uns; sie ist Eigentum Frankreichs“, wendete Gebhard ein.

„Aber Frankreich muß dem Finder eine Gratifikation zahlen.“

„Nun wohl! Aber wo soll man sie suchen?“

„Ich kann mich leider nicht mehr besinnen; aber soweit meine Gedanken reichen, muß ich mir sagen, daß ich sie nicht gar sehr weit und zwar südlich von dem Ort vergraben habe, wo sie erst lag. Die Zeichnung, welche ich damals fertigte, hat zwar Blücher erhalten, aber ich habe eine Kopie genommen, welche wir noch jetzt besitzen.“

Dieses Gespräch wiederholte sich so oft, daß Gebhard von Königsau sich endlich an den Gedanken gewöhnte, der verlorenen Kriegskasse nachzuforschen. Im stillen tat auch Ida alles mögliche, ihn in diesem Beschluß zu bestärken. So saßen sie einstmals in dem kleinen Gärtchen, welches zu ihrer gegenwärtigen Wohnung gehörte, und sprachen über denselben Gegenstand. Da erwärmte sich Großpapa Hugo so sehr für denselben, daß er schließlich ausrief:

„Nun gut, Gebhard! Wenn du nicht gehst, so gehe ich!“

„Du?“ fragte der Angeredete. „Das geht nicht!“

„Warum nicht?“

„Gerade jetzt macht dir deine alte Wunde sehr viel zu schaffen. Du bedarfst der Ruhe und hast für Monate hinaus jede größere Anstrengung zu vermeiden.“

„Die Reise ist keine Anstrengung.“

„Sie kann sogar eine sehr große werden.“

„Wieso?“

„Es ist keine Erholung, dort im Gebirge herumzuklettern und nach einem Ort zu suchen, den man nicht kennt! Dazu kommt, daß es heimlich geschehen muß, so daß niemand etwas davon merkt. Das Wetter darf gar nicht berücksichtigt werden, im Gegenteil, je schlimmer es ist, desto sicherer ist man vor etwaigen Lauschern.“

„Hm! Das mag sein! Also muß ich leider darauf verzichten; aber du, lieber Gebhard, könntest es doch versuchen!“

„Wenn Ihr es denn so dringend wünscht, so will ich Euch den Willen tun. Aber wie es anfangen?“

Da ließ sich hinter ihm eine Stimme vernehmen:

„Das ist nicht schwer!“

Der drehte sich um. Da stand der alte, treue Kutscher Florian Rupprechtsberger, welcher damals mit Hugo nach Deutschland gekommen war und auch dann die Familie nicht verlassen hatte, als sie arm geworden war.

„Nicht schwer? Wieso?“ fragte Gebhard.

„Ich gehe mit!“

„Du? Hm!“

Florian war alt geworden. Gebhard betrachtete seine Gestalt mit prüfendem Blick, wie um zu taxieren, ob der brave Mann den Anstrengungen einer solchen Reise auch noch gewachsen sei.

„Das ist wahr“, sagte der Großvater. „Da ich nicht mit darf, so ist unser Florian der einzige, welcher jene Gegend kennt.“