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Er durfte sich jetzt unten nicht sehen lassen; aber er verließ leise sein Zimmer, um dem Diener einzuschärfen, wie er sich zu verhalten habe. Als er dann zurückgekehrt war, schloß er sich ein und zog sich leise an. Er mußte, wenn die Kriegskassensucher das Gasthaus verließen, bereit sein, ihnen zu folgen.

Als dann das Leben sich im Haus zu regen begann, huschte er einmal hinab, um zu gebieten, daß keinem, der etwa nach ihm und seinem Gefährten fragen würde, Auskunft erteilt werden solle. Ein Baron und ein Kapitän, das waren hier so seltene und so vornehme Leute, daß er überzeugt war, man werde genug Respekt haben, sein Gebot zu befolgen.

Nun stellte er sich auf die Lauer. Er bedauerte, daß er keine Waffen bei sich trug; doch hatte er ein Einschlagemesser bei sich, dessen eine Klinge so lang, scharf und spitz war, daß es sich immerhin als Verteidigungswaffe, unter Umständen sogar zum Angriff, gebrauchen ließ.

Endlich regte es sich in dem Zimmer neben ihm. Der Bewohner desselben hatte ausgeschlafen und begab sich nach kurzer Zeit hinab in die Gaststube. Eine halbe Stunde verging, und dann sah Richemonte, daß drei Personen aus dem Haus traten und sich langsam entfernten. Zwei waren frühere Kutscher, Florian und sein Verwandter, und das Gesicht des dritten zeigte eine solche Familienähnlichkeit, daß der Kapitän in ihm sofort einen Königsau erkannte.

Jetzt verließ auch er sein Zimmer und begab sich eiligst zu dem Baron, den er noch im Bett fand.

„Schon wach?“ sagte Sainte-Marie. „Wir wollen doch nicht etwa schon aufbrechen?“

„Nein“, antwortete er. „Du kannst ruhig liegen bleiben. Wir werden heute noch nicht abreisen.“

„Nicht?“ rief der Baron, ebenso erfreut wie verwundert. „Aus welchem Grund?“

„Ich habe keine Zeit, dir das jetzt auseinanderzusetzen. Ich muß schleunigst ausgehen und komme wohl erst am Abend nach Hause. Dann wirst du erfahren, um was es sich handelt. Ich hoffe, daß du dir die Zeit nicht lang werden läßt.“

Er hatte keine Ahnung von der Freude, welche er mit dieser Mitteilung seinem Verwandten machte, und verließ nun das Gasthaus mit dem festen Vorsatz, Königsau und seine beiden Begleiter nicht aus dem Auge zu lassen.

Draußen vor dem Dorf bekam er sie zu Gesicht. Sie waren von der Straße abgewichen und machten sich an einem Feld zu schaffen. Bei demselben stand nämlich ein Pflug, neben welchem eine Hacke und eine Schaufel lagen. Die beiden letzteren Instrumente waren ihnen ein sehr willkommener Fund. Sie nahmen dieselben auf und entfernten sich rasch, um nicht etwa mit dem Eigentümer in Kollision zu kommen.

Richemonte folgte ihnen von weitem. Das Terrain war ein sehr kupiertes, und so wurde es ihm nicht schwer, sie im Auge zu behalten, ohne von ihnen gesehen zu werden. Erst als sie den Wald erreichten, mußte er sich näher an sie heranmachen, um sie sich nicht entgehen zu lassen. – – –

Was den Baron betrifft, so dachte er mit Wohlgefallen an sein gestriges Abenteuer. Er befahl dem Diener, ihn im Gasthof zu erwarten, und begab sich zu der verabredeten Zeit zu dem Rendezvous. Der betreffende Baum war sehr leicht zu finden, da er weit über seine Umgebung emporragte.

Adeline hatte bereits auf ihn gewartet und duldete es ohne Widerstreben, daß er sie mit einem Kuß begrüßte.

„Beinahe wäre es mir unmöglich gewesen, Wort zu halten“, sagte sie.

„Warum?“

„Weil mein Vater heute selbst geht, um Kräuter zu suchen, die ich noch nicht kenne. Er hat einige Patienten in seiner Herde, für welche er die Pflanzensäfte braucht. Nun sollte ich mit der Mutter bei den Tieren bleiben, habe aber einen alten Gevatter zu ihnen gestellt.“

„Das hast du recht gemacht, mein liebes Kind. Wir werden nun miteinander durch Busch und Wald streifen und einige sehr schöne und glückliche Stunden genießen.“

Das geschah. Sein Kopf war geschwächt; er dachte nicht an die Folgen, welche seine Begegnung mit der reizenden Adeline haben könne; er sagte ihr seinen Namen, nannte ihr seinen Wohnort und gab ihr schließlich in seiner Gedankenlosigkeit das Versprechen, sie zu heiraten.

Was Adeline betrifft, so fühlte sie keine Leidenschaft für ihn. Seine Person war keine unangenehme; sie konnte ihn gut leiden. Die Hauptsache für sie bestand in seinem vornehmen Rang. Und als er ihr endlich gar das erwähnte Versprechen gab, da war für sie kein anderer Gedanke und keine andere Rücksicht vorhanden, als ihn bei diesem Versprechen festzuhalten. Baronin von Saint-Marie zu werden, welch ein Gedanke! Um ihn zu verwirklichen, wäre sie zu allem fähig gewesen, vielleicht selbst zu einem Verbrechen.

So streiften sie durch den Wald, zuweilen sich zu einer kurzen Ruhe niedersetzend, um die Süßigkeiten der Liebe gegenseitig auszutauschen. Sie achteten dabei nicht auf die Richtung und den Weg; die Liebe war der einzige Gedanke, den sie hatten.

Sie saßen jetzt abermals im duftenden Moos, sich liebkosend und von der glänzenden Zukunft sprechend, welche dem armen Hirtenmädchen bevorstand, als plötzlich, gar nicht weit von ihnen, ein lauter Schrei erschallte.

Sie horchten auf, und Adeline sagte:

„Mein Gott, das war kein gewöhnlicher Schrei! Es ist –“

Sie hielt inne und fuhr erschrocken zusammen, denn es erscholl ein Hilferuf, laut und gräßlich, wie ihn nur einer, welcher sich in Todesgefahr befindet, ausstoßen kann.

„Was geschieht da!“ stieß er hervor. „Mein Vater ist im Wald! Komm!“

Sie faßte den Baron bei der Hand, um ihn fortzuziehen.

„Ja“, sagte er. „Es befindet sich jemand in Todesgefahr. Komm! Wir müssen helfen!“

Er rannte voran, und sie folgte ihm. Die beiden Rufe hatten ihnen die Richtung angegeben. Sie gelangten an eine Stelle, wo der Boden des Waldes sich zu einer Art Schlucht niedersenkte. Da unten war der Schauplatz eines erbitterten Kampfes.

Zwei Männer hatten einen dritten gepackt; sie strengten sich an, denselben niederzuringen, während er sich mit einem Messer gegen sie wehrte. Nicht weit von ihnen lag ein vierter auf der Erde; er schien tot zu sein. In kurzer Entfernung von der ringenden Gruppe sah man ein breites, frisch gegrabenes Loch, aus welchem die Stiele einer Hacke und einer Schaufel emporragten.

Die beiden ersteren waren Florian und sein Neffe; der dritte mit dem Messer war Richemonte, und der, welcher mit einer Stichwunde in der Brust an der Erde lag, war kein anderer als Gebhard von Königsau.

Der Baron sah seinen Verwandten in offenbarer Lebensgefahr. Er wußte zwar nicht, um was es sich handele, aber er fühlte den Drang, Richemonte beizustehen. Er sprang die steile Böschung hinab, ohne von den Ringenden, welche nur mit sich selbst beschäftigt waren, bemerkt zu werden, ergriff die Hacke, holte aus und schlug mit solcher Gewalt auf Florian ein, daß der arme, treue Mensch mit vollständig zerschmettertem Kopf zusammenbrach. Ein zweiter Hieb traf den Verwandten des einstigen Kutschers. Richemonte hielt ihn mit den Armen fest umschlossen.

„Ah! Du!“ rief er. „Welch ein Glück! Komm, schlage auch den nieder! Ich halte ihn fest!“

Der junge Mensch konnte sich nicht bewegen. Er sah die Hacke hoch erhoben, stieß einen fürchterlichen Angstschrei aus und lag im nächsten Moment neben seinem ermordeten Oheim.

Richemonte schnaufte noch vor Anstrengung. Er hatte es mit kräftigen Gegnern zu tun gehabt. Fast atemlos fragte er:

„Aber wie kommst du hierher?“

Der Baron stand wie eine Bildsäule vor ihm. Mit noch erhobener Hacke starrte er nach den Leichen der beiden Männer, welche er getötet hatte.

„Nun?“ drängte Richemonte ungeduldig.

Da sah ihn der Baron wie abwesend an und antwortete:

„Was sagtest du?“

„Ich will wissen, wie du an diesen Ort gekommen bist.“