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„Aber diese Frage wird Sie vielleicht verletzen.“

„Aus Ihrem Mund verletzt sie mich nicht.“

„Nun wohlan! Sie sind verheiratet?“

Er hatte gewußt, daß es diese Frage sei, und doch wußte er nicht sofort, was er antworten solle; erst nach einer kleinen Pause erklärte er ihr:

„Nein. Ich war es, aber meine Frau ist gestorben.“

„So sind Sie Witwer?“

„Ja.“

„In diesem Fall ist es mir erlaubt, Ihre Begleitung anzunehmen. Wenn Sie nach mir den Saal verlassen, so gehen Sie rechter Hand aus dem Dorf hinaus. Es sind nur zwei Minuten bis zum letzten Haus, dort werde ich Sie erwarten.“

Er nickte ihr dankbar zu. Er hätte ihr gern die Hand dafür gedrückt, oder ihr einen Kuß dafür gegeben; aber das erstere wäre aufgefallen, und das letztere war ganz unmöglich.

Sie blieben für den Abend miteinander an dem Tisch beisammen. Er tanzte noch öfters mit ihr, und so fiel es gar nicht auf, daß sie an seinem Mahl teilnehmen durfte. Höchstens fühlte man Mißgunst anstatt Mißtrauen. Und als sie endlich Abschied nahm und von ihm höflich entlassen wurde, war allen Hintergedanken die Möglichkeit abgeschnitten.

Er wartete noch einige Minuten und ging dann auch. Er suchte seinen Diener auf und befahl ihm, da er noch ein wenig frische Luft schöpfen wolle, dafür zu sorgen, daß er bei seiner Rückkehr die Tür noch offen finde. Dann verließ er das Haus.

Rallion fand die reizende Adeline an dem angegebenen Ort seiner wartend. Sie weigerte sich nicht, ihm ihren Arm zu geben, und dann spazierten sie miteinander unter den Bäumen dahin, welche die nach Mézières führende Landstraße zu beiden Seiten einfaßte.

Sie sprachen über nichts und vieles. Bei einem solchen Beisammensein gewinnt ja das Nichtssagendste eine Bedeutung. Er hatte bald den Arm um ihre Taille gelegt, was sie ihm nicht verwehrte, und als er endlich versuchte, ihr einen Kuß zu geben, fand er nur einen Widerstand, der nicht schwer zu besiegen war.

Doch machte Adeline ganz und gar nicht den Eindruck auf ihn, als ob sie gegen einen jeden anderen in gleicher Weise sich verhalten hätte.

Auf dem Rückweg war ihre Umschlingung schon weit inniger geworden, und sie blieben von Zeit zu Zeit stehen, um ihre Lippen zu einem Kuß zu vereinigen. Als dann das Dorf wieder vor ihnen lag, sagte er im Ton des Bedauerns:

„Wie schnell ist diese Stunde vergangen! Ich wünsche sehr, Sie näher kennenzulernen.“

„Ist das etwas so Schweres?“ fragte sie.

„Gut. Ich werde morgen noch hier bleiben.“

„Werden Sie die Zustimmung Ihres Gefährten erlangen?“

„Er wird zustimmen müssen. Aber wird es uns auch möglich sein, uns zu treffen und zu sprechen?“

„Ja, wenn Sie es wünschen.“

„Ich wünsche es sogar sehr. Bitte, geben Sie Zeit und Ort an.“

Sie blieb stehen und deutete nach rechts hinüber.

„Sehen Sie im Mondenschein dort die Waldecke?“ fragte sie.

„Ja.“

„Am Tag werden Sie eine hohe Eiche bemerken, welche dort steht. An dieser Eiche treffen Sie mich Mittag Punkt ein Uhr. Ich gehe Pflanzen sammeln.“

„Ah! Köstlicher Gedanke! Ich werde Ihnen helfen!“

„Wir werden fleißig sein. Jetzt gute Nacht, Monsieur.“

„Gute Nacht.“ – – –

Während seiner Abwesenheit hatte sich etwas nicht Unwichtiges ereignet oder vielmehr schon, während er sich noch in dem Saal befand.

Gerade als der Kapitän sein Abendbrot verzehrte, waren zwei neue Gäste angekommen, ein älterer und ein jüngerer Mann. Sie nahmen an einem nahen Tisch Platz. Es war Richemonte ganz so, als ob er den älteren bereits gesehen habe, doch konnte er sich nicht besinnen.

Beide bestellten sich Trank und Speise. Während dieses letztere aufgetragen wurde, fragte der ältere:

„Logiert nicht ein fremder Herr bei Ihnen, welcher seinen Namen Laroche eingetragen hat?“

„Ja, Monsieur“, antwortete der Wirt.

„Haben Sie noch Platz für uns beide?“

„Sind Sie die zwei Herren, welche Monsieur Laroche erwartet?“

„Ja. Hat er von uns zu Ihnen gesprochen?“

„Er hat mir gesagt, daß Sie sich hier treffen wollen. Er wird nicht schlafen gehen, sondern Sie auf seinem Zimmer erwarten.“

„Welches Zimmer ist es?“

„Nummer drei.“

„Gut. Geben Sie auch uns ein Zimmer!“ Und zu seinem Gefährten gewendet, fragte er: „Wir brauchen doch nicht verschiedene Stuben?“

„Nein, wir bleiben beieinander, Onkel Florian.“

Bei dieser Antwort des Jüngeren ging es wie ein helles Licht durch Richemontes Gedächtnis. ‚Onkel Florian!‘ Ja, jetzt besann er sich. Diesen Menschen hatte er nicht nur irgendwo gesehen, nein, den kannte er sogar sehr genau. Es war Florian Rupprechtsberger, der einstige Kutscher von Jeannette. Was wollte dieser Mensch hier? Er wohnte in Berlin bei der Familie von Königsau! Wer war dieser sogenannte Herr Laroche, welcher ihn erwartete?

Diese Fragen legte er sich vor. Er hatte Zimmer Nummer Zwei und lag also neben diesem Laroche. Er stand, kurz entschlossen, auf und begab sich nach oben; gar unhörbar schritt er auf die Tür seines Zimmers zu und öffnete ebenso leise mit dem Schlüssel. Sodann stellte er einen Sessel hart an die von seiner Seite aus verriegelte Verbindungstür der beiden Zimmer, und nahm Platz darauf, um schweigend das Kommende abzuwarten. Er war überzeugt, sich äußerlich so verändert zu haben, daß Florian ihn nicht erkannt haben könne.

Endlich, nach längerer Zeit, hörte er Schritte. Man klopfte drüben.

„Wer ist da?“ fragte eine Stimme von innen.

„Ich, Florian.“

Es wurde geöffnet, und der Genannte trat ein.

„Welche Unvorsichtigkeit, deinen Namen draußen auf dem Korridor zu nennen!“ hörte Richemonte. „Wir gehen hier unter fremden Namen und müssen dieselben beibehalten! Du kommst sehr spät. Ich dachte, daß es sich bei Nacht im Wald sehr schlecht suchen läßt.“

„Ich denke, daß ich Ihre Verzeihung schon erlangen werde. Wie gut, daß wir uns trennten! Man bestreicht da in der gleichen Zeit eine größere Fläche.“

„Wie?“ fragte der andere schnell und freudig. „Bist du vielleicht glücklich gewesen?“

„Oder Sie, gnädiger Herr?“

„Ich wurde nicht vom Glück begünstigt.“

„Und ich denke, den Ort gefunden zu haben. Sie hatten zwar den Situationsplan bei sich, aber ich habe mir alles ganz genau gemerkt. Die Bäume, welche auf dem Plan stehen, sind natürlich größer und stärker geworden, zwischen ihnen kann Gebüsch entstanden sein, aber es stimmte alles: die Erhöhungen und Vertiefungen, die Bäume, nur der Baumstumpf fehlte, welcher mit angegeben ist.“

„Er kann währenddessen ausgefault sein. Hast du nicht den Boden untersucht?“

„Wir hatten keine Werkzeuge mit als unsere Stöcke und Messer, und eine Kriegskasse vergräbt man doch tiefer, als daß man sie mit dem Messer erreichen kann. Wir müssen uns morgen einen Spaten verschaffen und den Ort gemeinschaftlich untersuchen.“

„Natürlich! Für morgen genügt es nur, zu wissen, ob wir den richtigen Ort gefunden haben, und dann –“

Da begann drüben die Tanzmusik wieder aufzuspielen, und Richemonte konnte kein Wort mehr verstehen.

„Donnerwetter!“ flüsterte er erregt. „Da taucht die Kriegskasse wieder auf. Sie suchen sie; sie haben sie vielleicht schon gefunden, wenigstens den Ort, an welchem sie vergraben liegt. Dieser Laroche ist ganz sicher ein Königsau! Welch ein Glück, daß wir hier eingekehrt sind! Aber dieses Mal sollen sie mir nicht entkommen. Die Kasse wird mein, oder der Teufel ist mit ihnen im Bunde!“

Noch während die Musik spielte, hörte Richemonte drüben die Tür gehen. Florian entfernte sich. Jetzt gab es nichts mehr zu erlauschen; darum entkleidete Richemonte sich leise und legte sich zu Bett. Aber der Schlaf floh seinen Augen; die Gestalten der Vergangenheit wurden lebendig und traten vor seine Seele, all sein Zorn, sein Grimm, sein Haß wurden wieder wachgerufen. Er wälzte sich auf dem Lager hin und her und zog, als der Tag anbrach, es vor, auf den Schlaf zu verzichten.