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„Bringe ihn mit! Bringe ihn mit!“ lautete die Entscheidung aller.

Auch der Changeur stimmte begeistert mit ein. Er hatte der Auseinandersetzung mit allergrößter Aufmerksamkeit gelauscht, und bei der Erwähnung, daß man sich seine Chargen selbst wählen könne, schien sich auf seinem lachenden Gesicht die Gewißheit auszudrücken, daß er bei seinen körperlichen und geistigen Vorzügen ganz sicher eine Offiziersstelle bekommen werde.

Es wurde noch einige Zeit lang über dieses Thema, über die Gewißheit, daß man bald Krieg haben werde, gesprochen, dann trat der Wirt, Vater Main, aus dem hinteren Raum ein. Er setzte sich zu seinen Gästen und nahm einige Minuten lang an deren Gespräch teil, dann aber gab er Sally einen heimlichen Wink.

Das Mädchen verstand ihn sofort, der Changeur hatte ihn auch bemerkt, tat aber so, als ob er gar nicht hingesehen habe.

Sally erhob sich und brachte ihrem Herrn ein Glas; dann nahm sie an dem Eckplatz, auf welchem sie sich vorher befunden hatte, ihren Sitz wieder ein. Der Changeur war überzeugt, daß dieses scheinbar ganz unabsichtliche Arrangement nur ihm allein gelte. Man wollte ihn vom Tisch entfernen.

Daß er richtig geahnt habe, zeigte sich in kurzem. Sally gab ihm einen Wink, sich zu ihr zu setzen. Er berechnete, daß es am klügsten sei, ihr zu folgen. Darum nahm er seinen Wein, verließ den Tisch und setzte sich zu ihr. Als er dabei einen heimlich forschenden Blick auf den Wirt warf, bemerkte er ein sehr befriedigtes Lächeln auf dem Gesicht desselben.

Aber auch Brechstange hatte den ganzen Vorgang beobachtet und verstanden. Er neigte sich zu dem Wirt herunter und fragte leise:

„Warum soll der Changeur von dem Tisch fort, Vater Main?“

„Jetzt nicht“, antwortete der Gefragte. „Er merkt es sonst, daß wir von ihm sprechen.“

Aber in diesem Augenblick traten mehrere neue Gäste ein. Sie setzten sich an einen anderen Tisch, wurden da von Sally bedient und sprachen dabei so laut untereinander, daß der Wirt nicht mehr befürchtete, von dem Changeur gehört zu werden, darum sagte er, zwar leise, aber doch so, daß er von den bei ihm Sitzenden gehört werden konnte:

„Ich traue ihm nicht.“

„Warum denn nicht?“ fragte der Dietrich.

„Er ist mir zu nobel. Er hat etwas an sich, welches mir sagt, daß er nicht zu uns gehört.“

„Oh, ich halte ihn im Gegenteil für ehrlich und sicher.“

„Ich möchte darauf schwören, daß du dich täuschst.“

„Er hat doch ganz aufrichtig zu verstehen gegeben, daß er Wechselfälscher ist! Und erst vorhin sagte er, daß er wieder sehr gute Geschäfte gemacht habe.“

„Damit kann er dich und euch täuschen, mich aber nicht. Trinkt meinetwegen mit ihm, so viel und so oft ihr wollt; das kann mir ja ganz lieb sein, denn er macht tüchtige Zechen; aber laßt ihm ja niemals etwas von unseren Geschäften merken. Ich halte ihn für einen Geheimpolizisten.“

„Unsinn! Daß er selbst die Polizei zu scheuen hat, weiß ich ganz sicher.“

„Wieso?“

„Habt ihr euch seinen Bart und seine Haare einmal genau angesehen?“

„Wozu das?“

„Nun, sie scheinen schwarz zu sein, sind es aber nicht. Ich habe sie heute wieder scharf geprüft. Zwischen den schwarzen und der Haut sind sie, allerdings kaum zu bemerken, von hellerer Farbe. Ich meine, daß Bart und Haare blond sind. Er hat sie seit einigen Tagen nicht nachgefärbt. Wäre diese Verstellung nötig, wenn er mit der Polizei auf gutem Fuß stände?“

„Das beweist noch nichts. Er kann das Haar gefärbt haben, um nicht zufällig von einem der unserigen, der ihn einmal gesehen hat, erkannt zu werden.“

„Warum dann aber die Perücke?“

„Welche Perücke?“ fragte der Wirt erstaunt. „Sein Haar kann zwar gefärbt sein, ist aber jedenfalls sein eigenes.“

„Und dennoch trägt er zuweilen eine Perücke. Als er vorletztes Mal hier war, wollte er sein Taschentuch nehmen, zog aber anstelle desselben eine Perücke aus der Tasche.“

„Wie benahm er sich dabei?“

„Er lachte ganz gleichmütig.“

„Er wurde also nicht verlegen?“

„Nein. Er wußte ja, daß er bei Leuten war, welche auch zuweilen gezwungen sind, sich auf diese Weise unkenntlich zu machen.“

Der Wirt wiegte den Kopf hin und her und sagte bedenklich:

„Und auch das beweist noch nicht, daß er es ehrlich mit uns meint. Ein Geheimpolizist weiß auch falsche Haartouren zu gebrauchen. Hat der Changeur jemals aufrichtig gesagt, wo er ein Geschäft gemacht habe?“

„Allerdings nicht. Er hat das auch nicht nötig. Niemand wird ihm das abverlangen.“

„Oder habt ihr etwas gehört oder gelesen, was darauf schließen läßt, daß er wirklich Changeur ist, das heißt, daß er nur von Wechselfälschung lebt? Solche Fälschungen kommen in Paris massenhaft vor; das ist ja wahr; aber stets ist der Täter eine den Beteiligten bekannte Persönlichkeit. Daß es aber hier einen Menschen gibt, welcher sich nur auf dieses Fach legt und stets unentdeckt bleibt, darüber habe ich noch kein einziges Anzeichen bemerken können. Ihr seid noch jung und habt die Schule noch nicht durchgemacht, welche ich hinter mir habe. Mich täuscht und betrügt man nicht so leicht. Wißt ihr denn etwa, wo er wohnt? Hat er euch das gesagt?“

„Ja“, antwortete Brecheisen.

„Das sollte mich wundern. Nun, wo wohnt er denn?“

„In der Rue de Paradis.“

„Welche Nummer und wie viele Treppen?“

„Wir haben so weit nicht gefragt. Wir wissen nur, daß er von hier nie weiter einkehrt, sondern stets nach Hause geht und dann allemal diese Richtung auch wirklich einschlägt.“

„Wir müssen uns klar über ihn werden. Wir müssen ihn beobachten. Willst du das übernehmen?“

„Ja“, antwortete Brecheisen. „Ich bin aber überzeugt, daß wir nur bemerken werden, daß er uns nicht täuscht. Er hat ein nobles Aussehen und Auftreten, aber das gehört ja zu seinem Fach. Du meinst, Vater Main, daß ich ihm nachgehen soll?“

„Ja. Wenn du siehst, daß er wirklich in der Paradiesstraße wohnt, so trittst du eine Weile nach ihm ein und erkundigst dich beim Portier nach ihm.“

„Ich vermute, daß dieser Mann sich weigern wird, mir Auskunft zu erteilen.“

„Meinst du wirklich?“ sagte der Wirt im Ton der Verlegenheit. „Da kennst du mich sehr schlecht. Was ich will, das führe ich auch aus; ich habe die Mittel dazu. Hat die Polizei ihre heimlichen Verbündeten unter uns, welche uns seinerzeit verraten, so habe ich meinen Verbündeten bei der Polizei, welcher mir zu Diensten steht. Daher kommt es, daß ich niemals zur Anzeige oder in Strafe komme. Ist etwas gegen mich oder meine Freunde im Werk, so werde ich sofort benachrichtigt.“

„Donnerwetter! Wenn das wirklich so ist, so bist du allerdings ein ungewöhnlicher Schlaukopf, Vater Main!“

„Pah! Es kostet mich einiges Geld. Ihr könnt euch natürlich denken, daß ich meinen Verbündeten gut besolden muß. Um keinen Verdacht zu erregen, lasse ich zuweilen irgendeinen müßigen Bummler, welcher nicht zu uns gehört, bei mir abfangen. Das macht mir keinen Schaden, sondern es bringt mir nur Nutzen, weil ich damit den Herren des Sicherheitsdienstes Sand in die Augen streue. Daher will ich auch über diesen Changeur klar werden, um zu wissen, wie ich ihn zu behandeln habe. Verdient er mein Vertrauen nicht, so benachrichtige ich die Polizei, daß ein Mensch, den ich für einen Schwindler halte und der sich selbst für einen Fälscher ausgibt, bei mir verkehrt. Er wird dann abgefangen.“