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„Gewiß!“ antwortete Florian. „Ich war ja mit in der Schlucht, wo das Geld erst vergraben war. Das war an dem Tag, an welchem wir verfolgt und angegriffen wurden, und an welchem der Kapitän Richemonte den Baron de Reillac ermordete.“

„Das hast du schon oft erzählt; aber wirst du diese Schlucht auch heute noch wiederfinden?“

„Das versteht sich!“

„Beschreibe den Weg!“ befahl der Großvater.

„Man geht durch Bouillon, an dem Wirtshaus vorüber, in welchem Sie einmal eingekehrt waren, ein Stück am Wasser hin, und dann bei den Bäumen biegt man links ein, um den schmalen Weg zu verfolgen, welcher an der Köhlerhütte vorüberführt. Von da aus hat man nur einige Minuten weiter durch den Wald zu steigen; dann öffnet sich zur rechten Hand die Schlucht.“

„Das ist sehr richtig“, meinte der Großvater. „Aber seit jener Zeit sind viele Jahre vergangen, und es wird manches verändert sein, vielleicht so verändert, daß man das Terrain gar nicht mehr wieder erkennt.“

„Den Berg haben sie doch nicht fortschaffen können, und die Schlucht ist also auch noch da.“

„Wohl wahr! Aber wenn Ihr nun die Schlucht gefunden habt, was dann?“

„Dann nehmen wir den Situationsplan in die Hand, den Sie damals gezeichnet haben, und suchen, indem wir uns von der Schlucht aus immer nach Süden halten.“

„Glaubst du denn, daß du eine solche Reise noch mit unternehmen kannst?“

„Ich?“ fragte der treue Diener in zuversichtlichstem Ton. „Ich laufe mit um die Erde herum, wenn es gilt, etwas zu tun, was Ihnen Freude macht!“

„So habe ich nichts dagegen, daß du mit Gebhard reist. Und da wir einmal den Entschluß gefaßt haben, so wollen wir auch nicht lange zögern, ihn zur Ausführung zu bringen.“

Der gute Florian zeigte eine außerordentliche Freude über die Erlaubnis, welche ihm geworden war.

„Wie schön! Wie herrlich!“ rief er aus. „Bei dieser Gelegenheit kann ich auch einmal meine Verwandten besuchen. Die alten sind freilich gestorben, und die jungen habe ich noch gar nicht gesehen, aber wir schreiben uns zuweilen. Und dann das schöne Geld, welches Sie erhalten werden! Vielleicht werden Sie dadurch wieder grad so reich, wie Sie gewesen sind!“

Das erregte die Wißbegierde Idas. Sie fragte:

„Den wievielten Teil des Ganzen würdet Ihr wohl erhalten?“

Da antwortete Großvater Hugo lächelnd:

„Ich bin mit dieser Frage, natürlich ohne mich zu verraten, hier bei einem Advokaten gewesen. Er hat nachgeschlagen und gesagt, daß eine Kriegskasse, welche so lange Zeit vergraben liege, unter den Begriff des Schatzes falle. Und nun ratet, wieviel in Frankreich da der Finder erhält!“

„Den zwanzigsten oder wohl gar den zehnten Teil?“ riet Frau Ida von Königsau.

„Das wären fünf oder zehn Prozent. Nein; er bekommt gerade die Hälfte, während die andere Hälfte dem Besitzer des Grund und Bodens gehört, auf welchem der Schatz gefunden wird.“

Diese Auskunft erweckte geradezu eine Art Begeisterung für das Unternehmen, und es wurde einstimmig beschlossen, die Vorbereitungen zur Abreise sofort zu treffen. – – –

Unterdessen wohnte der Kapitän Richemonte mit dem Baron und der Baronin Liama de Sainte-Marie auf Jeannette. An dem Zustand des Barons hatte sich nichts gebessert; er war vielmehr noch tiefsinniger geworden. Der in der Sahara an den unschuldigen Arabern verübte Massenmord quälte sein Gewissen, und der Gedanke, an jene ruchlose Tat versetzte ihn zeitweilig in einen Zustand finsteren, dumpfen Brütens. Später traten sogar Stunden ein, in denen er die Geister der Ermordeten zu sehen glaubte und mit ihnen kämpfte.

Er durfte gar nicht mehr ohne Aufsicht gelassen werden, und diese mußte der Kapitän selbst übernehmen. Wäre eine andere Person damit betraut worden, so stand ja zu befürchten, daß die ganze Vergangenheit verraten wurde.

Schließlich aber mußte doch ein Arzt zu Rate gezogen werden. Er erhielt so viel mitgeteilt, als möglich war, ohne gefährliche Vermutungen in ihm zu erwecken, und riet nach einiger Beobachtung des Kranken Zerstreuung und eine Ortsveränderung, welche in einer Reise bestehen könne. Diese Reise müsse aber möglichst anstrengend sein, da körperliche Anstrengung und Ermüdung einen heilsamen Einfluß auf den erkrankten Geist üben werde.

Der Kapitän fluchte im stillen über den krankhaften Zustand seines Verwandten und Adoptivsohns. Sich seiner zu entledigen, ihn aus der Welt zu schaffen, wäre nicht sein Gewissen Belästigendes gewesen, da er ja überhaupt gar kein Gewissen besaß; aber er überlegte sich, daß dies nur heiße, einen sehr dummen Streich zu begehen. Starb der Baron de Sainte-Marie, so gab es keine anderen Erben als die Familie Königsau, welcher dann Jeannette wieder zufiel. Darum mußte der Kranke weiter leben.

Richemonte beschloß, mit ihm eine Fußreise zu unternehmen, und zwar in das Gebirge, da eine Gebirgsreise ja anstrengender ist als jede andere. Er wollte nach den Argonnen hinauf und dann in den Argonner Wald.

Die Vorbereitungen machten nicht viel Umstände. Ein junger starker Knecht wurde als Diener mitgenommen, um bei der Bewältigung des Kranken behilflich zu sein, wenn sich bei demselben je ein Anfall von Tobsucht einstellen sollte. Dann ging es fort.

Erst mit der Post nach Chalons und hierauf in den Argonner Wald, welcher von Bar le Duc bis nach Launay durchwandert wurde. Diese anstrengende Fußtour war von ganz ausgezeichneter Wirkung auf den Baron. Einige leichtere Anfälle in den ersten Tagen abgerechnet, war über ihn nicht zu klagen gewesen, und selbst sein Trübsinn, welcher ihn seit Jahren nicht verlassen hatte, schien nach und nach einer anderen Stimmung Platz zu geben. Er wurde von Tag zu Tag heiterer und gesprächiger und begann sich für alles, was er erblickte, immer lebhafter zu interessieren. Nur von der Vergangenheit zu sprechen, mußte Richemonte streng vermeiden. Selbst wenn der Kranke nur an dieselbe dachte, stellte sich sofort die frühere trübe Stimmung wieder ein.

Zwischen Launay und Signy le Grand liegt ein allerliebstes kleines Dörfchen, in welchem lauter gutsituierte Landleute wohnen. Es gab nur eine einzige Familie, welche wirklich arm genannt werden konnte, nämlich diejenige des Hirten, welcher Verdy hieß. Er bewohnte eine kleine Hütte, welche nur einen Raum bildete und Mensch und Vieh zu gleicher Zeit beherbergte. Er besaß nichts, als was er auf dem Leib trug, und da sein Einkommen ein außerordentlich spärliches war, so hätte er wohl Hunger leiden müssen, wenn seine Familie eine zahlreiche gewesen wäre. Glücklicherweise aber bestand dieselbe nur aus drei Personen, aus ihm, seinem Weib und einer Tochter.

Diese letztere war sein Augapfel, machte ihm aber fast mehr zu schaffen als der sämtliche Tierbestand des Dorfes, über welchen er auf der Weide die Aufsicht zu führen hatte.

Die Tochter führte den für ein Hirtenkind nicht ganz passenden Namen Adeline. Sie war als Kind von den Sprößlingen der reichen Bauern verachtet und zurückgesetzt worden; darum hatte sie sich an die Einsamkeit gewöhnt. Aber sie wäre gar so gern auch reich gewesen und hätte sich ebenso gern hübsch gekleidet wie die anderen.

Sie war eitel. Je älter sie wurde, desto mehr wuchs diese Eitelkeit. Sie sah sich im Spiegel; sie verglich sich mit den anderen Mädchen, und sie kam zu der Überzeugung, daß sie unter ihnen allen die Schönste sei.

Nun wollte sie sich putzen. Dazu fehlte ihr nicht mehr als alles, und so sann sie nach, ob sie nicht etwas verdienen könne. Als Magd vermieten wollte sie sich nicht; sie wollte sich nicht von denen befehlen lassen, welche nicht so schön waren wie sie.

Da kam ihr ein anderer Gedanke. Ihr Vater hatte einige Erfahrung in der Behandlung kranker Tiere. Sie hatte oft für ihn hinaus auf das Feld und in den Wald gehen müssen, um heilsame Pflanzen zu holen. Sie wußte, daß die Apotheker solche Kräuter brauchen und von Sammlern kaufen müsse. Darum begann sie, Teepflanzen zu holen und an die Apotheker zu verkaufen. Das war eine leichte, sogar hübsche Arbeit und brachte Geld ein, viel zwar nicht, aber doch immer so viel, wie sie für sich brauchte.