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Das Ende der Reise, deren Erfolg erst ein so vorteilhafter gewesen war, zeigte sich als dem gerade entgegengesetzt. Der Baron war kaum zu bändigen. Er sah nur die Geister erschlagener Menschen und tief geöffnete Gruben mit Kriegskassen. Er bildete sich ein, während jeder Schlacht, bei Austerlitz, Magenta, Solferino und vielen anderen, Kriegskassen gestohlen zu haben. Er schrie einmal nach Liama und das andere Mal nach Adeline, um bei ihnen Rettung zu suchen vor den Gestalten, welche ihn verfolgten.

Die Ärzte, welche zu Rate gezogen wurden, rieten zu einer dauernden Ortsveränderung, und da sich gerade Gelegenheit bot, Jeannette mit einer anderen Besitzung zu vertauschen, so ging der Kapitän auf diesen Handel ein. Er war im Grunde genommen ganz froh, von Jeannette fortzukommen, denn mit diesem Ort waren zu unangenehme Erinnerungen für ihn verknüpft, und außerdem hatte er die Erfahrung gemacht, daß die Bewohner desselben mehr von seinen Verhältnissen erfahren hatten, als ihm lieb und angenehm sein konnte.

Der Ort, nach welchem er übersiedelte, war Ortry. Er hatte nur erst kurze Zeit da gewohnt, als ihm gemeldet wurde, daß eine junge Dame angekommen sei, welche ihn zu sprechen wünsche. Er staunte nicht wenig, in dieser Dame Adeline, die Schäferstochter zu erkennen. Sie war ganz wie eine Dame von Stand gekleidet. Jedenfalls hatte sie dazu einen Teil der Summe verwendet, welche der Kapitän ihrem Vater zurückgelassen hatte, um die zur Pflege Gebhards nötigen Ausgaben zu bestreiten.

„Bringen Sie mir gute Nachricht?“ fragte er sie.

„Ja“, lautete die Antwort. „Der Verwundete ist soweit hergestellt, daß für sein Leben nichts mehr zu befürchten ist.“

„Haben Sie über die Kriegskasse mit ihm gesprochen?“

„Ja. Er verweigert jede Auskunft.“

„Mir wird er sie nicht verweigern. Ich werde ihn zum Reden zu zwingen wissen! Noch heute fahren wir ab. Ich werde sogleich meine Reisevorkehrungen treffen.“

„Sie meinen, daß ich mit Ihnen fahren soll?“

„Natürlich!“

„Kann ich nicht vorher den Herrn Baron sehen?“

„Wozu?“

„Nun, es versteht sich ja ganz von selbst, daß ich gern sehen möchte, wie er sich befindet.“

„Das muß Ihnen gleichgültig sein. Sie scheinen zu vergessen, daß er sich nur in einem Anfall seiner Krankheit auf einige Augenblicke mit Ihnen beschäftigt hat. Zwischen einem Baron und einer Schäferstochter aber ist eine so große Kluft, daß Sie sich um das Befinden meines Sohnes gar nicht zu kümmern haben.“

Da stand sie von dem Stuhl auf, auf welchem sie Platz genommen hatte. Indem ihre Augen zornig aufblitzten, antwortete sie:

„Sie irren sich, Herr Kapitän! Der Unterschied zwischen einer ehrlichen Schäferstochter und Mördern, Dieben und gewesenen Spionen ist nicht so groß, wie Sie ihn hinstellen.“

Er machte eine Bewegung des zornigsten Erstaunens und rief:

„Wie meinen Sie das? Was wollen Sie damit sagen?“

„Ich will damit sagen, daß der Herr Baron mir alles erzählt hat. Während Sie die Grube zuwarfen, habe ich Ihre ganze Biographie von ihm erhalten. Ich weiß alles, alles, was Sie getan und verbrochen haben; ich stehe Ihnen mehr als ebenbürtig gegenüber und werde Ihnen beweisen, daß es ein großer Fehler ist, mich zu verachten, weil ich die Tochter eines ehrlichen Hirten bin.“

Da blitzte es heimtückisch in Richemontes Augen auf.

„Ah!“ sagte er. „Was mein Sohn gesprochen hat, ist ein Erzeugnis des Wahnsinns gewesen. Kommen Sie sofort mit zu ihm. Er wird alles, alles widerrufen.“

„Ich danke!“ antwortete sie, überlegen lächelnd. „Ich habe gehört, daß es in diesem Schloß viele verborgene Winkel gibt, in denen ich nicht gern verschwinden möchte. Ich gehe. Am Bett des Deutschen, den Sie töten wollten wie seine beiden Begleiter, werde ich mit Ihnen meinen Vertrag abschließen. Gehen Sie nicht auf denselben ein, so wird mein Vater sofort Anzeige des Geschehenen erstatten. Der, welcher verwundet in unserer Hütte liegt, ist der rechtmäßige Besitzer Ihres Eigentums, denn der einzige Saint-Marie, welchen es nach dem Tod des Marabut noch gab, ist von euch ermordet worden. Ich rate Ihnen: Machen Sie Ihren Frieden mit mir, sonst sind Sie verloren!“

VIERTES KAPITEL 

In der Gewalt des Erpressers

Der große Turenne sagte einstmals zum französischen Minister Louvois: „Ein unfriedfertiger Nachbar ist der schlimmste aller Feinde. Man ist gezwungen, ihm gegenüber stets auf dem ‚Qui vive‘ zu stehen, und dieses Mißtrauen ist ein ewiges Hindernis aller friedlichen Bestrebungen. Sieger kann nur derjenige bleiben, welcher von beiden der Verschlagenere und rücksichtslosere ist.“

Mag die augenblickliche Ursache dieses Ausspruchs gewesen sein, welche sie wolle, der berühmte französische Feldherr hat mit diesen Worten das Verhältnis Frankreichs zu Deutschland, wie es stets war und immer sein wird, ganz vortrefflich gezeichnet.

Nach den napoleonischen Kriegen hatte eine verhältnismäßig lange Ruhe die Deutschen besonders die Preußen innerlich kraftvoll erstarken lassen, ohne daß der oberflächlich urteilende Franzose es bemerken oder zugeben wollte. Der verbesserte Volksunterricht und treffliche Kriegsschulen hatten die Aufgabe gehabt, ausgezeichnete Offiziere und ein intelligentes Heer heranzubilden. Zöglinge dieser Kriegsschulen waren in entfernte Länder gesandt worden, um sich in den dortigen Kriegen an Erfahrungen und Anschauungen zu bereichern. Sie kehrten als tüchtige Strategen und Taktiker zurück, ohne daß dies von anderen beobachtet wurde.

Während Napoleon über Marschälle und Generäle verfügte, welche sich in Afrika, Rußland, China, Italien und Mexiko einen berühmten, vielleicht aber auch berüchtigten Namen gemacht hatten, besaß Preußen nur Wrangel, welcher zu alt war, um eventuell eine Heeresleitung zu übernehmen. Andere waren während des Schleswig-Holsteinischen Krieges zwar auch genannt worden, aber so oberflächlich, daß auswärts gar keine Notiz von ihnen genommen wurde.

Daß sogar preußische Prinzen, wie zum Beispiel Friedrich Karl, strategische Werke verfaßt hatten, hielt man für Spielerei, und war je einmal von einer Verbesserung oder Neuorganisation kriegerischer Institutionen die Rede, so verhallte die Kunde davon in dem Stimmengewirr; von Ereignissen, welche von größerer Wichtigkeit zu sein schienen. Der deutsche Michel besitzt eben einen guten Teil Mutterwitz und hat es verstanden, im europäischen Spiel nicht ahnen zu lassen, welche Karten er habe und welche Trümpfe zuletzt aufzulegen er imstande sei. Ihm das edle Schach anzubieten, hielt man für zu ungebildet und befangen; man hatte ihm nur erlaubt, an einer ungeschickten Partie Schafkopf teilzunehmen. Warf man ihm ja einen Stecher hin, so gab er klein zu. Man ahnte nicht, daß er schlauerweise die Matadore in der Hand behielt, um am Schluß die Gegner desto sicherer zu schlagen.

War in Paris von Bismarck, von Moltke die Rede, so zuckte man die Achseln. Der erstere war ein mittelmäßiger Staatsmann mit ungewandten Manieren, und der letztere ein Offizier, weiter nichts. Mit solchen Männern brauchte man nur so zu rechnen, wie der Spieler mit gewöhnlichen Blättern: sie gehören zur Karte, sind aber nichts weniger als entscheidend.

Nachdem Napoleon die mexikanische Schlappe erhalten hatte, ließ er sich im Gefühl der Blamage allerdings herbei, mit diesem Bismarck in einen Notenwechsel zu treten. Er bot Preußen eine Gebietsvergrößerung um acht Millionen Einwohner an und verlangte dafür den preußischen, bayrischen und hessischen Landesteil, welcher zwischen dem Rhein und der Mosel liegt. Dieser Streich sollte das Ansehen, welches er bei seinem Volk verloren hatte, wieder herstellen. Wie ungeschickt, wie tölpelhaft, daß dieser Bismarck nicht auf denselben einging! Mit diesem sogenannten Lenker des preußischen Staatswesens war eben ganz und gar nicht anständig zu verkehren!

Nun knüpfte Napoleon mit Wien ganz ähnliche Unterhandlungen an. Österreich ging darauf ein, Venetien abzutreten und dafür preußisch Schlesien zu erhalten. Zu gleicher Zeit erklärte der Kaiser den Franzosen, daß den deutschen Mittel- und Kleinstaaten mehr Selbständigkeit zu gewähren sei. Damit hatte er dem ‚ungeschickten‘ Bismarck den Rache- und Fehdehandschuh hingeworfen. Der ungelenke Deutsche bückte sich gleichmütig und hob ihn auf.