Es dauerte nicht lange, so hatte sie Schuhe und Strümpfe, einen hübschen Rock und eine weiße Schürze. Einige Bänder und Schleifen kamen dazu, und nun begannen auch die Burschen, ihre Blicke auf sie zu richten. Aber sie wollte nichts von denen wissen, von welchen sie zuvor nicht beachtet worden war.
Während ihres einsamen Aufenthalts in Wald und Feld gab sie allerlei Gedanken Audienz, guten und schlimmen, und da sie verachtet worden war und sich darüber verbittert fühlte, so war es kein Wunder, daß sie mehr schlimme, als gute Gedanken hatte. Vor allen Dingen wollte sie sich rächen. Aber wie?
Sie sann lange Zeit darüber nach, bis ihr endlich die Überzeugung kam, daß die eklatanteste Rache darin bestehe, den Mädchen den vornehmsten Burschen des Dorfes wegzuangeln. Dies war natürlich der Sohn des Maire.
Von diesem Augenblick an begann sie, die Angeln nach ihm auszuwerfen. Die anderen merkten dies und verspotteten sie; aber der Bursche sah recht gut, daß sie die Hübscheste von allen sei, und tat sein möglichstes, um gefangen zu werden.
Zuerst trafen sie sich zufällig hier oder da; sodann geschah das Zusammentreffen weniger zufällig, aber stets da, wo sie miteinander nicht gesehen wurden. Und endlich wurden wirkliche Verabredungen getroffen.
Sie war ein Naturkind, besaß aber eine gute Dosis angeborener Schlauheit. Sie erzwang von ihm die Einwilligung, auch einmal beim Tanz erscheinen zu dürfen. Sie hatte sich bisher dort nie sehen lassen, und so war es für sie ein unendlicher Triumph, als der Sohn des Maire sich mit ihr im Kreis drehte und nicht eine einzige andere engagierte.
Der Bursche war ihr wirklich gut. Er hatte ganz ehrliche Absichten, aber mit diesen stimmten nicht diejenigen seiner Eltern überein. Es kam zu Vorwürfen und Erklärungen, deren Resultat und Ende war, daß der Vater dem Sohn verbot, mit diesem Mädchen jemals wieder ein Wort zu sprechen.
Der Befehl wurde zwar angehört, aber nicht befolgt. Die beiden trafen sich nun im stillen hinter dem Rücken der Eltern. Jedermann aber weiß, daß solche verbotene Zusammenkünfte mit bedenklichen Gefahren verknüpft sind, und diesen Gefahren erlag die schöne Hirtentochter.
Es kam die Stunde, in welcher sie weinend dem Geliebten gestand, daß sie sich unglücklich fühle, weil sie etwas verheimlichen müsse, was später an den Tag kommen werde.
Das gab dem Burschen seine Überlegung zurück. Es regte sich der reiche Bauernsohn in ihm. Er begann zu überlegen und kam ganz von selbst zu der Einsicht, daß die Tochter des armen Hirten keine Frau für ihn sei.
Infolge dieser Erkenntnis begann er, sich von ihr zurückzuziehen. Sie bemerkte es und stellte ihn weinend zur Rede. Die Tränen der Geliebten fallen wie glühende Tropfen auf das Herz; es kann durch sie auch ein sonst willenskräftiger Mann besiegt werden. Aber die Tränen einer Person, welche man bereits nicht mehr so gut leiden kann wie früher, haben eine ganz andere Wirkung. Das Weinen ist dann etwas sehr Unschönes, ja Widerwärtiges, und spült den noch vorhandenen Rest der Liebe vollends von dannen.
So ging es auch hier. Die Vorwürfe und Tränen des Mädchens erkälteten den Burschen. Er nahm sich vor, gar nicht wieder mit ihm zu sprechen. Was sich so ein reicher Dorfprinz einmal vorgenommen hat, das pflegt er auch zu halten. Landleute haben einen harten Kopf. Es gab für das verlassene Mädchen fast gar keine Gelegenheit mehr, den Geliebten zu sehen, als den Tanz. Darum ging es hin. Aber es feierte keine Triumphe mehr, sondern es erlitt Niederlagen.
Das kränkte Adeline erst ganz entsetzlich; dann ärgerte sie sich, und endlich fühlte sie anstelle der früheren Liebe nur den Wunsch, sich zu rächen. Aber wie sollte sie sich an ihm rächen, sie, das blutarme Mädchen, an dem reichen Sohne des Dorfschulzen! Ja, wenn einer gekommen wäre, der noch vornehmer wäre als er! Welch eine Rache wäre das gewesen! Mit diesem Gedanken ging sie schlafen, und mit ihm erwachte sie.
Da, eines Sonntagabends, saß sie wieder im Saal. Alle waren lustig; nur sie blieb allein und unbeachtet. Keiner kam, um sie zum Tanz abzuholen.
Da plötzlich richteten sich aller Augen nach der Tür. Es waren zwei Männer eingetreten, zwei fremde Herren, welche dem Tanz zuschauten. Fremd mußten sie sein, denn es kannte sie niemand, und Herren, vornehme Herren waren es, das sah man an der feinen Kleidung, welche sie trugen.
Der eine war ein alter Herr mit grauem Schnurrbart. Er blickte gar grimmig drein, und es ließ sich vermuten, daß mit ihm nicht gut Kirschen essen sei. Der andere war jünger, viel jünger; er konnte wohl der Sohn des ersteren sein. Er war zwar nicht mehr ganz jung, aber er war nicht häßlich, und er hatte einen so eigentümlich leidenden Blick, so etwas Duldendes an sich, was bekanntlich große Anziehungskraft auf Frauen auszuüben pflegt.
Nachdem sie eine Weile zugeschaut hatten, schien der Alte sich zu langweilen. Er ging. Der andere aber blieb neben dem Eingang stehen und setzte seine Beobachtungen fort. Adeline sah, daß sein Blick von einem Mädchen zu dem anderen ging, als ob er ihre Schönheit prüfen wolle, und jetzt, jetzt ruhte sein Auge auch auf ihr.
Sie senkte den Blick und fühlte dabei, daß ihr das Blut in die Wangen stieg. Als sie nach einer Weile die Augen wieder aufschlug, sah er sie noch immer an, und dabei lag ein leises freundliches Lächeln auf seinem Gesicht.
„Ich habe ihm gefallen!“ dachte sie. „Was mag er sein?“
Sie beobachtete ihn heimlich und bemerkte, daß sein Auge wieder und immer wieder zu ihr zurückkehrte. Endlich nickte er ihr gar zu, leise zwar, daß kein anderer es bemerken konnte, aber doch so, daß sie sah, er meine sie. Sie erglühte von neuem. Hatte er bemerkt, daß auch sie ihn beobachtete?
Da, jetzt fühlte sie, daß ihr das Herz laut unter dem Mieder zu klopfen begann. Er hatte seinen Platz verlassen und schritt langsam, wie prominierend, an der Seite des Saales entlang, wo die Mädchen saßen, und die Burschen, welche ihm jetzt während der Pause im Weg standen, machten ihm ehrerbietig Platz.
Er kam näher und näher. Jetzt war er da. Sie senkte die Augen. Sie fühlte eine peinigende Angst. Worüber? Ob er vorüber gehen, oder ob er sie anreden werde? Er war bei ihr stehen geblieben, denn jetzt hörte sie seine Stimme.
„So allein und abgesondert von den andern, Mademoiselle!“
Sollte sie ihm antworten? Jedenfalls. Das Gegenteil wäre ja unhöflich gewesen. Sie war also gezwungen, den Blick zu erheben. Sie sah aller Augen auf sich und ihn gerichtet. Sie sah die freundliche Miene, mit welcher er sie anblickte, und da antwortete sie:
„Ich bin stets allein, Monsieur.“
„Warum, mein Kind?“
„Die andern sind reich, ich aber bin arm.“
„Was tut das! Sind die andern denn so stolz?“
„Ja, sehr stolz!“
„Lächerlich! Worauf kann so ein Bauernknabe oder so eine Bauerndirne denn stolz sein? Auf Bildung und Kenntnisse jedenfalls nicht!“
Wie wohl taten ihr diese Worte! Und wie schade, daß nur sie allein dieselben gehört hatte! Er fuhr fort:
„So tanzen Sie wohl gar nicht?“
„Nein.“
Das war ein Geständnis, welches ihr die Schamröte in das Gesicht trieb. Er aber schien ihr die Zurücksetzung gar nicht entgelten zu lassen, denn er sagte:
„Daran tun Sie recht. Aber Sie tanzen wohl gern?“
„Ich habe noch nicht viel getanzt, aber ich tanze nicht ungern.“
„Dürfen auch Fremde an diesem Vergnügen teilnehmen?“
„Wer wollte es ihnen untersagen, Monsieur?“
„Nun wohl! Werden Sie mir die Erlaubnis erteilen, die nächste Tour mit Ihnen zu versuchen?“
Das Herz wollte ihr vor Freude zerspringen. Sie mußte die Hand auf den vollen Busen legen, damit derselbe nicht so unruhig woge und vielleicht gar das Mieder zersprenge.
„Sie scherzen!“ hauchte sie.